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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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enthalten sei, geeignet, anch uns für die Aufgaben unsrer jetzigen Kriege befähigter
zu machen? Er stellt zu dem Zwecke zunächst eine kritische Untersuchung über
Entstehung, Folge und Inhalt dieser theils in Prosa, theils in der Form des
Lehrgedichts abgefaßten Schriften an. Dann betrachtet die Schrift mit Hin-
zunahme eiuer Anzahl militärischer Erlasse des Königs, die allerlei werthvolle
Anweisungen enthalten, den taktischen und strategischen Inhalt jener Lehrschriften
Näher, und das Resultat ist: ein Theil des militärischen Nachlasses Friedrichs
ist veraltet, Vieles dagegen besteht noch heilte zu Recht. Das letztere liegt hier
in neuer Gruppirung und in seinem Zusammenhang mit der Gegenwart nach¬
gewiesen vor, und wir meinen mit unsrer Schrift, daß dasselbe einen vollen
Einblick in eine Anschauung vom Kriege gewährt, wie sie schwerlich irgendwo
Naturgemäßer und genialer zu finden sein wird. Wir führen einige von diesen
Grundsätzen an. "Statt den Kampf hinzunehmen, zwinge man ihn dem Gegner
auf. Ein weiser General schlägt, wenn es Zeit ist, aber nie gegen seineu
Willen", n. s. w., immer das große Grundgesetz der Initiative: "^twiiuc?? clonv
tonsnurs", dem wir auch im letzten Kriege selbst da folgten, wo anfänglich die
Defensive geboten war. Wie für die Schlacht, so hält der König auch für die
Operationen den Angriff für das Natürlichste und Vortheilhafteste. So sagt
er in den I^vn^^Sö: "Ich glaube, daß ein vernünftiger Mann, so lange er leiden¬
schaftslos bleibt, niemals einen Krieg anfangen wird, in welchem er gezwungen
ist, defensiv zu verfahren" -- ein Ausspruch, dessen Wahrheit dnrch den letzten
Krieg wieder auf das schlagendste bestätigt worden ist. "Der erste Grundsatz
für einen Offensivkrieg ist, große Projekte zu entwerfen, damit man, wenn sie
gelingen, anch große Erfolge erzielt. Dill^neu t'cmmzmi clans 1e vif, und
begnügt auch nicht, den Feind an seinen Grenzen zu bekämpfen. Man führt
nur Krieg, um den Feind, so rasch als möglich zu zwingen, einen vortheilhaften
Frieden zu unterzeichnen." In dem Entwürfe zu einer Offensive nach Frank¬
reich hinein heißt es unter Anderm: "Ihr entgegnet nur vielleicht, daß ich zu
viel feste Plätze in meinem Rücken lasse", und dann wird darauf hingewiesen,
daß ein energisches Vorgehen mit überlegner Macht es überflüssig erscheinen
lasse, erhebliche Kräfte zur Deckung des Rückens stehen zu lassen. So zeigt
sich auch in diesem Punkte der König durchaus auf der Höhe moderner An¬
schauungen, und es ist ein großer Irrthum, anzunehmen, daß es erst Napoleon
vorbehalten gewesen sei, die gewaltsame und rücksichtslose Natur des Krieges
klar zu erkennen, während er diese Erkenntniß, nachdem sie abhanden gekommen
war, doch nur von neuem in ihr Recht einsetzte. "Seid langsam und zögernd
im Erwägen, aber wenn es zu handeln gilt, seid rasch und kühn." Auf die
Entschlossenheit nach beendigter Ueberlegung gibt der König ganz besonders
viel, und so verlangt er sie mit der größten Entschiedenheit von seinen


enthalten sei, geeignet, anch uns für die Aufgaben unsrer jetzigen Kriege befähigter
zu machen? Er stellt zu dem Zwecke zunächst eine kritische Untersuchung über
Entstehung, Folge und Inhalt dieser theils in Prosa, theils in der Form des
Lehrgedichts abgefaßten Schriften an. Dann betrachtet die Schrift mit Hin-
zunahme eiuer Anzahl militärischer Erlasse des Königs, die allerlei werthvolle
Anweisungen enthalten, den taktischen und strategischen Inhalt jener Lehrschriften
Näher, und das Resultat ist: ein Theil des militärischen Nachlasses Friedrichs
ist veraltet, Vieles dagegen besteht noch heilte zu Recht. Das letztere liegt hier
in neuer Gruppirung und in seinem Zusammenhang mit der Gegenwart nach¬
gewiesen vor, und wir meinen mit unsrer Schrift, daß dasselbe einen vollen
Einblick in eine Anschauung vom Kriege gewährt, wie sie schwerlich irgendwo
Naturgemäßer und genialer zu finden sein wird. Wir führen einige von diesen
Grundsätzen an. „Statt den Kampf hinzunehmen, zwinge man ihn dem Gegner
auf. Ein weiser General schlägt, wenn es Zeit ist, aber nie gegen seineu
Willen", n. s. w., immer das große Grundgesetz der Initiative: „^twiiuc?? clonv
tonsnurs", dem wir auch im letzten Kriege selbst da folgten, wo anfänglich die
Defensive geboten war. Wie für die Schlacht, so hält der König auch für die
Operationen den Angriff für das Natürlichste und Vortheilhafteste. So sagt
er in den I^vn^^Sö: „Ich glaube, daß ein vernünftiger Mann, so lange er leiden¬
schaftslos bleibt, niemals einen Krieg anfangen wird, in welchem er gezwungen
ist, defensiv zu verfahren" — ein Ausspruch, dessen Wahrheit dnrch den letzten
Krieg wieder auf das schlagendste bestätigt worden ist. „Der erste Grundsatz
für einen Offensivkrieg ist, große Projekte zu entwerfen, damit man, wenn sie
gelingen, anch große Erfolge erzielt. Dill^neu t'cmmzmi clans 1e vif, und
begnügt auch nicht, den Feind an seinen Grenzen zu bekämpfen. Man führt
nur Krieg, um den Feind, so rasch als möglich zu zwingen, einen vortheilhaften
Frieden zu unterzeichnen." In dem Entwürfe zu einer Offensive nach Frank¬
reich hinein heißt es unter Anderm: „Ihr entgegnet nur vielleicht, daß ich zu
viel feste Plätze in meinem Rücken lasse", und dann wird darauf hingewiesen,
daß ein energisches Vorgehen mit überlegner Macht es überflüssig erscheinen
lasse, erhebliche Kräfte zur Deckung des Rückens stehen zu lassen. So zeigt
sich auch in diesem Punkte der König durchaus auf der Höhe moderner An¬
schauungen, und es ist ein großer Irrthum, anzunehmen, daß es erst Napoleon
vorbehalten gewesen sei, die gewaltsame und rücksichtslose Natur des Krieges
klar zu erkennen, während er diese Erkenntniß, nachdem sie abhanden gekommen
war, doch nur von neuem in ihr Recht einsetzte. „Seid langsam und zögernd
im Erwägen, aber wenn es zu handeln gilt, seid rasch und kühn." Auf die
Entschlossenheit nach beendigter Ueberlegung gibt der König ganz besonders
viel, und so verlangt er sie mit der größten Entschiedenheit von seinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/486>, abgerufen am 03.07.2024.