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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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mit den Worten: "Unsterblich! Unsterblich doch zur Qual!" Jthuriel sagt
ihm, er sei auf dem Wege zur Wahrheit, und ermahnt ihn zu weiterem Nach¬
denken. Auf die weitere Frage, warum der Mensch bei so viel Schwäche die
Macht habe, sich selbst unglücklich zu machen, erfolgt die Antwort: Der Mensch
ist frei, er kann zwischen Glückseligkeit und Verderben wählen. "Aber wenn
die Wahl geschehen ist, darf ich nicht mehr ändern?" fragt Faust, und es wird
ihm der Trost: "So lang Du lebst. Verletzte Hauch kann erst Deinen Willen
bestimmen, und schon der Wille ist Deinem Gott genug." Im weiteren Fort-
gange des Gespräches erklärt Jthuriel seinem Freunde den Umstand, daß er
zwar gut sein möge, vom Bösen aber wieder abgezogen werde, dadurch, daß
das Laster das Gewissen einschläfere und, zur Gewohnheit geworden, ihn
fessele. Faust will darauf verzweifeln, und Jener mahnt ihm davon ab und
gesteht ihm, er besuche ihn, um ihn zu retten. Faust erklärt dies für unmög¬
lich, hält aber, als Jthuriel sich darauf entfernen will, denselben zurück und
ist, von ihm aufgefordert, mit ihm diesen Ort zu verlassen, wo er nur Ver¬
derben finde, im Begriffe, dem Freunde zu folgen, als Helena, seine Geliebte,
mit seinem Sohne Eduard erscheint. Er erklärt ihr, sie verlassen zu müssen.
Sie nennt ihn grausam, hält sich für verschmäht, ihn für untreu und fragt,
ob er ihre Liebe auf solche Weise lohnen wolle. Faust sagt ihr, sie irre, er
liebe sie zärtlich, müsse sie aber verlassen, um sie uicht mit sich unglücklich zu
machen. Sie glaubt ihm nicht, denkt an eine Nebenbuhlerin und droht ihm
zuletzt mit ihrer Rache. Er verweist ihr das, weigert sich aber zugleich, sein
Geheimniß ihr zu entdecken. Sie beschwört ihn, offen gegen sie zu sein. Da
sieht er Mephistopheles nahen und bittet sie, sich zu entfernen und ihn im
Garten zu erwarten. Im achten und letzten Auftritt des ersten Aktes unter¬
halten sich nun Fanöe und Mephistopheles. Dieser kündigt jenem an, daß er
nur noch einen Tag vor sich habe, und räth ihm, diesen zu benutzen, um noch
so viel zu genießen und so viel Böses zu thun als möglich. Faust erwidert,
der Tag lasse ihn erzittern. Der böse Geist sucht ihm seine Furcht auszureden:
Gott habe ihn arm und elend auf die Erde gesetzt, er dagegen habe ihn glück¬
lich gemacht und ihm alle Freuden erlaubt. Er schließt seinen Trost mit den
Worten: "Und am Ende führe ich Dich mit klingenden: Spiel in die Hölle,
in welche jener Despot Dich mit Blitz und Donner hinabschleudern wird."
"Wie kaun ich das wissen?" fragt Faust. Mephistopheles erwidert, er möge
von dem gegenwärtigen Leben auf das zukünftige schließen. Wenn Gott, wie
er sich rühme, den Menschen ein zärtlicher Vater sei, warum öffne er ihnen
nicht sein leeres Paradies, warum habe er sie auf die unfruchtbare, verfluchte
Erde verwiesen. Faust werde übrigens in der Holle gut wohnen; denn er
solle dort in die feierlichen Rechte erhabner Geister eintreten und frei denken


mit den Worten: „Unsterblich! Unsterblich doch zur Qual!" Jthuriel sagt
ihm, er sei auf dem Wege zur Wahrheit, und ermahnt ihn zu weiterem Nach¬
denken. Auf die weitere Frage, warum der Mensch bei so viel Schwäche die
Macht habe, sich selbst unglücklich zu machen, erfolgt die Antwort: Der Mensch
ist frei, er kann zwischen Glückseligkeit und Verderben wählen. „Aber wenn
die Wahl geschehen ist, darf ich nicht mehr ändern?" fragt Faust, und es wird
ihm der Trost: „So lang Du lebst. Verletzte Hauch kann erst Deinen Willen
bestimmen, und schon der Wille ist Deinem Gott genug." Im weiteren Fort-
gange des Gespräches erklärt Jthuriel seinem Freunde den Umstand, daß er
zwar gut sein möge, vom Bösen aber wieder abgezogen werde, dadurch, daß
das Laster das Gewissen einschläfere und, zur Gewohnheit geworden, ihn
fessele. Faust will darauf verzweifeln, und Jener mahnt ihm davon ab und
gesteht ihm, er besuche ihn, um ihn zu retten. Faust erklärt dies für unmög¬
lich, hält aber, als Jthuriel sich darauf entfernen will, denselben zurück und
ist, von ihm aufgefordert, mit ihm diesen Ort zu verlassen, wo er nur Ver¬
derben finde, im Begriffe, dem Freunde zu folgen, als Helena, seine Geliebte,
mit seinem Sohne Eduard erscheint. Er erklärt ihr, sie verlassen zu müssen.
Sie nennt ihn grausam, hält sich für verschmäht, ihn für untreu und fragt,
ob er ihre Liebe auf solche Weise lohnen wolle. Faust sagt ihr, sie irre, er
liebe sie zärtlich, müsse sie aber verlassen, um sie uicht mit sich unglücklich zu
machen. Sie glaubt ihm nicht, denkt an eine Nebenbuhlerin und droht ihm
zuletzt mit ihrer Rache. Er verweist ihr das, weigert sich aber zugleich, sein
Geheimniß ihr zu entdecken. Sie beschwört ihn, offen gegen sie zu sein. Da
sieht er Mephistopheles nahen und bittet sie, sich zu entfernen und ihn im
Garten zu erwarten. Im achten und letzten Auftritt des ersten Aktes unter¬
halten sich nun Fanöe und Mephistopheles. Dieser kündigt jenem an, daß er
nur noch einen Tag vor sich habe, und räth ihm, diesen zu benutzen, um noch
so viel zu genießen und so viel Böses zu thun als möglich. Faust erwidert,
der Tag lasse ihn erzittern. Der böse Geist sucht ihm seine Furcht auszureden:
Gott habe ihn arm und elend auf die Erde gesetzt, er dagegen habe ihn glück¬
lich gemacht und ihm alle Freuden erlaubt. Er schließt seinen Trost mit den
Worten: „Und am Ende führe ich Dich mit klingenden: Spiel in die Hölle,
in welche jener Despot Dich mit Blitz und Donner hinabschleudern wird."
„Wie kaun ich das wissen?" fragt Faust. Mephistopheles erwidert, er möge
von dem gegenwärtigen Leben auf das zukünftige schließen. Wenn Gott, wie
er sich rühme, den Menschen ein zärtlicher Vater sei, warum öffne er ihnen
nicht sein leeres Paradies, warum habe er sie auf die unfruchtbare, verfluchte
Erde verwiesen. Faust werde übrigens in der Holle gut wohnen; denn er
solle dort in die feierlichen Rechte erhabner Geister eintreten und frei denken


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[0456] mit den Worten: „Unsterblich! Unsterblich doch zur Qual!" Jthuriel sagt ihm, er sei auf dem Wege zur Wahrheit, und ermahnt ihn zu weiterem Nach¬ denken. Auf die weitere Frage, warum der Mensch bei so viel Schwäche die Macht habe, sich selbst unglücklich zu machen, erfolgt die Antwort: Der Mensch ist frei, er kann zwischen Glückseligkeit und Verderben wählen. „Aber wenn die Wahl geschehen ist, darf ich nicht mehr ändern?" fragt Faust, und es wird ihm der Trost: „So lang Du lebst. Verletzte Hauch kann erst Deinen Willen bestimmen, und schon der Wille ist Deinem Gott genug." Im weiteren Fort- gange des Gespräches erklärt Jthuriel seinem Freunde den Umstand, daß er zwar gut sein möge, vom Bösen aber wieder abgezogen werde, dadurch, daß das Laster das Gewissen einschläfere und, zur Gewohnheit geworden, ihn fessele. Faust will darauf verzweifeln, und Jener mahnt ihm davon ab und gesteht ihm, er besuche ihn, um ihn zu retten. Faust erklärt dies für unmög¬ lich, hält aber, als Jthuriel sich darauf entfernen will, denselben zurück und ist, von ihm aufgefordert, mit ihm diesen Ort zu verlassen, wo er nur Ver¬ derben finde, im Begriffe, dem Freunde zu folgen, als Helena, seine Geliebte, mit seinem Sohne Eduard erscheint. Er erklärt ihr, sie verlassen zu müssen. Sie nennt ihn grausam, hält sich für verschmäht, ihn für untreu und fragt, ob er ihre Liebe auf solche Weise lohnen wolle. Faust sagt ihr, sie irre, er liebe sie zärtlich, müsse sie aber verlassen, um sie uicht mit sich unglücklich zu machen. Sie glaubt ihm nicht, denkt an eine Nebenbuhlerin und droht ihm zuletzt mit ihrer Rache. Er verweist ihr das, weigert sich aber zugleich, sein Geheimniß ihr zu entdecken. Sie beschwört ihn, offen gegen sie zu sein. Da sieht er Mephistopheles nahen und bittet sie, sich zu entfernen und ihn im Garten zu erwarten. Im achten und letzten Auftritt des ersten Aktes unter¬ halten sich nun Fanöe und Mephistopheles. Dieser kündigt jenem an, daß er nur noch einen Tag vor sich habe, und räth ihm, diesen zu benutzen, um noch so viel zu genießen und so viel Böses zu thun als möglich. Faust erwidert, der Tag lasse ihn erzittern. Der böse Geist sucht ihm seine Furcht auszureden: Gott habe ihn arm und elend auf die Erde gesetzt, er dagegen habe ihn glück¬ lich gemacht und ihm alle Freuden erlaubt. Er schließt seinen Trost mit den Worten: „Und am Ende führe ich Dich mit klingenden: Spiel in die Hölle, in welche jener Despot Dich mit Blitz und Donner hinabschleudern wird." „Wie kaun ich das wissen?" fragt Faust. Mephistopheles erwidert, er möge von dem gegenwärtigen Leben auf das zukünftige schließen. Wenn Gott, wie er sich rühme, den Menschen ein zärtlicher Vater sei, warum öffne er ihnen nicht sein leeres Paradies, warum habe er sie auf die unfruchtbare, verfluchte Erde verwiesen. Faust werde übrigens in der Holle gut wohnen; denn er solle dort in die feierlichen Rechte erhabner Geister eintreten und frei denken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/456>, abgerufen am 23.07.2024.