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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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hin gebracht. Ihr folgt Raufgern, der einst ein unbekannter Mensch gewesen,
durch Faust aber tapfer gemacht und bei Hofe empfohlen worden ist. Er ist
gestiegen und hat im letzten Kriege die Rolle eines Freibeuters gespielt.
Er dürstet nach Blut, verflucht den Frieden. "Zum Blitz", ruft er, "wenn ich
die Schaubhütten der verfluchten Bauern anzünden, die Felder zertreten und
Beute machen kann, das erquickt mein Herz. Da zieht man durch lauter Brand¬
stätten, man würgt auf dem Schlachtfelde, man läuft Sturm, man erobert
Festungen. Es lebe der kriegerische Soldat!" u. s. w. Mephistopheles ver¬
langt seinen Beistand bei einem Zweikampf. Raufgern will ihn vor Freude
umarmen und schreit: "Wo ist der Wurm, der Euch beleidigt hat? Die
Seele im Leibe will ich ihn? zerfleischen. Ihr könnt Euch das Vergnügen
nicht vorstellen, das ich empfinde, wenn ich todte Körper um mich liegen sehe."
Faust ruft aus: "Welch ein Ungeheuer! Die Natur empört sich vor ihm.
Ich glaube, die Menschheit hat ihn vergessen. Geh, Wütherich, vertilge Deine
Brüder und mache Dich groß mit dem Unglück Deiner Nebenmenschen."
Mephistopheles aber sagt höhnisch: "Welch ein glücklicher Mensch!" Als der
Raufbold fort ist, nähert sich Graf Sorgenvoll, der einst ruhig auf seinen ver¬
schuldeten Gütern gesessen hat, während er jetzt, nachdem Faust seine Schulden
bezahlt und ihn bei Hofe eingeführt hat, dnrch Schmeichelei emporgestiegen und
der Günstling seines Königs geworden ist. Er ist von Angst und Sorge ge¬
peinigt, daß er diese Stellung einbüßen könne. Ueberall erblickt er Neider und
Widersacher, die ihn verdrängen wollen. "Verflucht sei der Wohlthäter", ruft
er aus, "der mich aus meiner Ruhe gezogen und mich in dies Elend gestürzt
hat. Wie zufrieden schlug diese Brust, ehe uoch dieses Band und dieser Orden
meine Last war. Ich durchwache die Nächte, auf Ränke zu sinnen, wie ich meine
Nebenbuhler untergraben und Alles an mich herum erniedern kann. Meine
Tage fließen in folternder Ungewißheit hin. Ich umarme oft jene, die mich
hassen, ich küsse jene, die mich verfluchen, und ich beneide Geschöpfe, die ich
im Herzen verachte." Als Letzter tritt Waisenplag ans, der früher ein armer
Bogenschreiber gewesen ist, jetzt aber, nachdem Mephistopheles ihm auf Fausts
Befehl "die tiefsten Einsichten der Rechte und eine glänzende Wohlredenheit"
gegeben hat, als berühmter Anwalt dasteht, der scharfsinnig beweisen, daß
schwarz weiß und weiß schwarz ist, und jeden an den Galgen reden und durch
seine Beredsamkeit gleich wieder herabsteigen heißen kann. Faust weist dem
Rabulisten die Thür und versinkt in Zweifel an der Menschheit, über denen er
ausruft: "Die Meuschen siud wie Spinnen; aus eben dem Safte, ans welchem die
Biene Honig macht, zeugen sie Gift. Mein Herz unterliegt jetzt ganz seinen
Sorgen." Mephistopheles erwidert: "Du verdienst es. Warum hörst Du
uicht meinen Rath? Verbnuue alle Sorgen. Sei munter und sei mein Freund.


hin gebracht. Ihr folgt Raufgern, der einst ein unbekannter Mensch gewesen,
durch Faust aber tapfer gemacht und bei Hofe empfohlen worden ist. Er ist
gestiegen und hat im letzten Kriege die Rolle eines Freibeuters gespielt.
Er dürstet nach Blut, verflucht den Frieden. „Zum Blitz", ruft er, „wenn ich
die Schaubhütten der verfluchten Bauern anzünden, die Felder zertreten und
Beute machen kann, das erquickt mein Herz. Da zieht man durch lauter Brand¬
stätten, man würgt auf dem Schlachtfelde, man läuft Sturm, man erobert
Festungen. Es lebe der kriegerische Soldat!" u. s. w. Mephistopheles ver¬
langt seinen Beistand bei einem Zweikampf. Raufgern will ihn vor Freude
umarmen und schreit: „Wo ist der Wurm, der Euch beleidigt hat? Die
Seele im Leibe will ich ihn? zerfleischen. Ihr könnt Euch das Vergnügen
nicht vorstellen, das ich empfinde, wenn ich todte Körper um mich liegen sehe."
Faust ruft aus: „Welch ein Ungeheuer! Die Natur empört sich vor ihm.
Ich glaube, die Menschheit hat ihn vergessen. Geh, Wütherich, vertilge Deine
Brüder und mache Dich groß mit dem Unglück Deiner Nebenmenschen."
Mephistopheles aber sagt höhnisch: „Welch ein glücklicher Mensch!" Als der
Raufbold fort ist, nähert sich Graf Sorgenvoll, der einst ruhig auf seinen ver¬
schuldeten Gütern gesessen hat, während er jetzt, nachdem Faust seine Schulden
bezahlt und ihn bei Hofe eingeführt hat, dnrch Schmeichelei emporgestiegen und
der Günstling seines Königs geworden ist. Er ist von Angst und Sorge ge¬
peinigt, daß er diese Stellung einbüßen könne. Ueberall erblickt er Neider und
Widersacher, die ihn verdrängen wollen. „Verflucht sei der Wohlthäter", ruft
er aus, „der mich aus meiner Ruhe gezogen und mich in dies Elend gestürzt
hat. Wie zufrieden schlug diese Brust, ehe uoch dieses Band und dieser Orden
meine Last war. Ich durchwache die Nächte, auf Ränke zu sinnen, wie ich meine
Nebenbuhler untergraben und Alles an mich herum erniedern kann. Meine
Tage fließen in folternder Ungewißheit hin. Ich umarme oft jene, die mich
hassen, ich küsse jene, die mich verfluchen, und ich beneide Geschöpfe, die ich
im Herzen verachte." Als Letzter tritt Waisenplag ans, der früher ein armer
Bogenschreiber gewesen ist, jetzt aber, nachdem Mephistopheles ihm auf Fausts
Befehl „die tiefsten Einsichten der Rechte und eine glänzende Wohlredenheit"
gegeben hat, als berühmter Anwalt dasteht, der scharfsinnig beweisen, daß
schwarz weiß und weiß schwarz ist, und jeden an den Galgen reden und durch
seine Beredsamkeit gleich wieder herabsteigen heißen kann. Faust weist dem
Rabulisten die Thür und versinkt in Zweifel an der Menschheit, über denen er
ausruft: „Die Meuschen siud wie Spinnen; aus eben dem Safte, ans welchem die
Biene Honig macht, zeugen sie Gift. Mein Herz unterliegt jetzt ganz seinen
Sorgen." Mephistopheles erwidert: „Du verdienst es. Warum hörst Du
uicht meinen Rath? Verbnuue alle Sorgen. Sei munter und sei mein Freund.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/458>, abgerufen am 23.07.2024.