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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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ein bodenloser Leichtsinn im Herumrathen angetroffen wird. Das Glossar
von Du Cange befindet sich fast nie im Privatbesitz und wird deshalb bei
Weiten: nicht in dem Umfange und mit dem Nutzen zu Rathe gezogen, wie
man leicht glauben könnte. Erst ein langer saurer Fleiß, der sich durch Jahre
erstreckt, bringt eine ausreichende Sicherheit im Verständnisse mittelalterlicher
Schriftsteller hervor, und doch muß der Seminarist, seines Handwerkszeuges
mir theilweise mächtig, ununterbrochen seine Arbeiten liefern. -- Das Mi߬
verhältniß liegt am Tage. -- Nicht ganz so schlimm, aber doch zu vermerken
ist die Thatsache, daß die Geschichte Studirenden meistens nicht mit genügender
Kenntniß neuerer Sprachen ausgestattet sind, was zur Folge hat, daß Vieles
im Ausland Geschriebene nnr mangelhafte Berücksichtigung findet und
finden kann.

Hiermit wären wir auf den zweiten Uebelstand gekommen, der unseren
Seminaren anhaftet: die jüngeren Mitglieder derselben sind nicht allein ihres
Handwerkszeuges nicht Herr, sondern kennen es auch uur ungenügend. Oft
ist der Lehrer, wenn er ihnen ein Thema stellt, so gütig, auf einige Punkte be¬
sonders aufmerksam zu machen und einzelne dafür heranzuziehende Bücher zu
nennen; diese, die unter dem Texte stehenden Citate und vielleicht dann und
wann der Rath eines Freundes sind alles, was ihnen zu Gebote steht. Sie
gehen mit Lust und Liebe und großen Hoffnungen an die Arbeit, vertiefen sich
in den Stoff und sehen schon ein fernes Resultat verheißungsvoll dämmern;
da kommen die Schwierigkeiten und rathlos und fast ohne jegliches Mittel, sie
zu überwinden, stehen sie da.

Hierauf dürfte etwas näher einzugehen sein. Dein Verfasser sagte einst
ein Fachgenosse, der das sechste Semester erreicht hatte: "Ach Gott, wir "mit¬
telalterlichen Historiker" arbeiten und arbeiten, und wenn wir etwas fertig
brachten, kommt ein Anderer, der irgend eine verlegene Quellenstelle fand oder
eine benutzte anders auslegt, und stößt Alles um, was wir mühsam aufkanten;
wir spielen geradezu Lotterie, vielleicht machen wir einen glücklichen Griff, viel¬
leicht auch nicht. Dunkelheit ist unser Element!" -- Aehnlich hat wohl schon
mancher Kollege in düsteren Augenblicken gedacht. Wie leicht stoßen bei selb¬
ständiger Arbeit nicht Fragen auf, die ungenügend erörtert scheinen, wie leicht
geräth man nicht aus dem Rahmen heraus, der in den benutzten Büchern inne
gehalten wurde; -- was dann? -- Der Verfasser erinnert sich noch sehr ge¬
nau, wie es ihm mit seiner ersten Abhandlung ergangen. Von deutschen Ver¬
hältnissen unter Friedrich I. war ich auf französische gekommen und wollte
schier verzweifeln, weil ich nicht ruck- und nicht vorwärts wußte. Endlich
faßte ich ein Herz, ging zu meinem Lehrer und fragte ihn, ob er mir nicht
einige einschlägige Schriften augeben könne. Der Lehrer munterte mich auf


ein bodenloser Leichtsinn im Herumrathen angetroffen wird. Das Glossar
von Du Cange befindet sich fast nie im Privatbesitz und wird deshalb bei
Weiten: nicht in dem Umfange und mit dem Nutzen zu Rathe gezogen, wie
man leicht glauben könnte. Erst ein langer saurer Fleiß, der sich durch Jahre
erstreckt, bringt eine ausreichende Sicherheit im Verständnisse mittelalterlicher
Schriftsteller hervor, und doch muß der Seminarist, seines Handwerkszeuges
mir theilweise mächtig, ununterbrochen seine Arbeiten liefern. — Das Mi߬
verhältniß liegt am Tage. — Nicht ganz so schlimm, aber doch zu vermerken
ist die Thatsache, daß die Geschichte Studirenden meistens nicht mit genügender
Kenntniß neuerer Sprachen ausgestattet sind, was zur Folge hat, daß Vieles
im Ausland Geschriebene nnr mangelhafte Berücksichtigung findet und
finden kann.

Hiermit wären wir auf den zweiten Uebelstand gekommen, der unseren
Seminaren anhaftet: die jüngeren Mitglieder derselben sind nicht allein ihres
Handwerkszeuges nicht Herr, sondern kennen es auch uur ungenügend. Oft
ist der Lehrer, wenn er ihnen ein Thema stellt, so gütig, auf einige Punkte be¬
sonders aufmerksam zu machen und einzelne dafür heranzuziehende Bücher zu
nennen; diese, die unter dem Texte stehenden Citate und vielleicht dann und
wann der Rath eines Freundes sind alles, was ihnen zu Gebote steht. Sie
gehen mit Lust und Liebe und großen Hoffnungen an die Arbeit, vertiefen sich
in den Stoff und sehen schon ein fernes Resultat verheißungsvoll dämmern;
da kommen die Schwierigkeiten und rathlos und fast ohne jegliches Mittel, sie
zu überwinden, stehen sie da.

Hierauf dürfte etwas näher einzugehen sein. Dein Verfasser sagte einst
ein Fachgenosse, der das sechste Semester erreicht hatte: „Ach Gott, wir „mit¬
telalterlichen Historiker" arbeiten und arbeiten, und wenn wir etwas fertig
brachten, kommt ein Anderer, der irgend eine verlegene Quellenstelle fand oder
eine benutzte anders auslegt, und stößt Alles um, was wir mühsam aufkanten;
wir spielen geradezu Lotterie, vielleicht machen wir einen glücklichen Griff, viel¬
leicht auch nicht. Dunkelheit ist unser Element!" — Aehnlich hat wohl schon
mancher Kollege in düsteren Augenblicken gedacht. Wie leicht stoßen bei selb¬
ständiger Arbeit nicht Fragen auf, die ungenügend erörtert scheinen, wie leicht
geräth man nicht aus dem Rahmen heraus, der in den benutzten Büchern inne
gehalten wurde; — was dann? — Der Verfasser erinnert sich noch sehr ge¬
nau, wie es ihm mit seiner ersten Abhandlung ergangen. Von deutschen Ver¬
hältnissen unter Friedrich I. war ich auf französische gekommen und wollte
schier verzweifeln, weil ich nicht ruck- und nicht vorwärts wußte. Endlich
faßte ich ein Herz, ging zu meinem Lehrer und fragte ihn, ob er mir nicht
einige einschlägige Schriften augeben könne. Der Lehrer munterte mich auf


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[0335] ein bodenloser Leichtsinn im Herumrathen angetroffen wird. Das Glossar von Du Cange befindet sich fast nie im Privatbesitz und wird deshalb bei Weiten: nicht in dem Umfange und mit dem Nutzen zu Rathe gezogen, wie man leicht glauben könnte. Erst ein langer saurer Fleiß, der sich durch Jahre erstreckt, bringt eine ausreichende Sicherheit im Verständnisse mittelalterlicher Schriftsteller hervor, und doch muß der Seminarist, seines Handwerkszeuges mir theilweise mächtig, ununterbrochen seine Arbeiten liefern. — Das Mi߬ verhältniß liegt am Tage. — Nicht ganz so schlimm, aber doch zu vermerken ist die Thatsache, daß die Geschichte Studirenden meistens nicht mit genügender Kenntniß neuerer Sprachen ausgestattet sind, was zur Folge hat, daß Vieles im Ausland Geschriebene nnr mangelhafte Berücksichtigung findet und finden kann. Hiermit wären wir auf den zweiten Uebelstand gekommen, der unseren Seminaren anhaftet: die jüngeren Mitglieder derselben sind nicht allein ihres Handwerkszeuges nicht Herr, sondern kennen es auch uur ungenügend. Oft ist der Lehrer, wenn er ihnen ein Thema stellt, so gütig, auf einige Punkte be¬ sonders aufmerksam zu machen und einzelne dafür heranzuziehende Bücher zu nennen; diese, die unter dem Texte stehenden Citate und vielleicht dann und wann der Rath eines Freundes sind alles, was ihnen zu Gebote steht. Sie gehen mit Lust und Liebe und großen Hoffnungen an die Arbeit, vertiefen sich in den Stoff und sehen schon ein fernes Resultat verheißungsvoll dämmern; da kommen die Schwierigkeiten und rathlos und fast ohne jegliches Mittel, sie zu überwinden, stehen sie da. Hierauf dürfte etwas näher einzugehen sein. Dein Verfasser sagte einst ein Fachgenosse, der das sechste Semester erreicht hatte: „Ach Gott, wir „mit¬ telalterlichen Historiker" arbeiten und arbeiten, und wenn wir etwas fertig brachten, kommt ein Anderer, der irgend eine verlegene Quellenstelle fand oder eine benutzte anders auslegt, und stößt Alles um, was wir mühsam aufkanten; wir spielen geradezu Lotterie, vielleicht machen wir einen glücklichen Griff, viel¬ leicht auch nicht. Dunkelheit ist unser Element!" — Aehnlich hat wohl schon mancher Kollege in düsteren Augenblicken gedacht. Wie leicht stoßen bei selb¬ ständiger Arbeit nicht Fragen auf, die ungenügend erörtert scheinen, wie leicht geräth man nicht aus dem Rahmen heraus, der in den benutzten Büchern inne gehalten wurde; — was dann? — Der Verfasser erinnert sich noch sehr ge¬ nau, wie es ihm mit seiner ersten Abhandlung ergangen. Von deutschen Ver¬ hältnissen unter Friedrich I. war ich auf französische gekommen und wollte schier verzweifeln, weil ich nicht ruck- und nicht vorwärts wußte. Endlich faßte ich ein Herz, ging zu meinem Lehrer und fragte ihn, ob er mir nicht einige einschlägige Schriften augeben könne. Der Lehrer munterte mich auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/335>, abgerufen am 23.07.2024.