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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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wesentlich unrichtig bezeichnet werden muß, ist der, daß man die doppelte Na¬
tionalität derselben übersehen hat. Der Jude ist nicht Deutscher allein, sondern
er ist auch Jude, ja er ist dies sogar vor allem und ehe er Deutscher ist und
sich als solcher fühlt. Die Juden halten an ihrer Stammeseigenthümlichkeit
mit unerschütterlicher Festigkeit, sind von ihr ganz durchdrungen und bleiben
nach Jahrhunderten vollkommen getrennt und verschiedenartig. Sie bilden
nirgends eine geschlossene, auf einem bestimmten Territorium zusammenbleibende
Gesammtheit, sondern sind in einzelnen Familien verstreut über das Land.
Und doch verbleiben sie in ihrer Eigenart, sind ihren in andern Ländern in
gleicher Weise lebenden Stammverwandten gleichartiger und zugethaner als
ihren zufälligen thatsächlichen Landsleuten." "Der zweite Punkt, in welchen:
jene Voraussetzung sich als unrichtig erweist, ist die entschiedene Schen der
Juden gerade vor denjenigen Arbeiten, auf welchen die Gesellschaft vorzugs¬
weise beruht, nämlich vor Ackerbau und jedem eine starke Körperkraft erfordern¬
den Handwerke. Auch da, wo sie seit Jahrzehnten Grund und Boden erwerben
und jedes Gewerbe betreiben dürfen, gehört es zu den seltensten Ausnahmen,
daß ein Jude das Feld selbst bebaut oder das Handwerk eines Schmiedes,
Zimmermeisters, Maurers u. dergl. betreibt, man findet sie nicht unter den Eisen¬
arbeitern, den Matrosen, den Bergleuten. Zur Noth ergreifen sie die feineren
Gewerbe, der größte Theil aber geht dem Handel in seinen verschiedenen
Zweigen und Dienstleistungen nach, ein anderer Theil widmet sich den Wissen¬
schaften oder Künsten oder treibt das gewerbsmäßige Literatenthnm." "Man
soll nicht behaupten, daß dies ein gesunder, den wahren Interessen der Ge¬
sellschaft zuträglicher Zustand sei, mau soll nicht übersehen, daß hier eine eigen¬
thümliche und fremdartige Natur des Stammes hervortritt."

Man nimmt nnn an, daß bei voller Gleichberechtigung der Juden mit
den Deutschen jene ihrer einseitigen Lebensrichtung entsagen und sich mehr der
Landwirtschaft und dem Handwerk zuwenden würden, Aber mau vergleiche
damit folgende Thatfache. Das Judenemaneipations-Gesetz in Preußen er¬
ging im Sommer 1847, und was es in Betreff der Stellung der Juden zu
den verschiedenen Thätigkeitsbranchen bewirkt hat, mag folgende Tabelle zeigen.
Von der jüdischen Bevölkerung Preußens waren selbstthätig:

1861:
1849:
1) Als Aerzte oder Lehrer in schönen Künsten .16102086
2) Im Handel:
Als Bankiers, Wechsler u. s, w. . . ,314660
Großhändler ohne Luder......10022786
Kaufleute mit Läden ........66289786
Lieferanten, Kommissionäre, Pfandleihcr .14442036
23873003

wesentlich unrichtig bezeichnet werden muß, ist der, daß man die doppelte Na¬
tionalität derselben übersehen hat. Der Jude ist nicht Deutscher allein, sondern
er ist auch Jude, ja er ist dies sogar vor allem und ehe er Deutscher ist und
sich als solcher fühlt. Die Juden halten an ihrer Stammeseigenthümlichkeit
mit unerschütterlicher Festigkeit, sind von ihr ganz durchdrungen und bleiben
nach Jahrhunderten vollkommen getrennt und verschiedenartig. Sie bilden
nirgends eine geschlossene, auf einem bestimmten Territorium zusammenbleibende
Gesammtheit, sondern sind in einzelnen Familien verstreut über das Land.
Und doch verbleiben sie in ihrer Eigenart, sind ihren in andern Ländern in
gleicher Weise lebenden Stammverwandten gleichartiger und zugethaner als
ihren zufälligen thatsächlichen Landsleuten." „Der zweite Punkt, in welchen:
jene Voraussetzung sich als unrichtig erweist, ist die entschiedene Schen der
Juden gerade vor denjenigen Arbeiten, auf welchen die Gesellschaft vorzugs¬
weise beruht, nämlich vor Ackerbau und jedem eine starke Körperkraft erfordern¬
den Handwerke. Auch da, wo sie seit Jahrzehnten Grund und Boden erwerben
und jedes Gewerbe betreiben dürfen, gehört es zu den seltensten Ausnahmen,
daß ein Jude das Feld selbst bebaut oder das Handwerk eines Schmiedes,
Zimmermeisters, Maurers u. dergl. betreibt, man findet sie nicht unter den Eisen¬
arbeitern, den Matrosen, den Bergleuten. Zur Noth ergreifen sie die feineren
Gewerbe, der größte Theil aber geht dem Handel in seinen verschiedenen
Zweigen und Dienstleistungen nach, ein anderer Theil widmet sich den Wissen¬
schaften oder Künsten oder treibt das gewerbsmäßige Literatenthnm." „Man
soll nicht behaupten, daß dies ein gesunder, den wahren Interessen der Ge¬
sellschaft zuträglicher Zustand sei, mau soll nicht übersehen, daß hier eine eigen¬
thümliche und fremdartige Natur des Stammes hervortritt."

Man nimmt nnn an, daß bei voller Gleichberechtigung der Juden mit
den Deutschen jene ihrer einseitigen Lebensrichtung entsagen und sich mehr der
Landwirtschaft und dem Handwerk zuwenden würden, Aber mau vergleiche
damit folgende Thatfache. Das Judenemaneipations-Gesetz in Preußen er¬
ging im Sommer 1847, und was es in Betreff der Stellung der Juden zu
den verschiedenen Thätigkeitsbranchen bewirkt hat, mag folgende Tabelle zeigen.
Von der jüdischen Bevölkerung Preußens waren selbstthätig:

1861:
1849:
1) Als Aerzte oder Lehrer in schönen Künsten .16102086
2) Im Handel:
Als Bankiers, Wechsler u. s, w. . . ,314660
Großhändler ohne Luder......10022786
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/484>, abgerufen am 03.07.2024.