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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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wieder aufbricht. Dort hat er den Leuten auch erzählt, er habe, als er das
erste Mal an deu Nheiuwinkel gekonunen sei, wo jetzt Basel steht, uur einen
schwarzen Tannenwald, das zweite Mal, wo ihn sein Weg vorbeigeführt,
nichts als ein breites Dornengestrüpp und das dritte Mal eine von einem
Erdbeben zerrissene große Stadt vorgefunden. Wenn er das nächste Mal diese
Straße ziehe, werde man hier stundenweit gehen müssen, um Reiser zu einem
Besen zuscuumeuznfiuden.

In der Stadt Bern ließ er bei seinem Weggange seinen Wanderstab und
seine Reiseschuhe zurück, die man aufbewahrte. Der züricher Pfarrer Ulrich
hat sich beide Reliquien dort zeigen lassen und berichtet darüber in seiner 1768
erschienenen "Geschichte der Juden in der Schweiz" S. .154: "Auf der obrig¬
keitlichen Bibliothek zu Bern wird ein kostbares Stück aufbewahrt, ein stecken
und ein paar Schuhe von dem ewigen Juden. Man muß aus der Bibliothek
etliche Tritte hinunter in ein Souterrain steigen, allwo ein türkischer Habit zu
sehen, den ein Herr Heerport dahin verehret. Im gleichen Kabinet finden sich
auch des unsterblichen Juden Stecken und Schuhe; der Stecken ziemlich grob
und stark, die Schuhe ungemein groß und von hundert Bletzen zusammen¬
gesetzet, ein Meisterstück von einem Schuhmacher, weil sie mit großem
Fleiß, Mühe und Geschicklichkeit aus gar vielen ledernen Theilen zusammen¬
geflickt worden."

Im Münsterlande und im Paderbornischen erzählt man nach Kühn:
Der ewige Jude hat unser" Herrn Christus, als er auf dem Wege zur
Richtstütte sein Kreuz trug und vor seinem Hanse rasten wollte, von seiner
Schwelle getrieben, und darum ist er verwünscht worden, ewig zu wandern.
So sieht man ihn denn stets, reichlich mit Geld versehen, von einem Orte zum
andern ziehen, und er darf sich nirgend länger aufhalten, als so lange, daß er
un Staude ist, für einen Stüber Weißbrot ("Hittewigge") zu verzehren; auch
ist ihm dabei nur erlaubt, sich niederzusetzen, wenn er zwei Eichen findet, deren
Stämme unten so in einander gewachsen siud, daß sie eine natürliche Bank
bilden. Bei Wiuterberg müssen die Eichen ins Kreuz gewachsen sein.
In Heiner und Büren heißt es, der ewige Jude habe eine Nacht Ruhe, wenn
ihm ein mitleidiger Mensch auf dem Felde zwei Eggen dachförmig zu¬
sammenstelle.

Aus Lanken im Lauenburgischen berichtete man Müllenhoff:

Seit vielen, vielen Jahren kommt der Wanderjude in die Städte. Er
wird nicht hungrig, er wird nicht durstig, er wird auch nicht alt. Er soll
seine Ruhe immer draußen suchen und darf unter keinem Dache schlafen. Noch
vor nicht sehr lauger Zeit soll er in Lüneburg gewesen sein; da hat er die
Nacht auf einem Stein zugebracht, der vor der Stadt liegt. In Hamburg ist


wieder aufbricht. Dort hat er den Leuten auch erzählt, er habe, als er das
erste Mal an deu Nheiuwinkel gekonunen sei, wo jetzt Basel steht, uur einen
schwarzen Tannenwald, das zweite Mal, wo ihn sein Weg vorbeigeführt,
nichts als ein breites Dornengestrüpp und das dritte Mal eine von einem
Erdbeben zerrissene große Stadt vorgefunden. Wenn er das nächste Mal diese
Straße ziehe, werde man hier stundenweit gehen müssen, um Reiser zu einem
Besen zuscuumeuznfiuden.

In der Stadt Bern ließ er bei seinem Weggange seinen Wanderstab und
seine Reiseschuhe zurück, die man aufbewahrte. Der züricher Pfarrer Ulrich
hat sich beide Reliquien dort zeigen lassen und berichtet darüber in seiner 1768
erschienenen „Geschichte der Juden in der Schweiz" S. .154: „Auf der obrig¬
keitlichen Bibliothek zu Bern wird ein kostbares Stück aufbewahrt, ein stecken
und ein paar Schuhe von dem ewigen Juden. Man muß aus der Bibliothek
etliche Tritte hinunter in ein Souterrain steigen, allwo ein türkischer Habit zu
sehen, den ein Herr Heerport dahin verehret. Im gleichen Kabinet finden sich
auch des unsterblichen Juden Stecken und Schuhe; der Stecken ziemlich grob
und stark, die Schuhe ungemein groß und von hundert Bletzen zusammen¬
gesetzet, ein Meisterstück von einem Schuhmacher, weil sie mit großem
Fleiß, Mühe und Geschicklichkeit aus gar vielen ledernen Theilen zusammen¬
geflickt worden."

Im Münsterlande und im Paderbornischen erzählt man nach Kühn:
Der ewige Jude hat unser» Herrn Christus, als er auf dem Wege zur
Richtstütte sein Kreuz trug und vor seinem Hanse rasten wollte, von seiner
Schwelle getrieben, und darum ist er verwünscht worden, ewig zu wandern.
So sieht man ihn denn stets, reichlich mit Geld versehen, von einem Orte zum
andern ziehen, und er darf sich nirgend länger aufhalten, als so lange, daß er
un Staude ist, für einen Stüber Weißbrot („Hittewigge") zu verzehren; auch
ist ihm dabei nur erlaubt, sich niederzusetzen, wenn er zwei Eichen findet, deren
Stämme unten so in einander gewachsen siud, daß sie eine natürliche Bank
bilden. Bei Wiuterberg müssen die Eichen ins Kreuz gewachsen sein.
In Heiner und Büren heißt es, der ewige Jude habe eine Nacht Ruhe, wenn
ihm ein mitleidiger Mensch auf dem Felde zwei Eggen dachförmig zu¬
sammenstelle.

Aus Lanken im Lauenburgischen berichtete man Müllenhoff:

Seit vielen, vielen Jahren kommt der Wanderjude in die Städte. Er
wird nicht hungrig, er wird nicht durstig, er wird auch nicht alt. Er soll
seine Ruhe immer draußen suchen und darf unter keinem Dache schlafen. Noch
vor nicht sehr lauger Zeit soll er in Lüneburg gewesen sein; da hat er die
Nacht auf einem Stein zugebracht, der vor der Stadt liegt. In Hamburg ist


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[0347] wieder aufbricht. Dort hat er den Leuten auch erzählt, er habe, als er das erste Mal an deu Nheiuwinkel gekonunen sei, wo jetzt Basel steht, uur einen schwarzen Tannenwald, das zweite Mal, wo ihn sein Weg vorbeigeführt, nichts als ein breites Dornengestrüpp und das dritte Mal eine von einem Erdbeben zerrissene große Stadt vorgefunden. Wenn er das nächste Mal diese Straße ziehe, werde man hier stundenweit gehen müssen, um Reiser zu einem Besen zuscuumeuznfiuden. In der Stadt Bern ließ er bei seinem Weggange seinen Wanderstab und seine Reiseschuhe zurück, die man aufbewahrte. Der züricher Pfarrer Ulrich hat sich beide Reliquien dort zeigen lassen und berichtet darüber in seiner 1768 erschienenen „Geschichte der Juden in der Schweiz" S. .154: „Auf der obrig¬ keitlichen Bibliothek zu Bern wird ein kostbares Stück aufbewahrt, ein stecken und ein paar Schuhe von dem ewigen Juden. Man muß aus der Bibliothek etliche Tritte hinunter in ein Souterrain steigen, allwo ein türkischer Habit zu sehen, den ein Herr Heerport dahin verehret. Im gleichen Kabinet finden sich auch des unsterblichen Juden Stecken und Schuhe; der Stecken ziemlich grob und stark, die Schuhe ungemein groß und von hundert Bletzen zusammen¬ gesetzet, ein Meisterstück von einem Schuhmacher, weil sie mit großem Fleiß, Mühe und Geschicklichkeit aus gar vielen ledernen Theilen zusammen¬ geflickt worden." Im Münsterlande und im Paderbornischen erzählt man nach Kühn: Der ewige Jude hat unser» Herrn Christus, als er auf dem Wege zur Richtstütte sein Kreuz trug und vor seinem Hanse rasten wollte, von seiner Schwelle getrieben, und darum ist er verwünscht worden, ewig zu wandern. So sieht man ihn denn stets, reichlich mit Geld versehen, von einem Orte zum andern ziehen, und er darf sich nirgend länger aufhalten, als so lange, daß er un Staude ist, für einen Stüber Weißbrot („Hittewigge") zu verzehren; auch ist ihm dabei nur erlaubt, sich niederzusetzen, wenn er zwei Eichen findet, deren Stämme unten so in einander gewachsen siud, daß sie eine natürliche Bank bilden. Bei Wiuterberg müssen die Eichen ins Kreuz gewachsen sein. In Heiner und Büren heißt es, der ewige Jude habe eine Nacht Ruhe, wenn ihm ein mitleidiger Mensch auf dem Felde zwei Eggen dachförmig zu¬ sammenstelle. Aus Lanken im Lauenburgischen berichtete man Müllenhoff: Seit vielen, vielen Jahren kommt der Wanderjude in die Städte. Er wird nicht hungrig, er wird nicht durstig, er wird auch nicht alt. Er soll seine Ruhe immer draußen suchen und darf unter keinem Dache schlafen. Noch vor nicht sehr lauger Zeit soll er in Lüneburg gewesen sein; da hat er die Nacht auf einem Stein zugebracht, der vor der Stadt liegt. In Hamburg ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/347>, abgerufen am 23.07.2024.