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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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und werden deshalb an den meisten Universitäten diplomatische Uebungen ab¬
gehalten, die als unentbehrliche Ergänzung des Obigen erscheinen dürften.

Es werden aber auch Ver gleich ungen von Quellen angestellt, bald in
der Art, daß die Teilnehmer an den Uebungen sich sämmtlich vorher über
das Dnrchzunehmende unterrichten, bald in der, daß ein Einzelner dies über¬
nimmt, welcher alsdann interpretirt, bald auch, daß keiner davon weiß und
erst beim Beginn der Stunde die nöthigen Bücher vorliegen, sogleich in mscliAS
reg gegangen wird und nun sich Jeder für oder wider entscheiden muß. Die
zuerst genannte Methode bietet den Vortheil, daß die Schüler sich, neben der
Quellenbenntzung, anch noch über die betreffenden Quellen orientiren, birgt
aber das Uebel, daß dies mehr zum Scheine, als in Wirklichkeit geschieht, und
es ist deshalb die zweite eingeführt, welche den Seminaristen Erleichterung der
Arbeitslast gewährt, wobei dann allerdings viele derselben zu stummen Gästen
werden. Die zuletzt angeführte Manier endlich befördert am meisten, wir
dürfen wohl sagen, die Kunst des Arbeitens, das schnelle scharfe Treffen des
Richtigen; erfordert jedoch große Sicherheit im unmittelbaren Verständnisse frem¬
der Sprachen, wie sie meistens erst älteren Studirenden eigen ist, und es liegt
mithin die Gefahr nahe, daß ein Theil der Anwesenden gar nicht weiß, was
in dem zusammengetragenen Material enthalten ist, zumal dann, wenn wenige
Bücherexemplare vorhanden sind und die Mehrzahl sich mit Anhören von Vor¬
gelesenem begnügen muß.

Neben der Art, die sich vornehmlich mit einer Quelle beschäftigt und
derjenigen, welche mehrere neben einander stellt, wird auch noch versucht,
einen Zeitabschnitt oder ein Ereigniß auf Grund der gesammten ein¬
schlügigen Nachrichten klar zu legen. Wenn hier der Lehrer nicht die ganze
Thätigkeit auf sich nimmt und vortragend verfährt, wenn es gelingt, die Semi¬
naristen in die Arbeit hineinzuziehen, so dürfte der schließliche Gewinn dem
Umfange nach am größten sein. Die Betheiligten lernen ein mannigfaltiges
Material kennen und verwerthen, auch Urkunden und Akten, ^sie lernen Quel¬
lenvergleichung, Kritik und Berichtigung falsch aufgefaßter und dargestellter
Thatsachen, mithin Emanzipation vom Gedruckten und Ueberkommenen,> welche
selbstverständlich auch durch die beiden vorhin erwähnten Systeme befördert
wird. Alle drei werden bisweilen von einem und demselben Docenten in An¬
wendung gebracht.

Versuchen wir das Resultat der Seminarthätigkeit zu ziehen, so dürfte es
lauten: der Schüler lernt gegebenes Material kennen, lernt damit umgehen
und es ausbeuten.

Die Schwäche liegt in "dem gegebenen Material". Um ihr zu begegnen,
ist die Einrichtung getroffen, schriftliche Arbeiten anfertigen zu lassen, in denen


und werden deshalb an den meisten Universitäten diplomatische Uebungen ab¬
gehalten, die als unentbehrliche Ergänzung des Obigen erscheinen dürften.

Es werden aber auch Ver gleich ungen von Quellen angestellt, bald in
der Art, daß die Teilnehmer an den Uebungen sich sämmtlich vorher über
das Dnrchzunehmende unterrichten, bald in der, daß ein Einzelner dies über¬
nimmt, welcher alsdann interpretirt, bald auch, daß keiner davon weiß und
erst beim Beginn der Stunde die nöthigen Bücher vorliegen, sogleich in mscliAS
reg gegangen wird und nun sich Jeder für oder wider entscheiden muß. Die
zuerst genannte Methode bietet den Vortheil, daß die Schüler sich, neben der
Quellenbenntzung, anch noch über die betreffenden Quellen orientiren, birgt
aber das Uebel, daß dies mehr zum Scheine, als in Wirklichkeit geschieht, und
es ist deshalb die zweite eingeführt, welche den Seminaristen Erleichterung der
Arbeitslast gewährt, wobei dann allerdings viele derselben zu stummen Gästen
werden. Die zuletzt angeführte Manier endlich befördert am meisten, wir
dürfen wohl sagen, die Kunst des Arbeitens, das schnelle scharfe Treffen des
Richtigen; erfordert jedoch große Sicherheit im unmittelbaren Verständnisse frem¬
der Sprachen, wie sie meistens erst älteren Studirenden eigen ist, und es liegt
mithin die Gefahr nahe, daß ein Theil der Anwesenden gar nicht weiß, was
in dem zusammengetragenen Material enthalten ist, zumal dann, wenn wenige
Bücherexemplare vorhanden sind und die Mehrzahl sich mit Anhören von Vor¬
gelesenem begnügen muß.

Neben der Art, die sich vornehmlich mit einer Quelle beschäftigt und
derjenigen, welche mehrere neben einander stellt, wird auch noch versucht,
einen Zeitabschnitt oder ein Ereigniß auf Grund der gesammten ein¬
schlügigen Nachrichten klar zu legen. Wenn hier der Lehrer nicht die ganze
Thätigkeit auf sich nimmt und vortragend verfährt, wenn es gelingt, die Semi¬
naristen in die Arbeit hineinzuziehen, so dürfte der schließliche Gewinn dem
Umfange nach am größten sein. Die Betheiligten lernen ein mannigfaltiges
Material kennen und verwerthen, auch Urkunden und Akten, ^sie lernen Quel¬
lenvergleichung, Kritik und Berichtigung falsch aufgefaßter und dargestellter
Thatsachen, mithin Emanzipation vom Gedruckten und Ueberkommenen,> welche
selbstverständlich auch durch die beiden vorhin erwähnten Systeme befördert
wird. Alle drei werden bisweilen von einem und demselben Docenten in An¬
wendung gebracht.

Versuchen wir das Resultat der Seminarthätigkeit zu ziehen, so dürfte es
lauten: der Schüler lernt gegebenes Material kennen, lernt damit umgehen
und es ausbeuten.

Die Schwäche liegt in „dem gegebenen Material". Um ihr zu begegnen,
ist die Einrichtung getroffen, schriftliche Arbeiten anfertigen zu lassen, in denen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/333>, abgerufen am 23.07.2024.