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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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muß sich möglichst in Weite und Breite ausdehnen, vor Allem muß er sich
rühren lernen. -- Was durch die Matcrialkunde im Umfange gewonnen, ver¬
möchten die Leseübnngen in der Tiefe zu leisten; beides könnte sich mithin
trefflich ergänzen, zumal wenn für letztere Partien aus Schriftwerken genommen
würden, die auch sachlich anzögen. Ganz von selbst bildete sich dann bei
Diesem und Jenem eine gewisse Vorliebe aus. Wohl aber mich der -Lehrer
Acht geben, das Interesse wach zu erhalten, welches gar leicht erlahmt, wenn
er ununterbrochen docirt; zu dem Zwecke hat er Fragen an die Betheiligten
zu stellen, hat sie suchen, finden und sich irren zu lassen.

Aelteren Docenten ist nicht zuzumuthen, sich der Handlangerarbeit der
Proseminare zu unterziehen; sie würde vielmehr den jüngeren zufallen, was
zugleich noch mit sich brächte, daß die studirenden Neulinge, denen es an innerer
Reife mangelt, sich nicht von vorne herein den berühmtesten Altmeistern zu¬
wendeten, bei denen sie anfangs meistens entschieden weniger profitiren, als bei
jüngeren Fachmännern, die noch keine große Vergangenheit hinter sich haben,
folglich den: Ankömmling menschlich näher stehen.

Etwa zwei Semester in obiger Weise vorgebildet, ausreichend fest in der
Sprache und eingeweiht in die Kunst des Findens, läge dem Jünger der Ge¬
schichte ob, in die höhere Abtheilung einzutreten, um sein angesammeltes Wissen
mit einem selbständigen Können zu verschwistern, um das wie? -- Sichtung und
Verarbeitung des Materials -- kennen zu lernen, da er das wo? und was? inne
hat. Nunmehr kann er ganz unbefangen den Gedanken aufkommen lassen,
daß, wenn er fleißig und umsichtig ist, Niemand ans der Welt auch nur ein
Titelchen mehr zu finden vermag, wie er, es müßte denn ein unberechenbarer Zu¬
fall walten; jetzt kann er sich getrost sagen: mein Element ist nicht das Dunkel,
ich wandle im Lichte, in demselben Lichte, wie die besten Männer meiner
Wissenschaft! Und mit der Freudigkeit dieses Gefühls ist Großes gewonnen.

Im eigentlichen Seminare dürften noch weit günstigere Verhältnisse angebahnt
werden, wenn mehrere Studirende, von nicht ganz gleicher Semesterzahl, über
Gegenstände arbeiteten, die sich gegenseitig berühren, oder gar, wenn die Se¬
minarthätigkeit auch dem Stoffe nach mit den schriftlichen Arbeiten im Zu¬
sammenhange steht; es würde dadurch eine gründlichere und allseitigere Kenntniß
der Objekte gedeihen, dort der Eine bemerken, was der Andere übersah; man
würde sich gegenseitig mittheilen, sich anregen und zu wetteifern beginnen; der
Jüngere möchte den Aelteren gern einholen, der Aeltere will den Jüngeren
nicht vorkommen lassen. -- Mag sein, daß Manchem diese Methode unwürdig
erscheint; der Verfasser ist anderer Ansicht und überzeugt, daß sie auch der
Wissenschaft bessere Resultate brächte, als das planlose Belieben des Subjekts, in
Folge dessen A. bisweilen in der griechischen, B. in der römischen Geschichte, C. über


muß sich möglichst in Weite und Breite ausdehnen, vor Allem muß er sich
rühren lernen. — Was durch die Matcrialkunde im Umfange gewonnen, ver¬
möchten die Leseübnngen in der Tiefe zu leisten; beides könnte sich mithin
trefflich ergänzen, zumal wenn für letztere Partien aus Schriftwerken genommen
würden, die auch sachlich anzögen. Ganz von selbst bildete sich dann bei
Diesem und Jenem eine gewisse Vorliebe aus. Wohl aber mich der -Lehrer
Acht geben, das Interesse wach zu erhalten, welches gar leicht erlahmt, wenn
er ununterbrochen docirt; zu dem Zwecke hat er Fragen an die Betheiligten
zu stellen, hat sie suchen, finden und sich irren zu lassen.

Aelteren Docenten ist nicht zuzumuthen, sich der Handlangerarbeit der
Proseminare zu unterziehen; sie würde vielmehr den jüngeren zufallen, was
zugleich noch mit sich brächte, daß die studirenden Neulinge, denen es an innerer
Reife mangelt, sich nicht von vorne herein den berühmtesten Altmeistern zu¬
wendeten, bei denen sie anfangs meistens entschieden weniger profitiren, als bei
jüngeren Fachmännern, die noch keine große Vergangenheit hinter sich haben,
folglich den: Ankömmling menschlich näher stehen.

Etwa zwei Semester in obiger Weise vorgebildet, ausreichend fest in der
Sprache und eingeweiht in die Kunst des Findens, läge dem Jünger der Ge¬
schichte ob, in die höhere Abtheilung einzutreten, um sein angesammeltes Wissen
mit einem selbständigen Können zu verschwistern, um das wie? — Sichtung und
Verarbeitung des Materials — kennen zu lernen, da er das wo? und was? inne
hat. Nunmehr kann er ganz unbefangen den Gedanken aufkommen lassen,
daß, wenn er fleißig und umsichtig ist, Niemand ans der Welt auch nur ein
Titelchen mehr zu finden vermag, wie er, es müßte denn ein unberechenbarer Zu¬
fall walten; jetzt kann er sich getrost sagen: mein Element ist nicht das Dunkel,
ich wandle im Lichte, in demselben Lichte, wie die besten Männer meiner
Wissenschaft! Und mit der Freudigkeit dieses Gefühls ist Großes gewonnen.

Im eigentlichen Seminare dürften noch weit günstigere Verhältnisse angebahnt
werden, wenn mehrere Studirende, von nicht ganz gleicher Semesterzahl, über
Gegenstände arbeiteten, die sich gegenseitig berühren, oder gar, wenn die Se¬
minarthätigkeit auch dem Stoffe nach mit den schriftlichen Arbeiten im Zu¬
sammenhange steht; es würde dadurch eine gründlichere und allseitigere Kenntniß
der Objekte gedeihen, dort der Eine bemerken, was der Andere übersah; man
würde sich gegenseitig mittheilen, sich anregen und zu wetteifern beginnen; der
Jüngere möchte den Aelteren gern einholen, der Aeltere will den Jüngeren
nicht vorkommen lassen. — Mag sein, daß Manchem diese Methode unwürdig
erscheint; der Verfasser ist anderer Ansicht und überzeugt, daß sie auch der
Wissenschaft bessere Resultate brächte, als das planlose Belieben des Subjekts, in
Folge dessen A. bisweilen in der griechischen, B. in der römischen Geschichte, C. über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/339>, abgerufen am 23.07.2024.