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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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quält, die Kontrolle sei dort weniger streng, Unwissenheit lasse sich besser ver¬
tuschen, eine Dissertation leichter zusammenstellen, und später sei es für den Lehrer
anch ungleich bequemer, uach einem Handbuche Geschichte vorzutragen, als
griechische und lateinische Arbeiten zu corrigiren.

Ganz selten sind die Fälle, wo ein Gewerbetreibender oder Kaufmann die
Gcdankensphäre, welche sich um ihn gelagert hat, gewaltsam dnrchreißt und die
Geschichte als den Beruf seiner Bestimmung ergreift.

Der hierhin Gehörige sowohl, als auch der Exphilolvge bewegen sich in
einer durch ihre Subjektivität bestimmten Weise und können deshalb neben dem
Abiturienten nicht gesondert in Betracht kommen, der regelrecht das Gymnasium
verließ, um "Historiker zu werden". Mit gutem Willen, geringer Kenntniß
und unklarer Vorstellung von seinen: Berufe pflegt er zur Universität zu ziehen.
Es ist für ihn als eine entschieden günstige Fügung zu preisen, wenn ein be¬
reits eingebürgerter Studirender sich seiner annimmt und ihn in eine Gesell¬
schaft einführt, die unter anderen Cvmilitvnen anch ältere Fachgenossen ent¬
hält, deren höchste Wonne weder im Bierglase ruht, noch anch einzig über dem
aufgeschlagenen Folianten empfunden wird. Doch diese Fälle sind, zumal an
größeren Universitäten, seltener als man gemeiniglich glaubt, und selbst auf
kleinerm ist es nichts Unerhörtes, daß Fachgenossen ganze Semester lang die¬
selben Vorlesungen hören, ja sogar an denselben Uebungen theilnehmen, ohne
daß eine persönliche Annäherung einträte.

Den besten Punkt der. Vereinigung bildet die höhere Instanz des Pro¬
fessors, der entweder den jungen Ankömmling einem älteren Studirenden über¬
weist, um ihn weiter in die engere Zunft der Gleichstrebenden zu befördern,
wie sie sich an den meisten Universitäten herausgebildet und vielfach in einem
"Vereine" Ausdruck gefunden hat; oder auch ältere und jüngere Leute zu sich
ins Haus ladet und dort mit einander bekannt macht. Einmal das Eis der
modernen studentischen Exclusivität gebrochen, zeigt sich auch bald das deutsche
Gemüth.

Verkehr mit Fachgenossen vou höherer Semesterzahl wird sich durchgehends
als fruchtbringend erweisen, nicht immer jedoch in hohem Grade, da der ältere
Student sich meistens schon ein Arbeitsfeld abgesteckt hat, dem er Zeit und
Aufmerksamkeit fast ausschließlich widmet, während er das, was jenseits des¬
selben liegt, mehr als wünschenswert!) vernachlässigt. Das Gebiet der Thätig¬
keit jüngerer Jahre entscheidet gewöhnlich der Rath des akademischen Lehrers,
und ist es, bei der unendlichen Weite der Wissenschaft, selbstverständlich ein
seltener Fall, daß es sich mit dem des älteren Genossen berührt. Am günstig¬
sten für gegenseitige Förderung steht es an deu Universitäten, an welchen eine
verhältnißmüßig große Zahl von Fachleuten unter dem Einflüsse eines nam-


quält, die Kontrolle sei dort weniger streng, Unwissenheit lasse sich besser ver¬
tuschen, eine Dissertation leichter zusammenstellen, und später sei es für den Lehrer
anch ungleich bequemer, uach einem Handbuche Geschichte vorzutragen, als
griechische und lateinische Arbeiten zu corrigiren.

Ganz selten sind die Fälle, wo ein Gewerbetreibender oder Kaufmann die
Gcdankensphäre, welche sich um ihn gelagert hat, gewaltsam dnrchreißt und die
Geschichte als den Beruf seiner Bestimmung ergreift.

Der hierhin Gehörige sowohl, als auch der Exphilolvge bewegen sich in
einer durch ihre Subjektivität bestimmten Weise und können deshalb neben dem
Abiturienten nicht gesondert in Betracht kommen, der regelrecht das Gymnasium
verließ, um „Historiker zu werden". Mit gutem Willen, geringer Kenntniß
und unklarer Vorstellung von seinen: Berufe pflegt er zur Universität zu ziehen.
Es ist für ihn als eine entschieden günstige Fügung zu preisen, wenn ein be¬
reits eingebürgerter Studirender sich seiner annimmt und ihn in eine Gesell¬
schaft einführt, die unter anderen Cvmilitvnen anch ältere Fachgenossen ent¬
hält, deren höchste Wonne weder im Bierglase ruht, noch anch einzig über dem
aufgeschlagenen Folianten empfunden wird. Doch diese Fälle sind, zumal an
größeren Universitäten, seltener als man gemeiniglich glaubt, und selbst auf
kleinerm ist es nichts Unerhörtes, daß Fachgenossen ganze Semester lang die¬
selben Vorlesungen hören, ja sogar an denselben Uebungen theilnehmen, ohne
daß eine persönliche Annäherung einträte.

Den besten Punkt der. Vereinigung bildet die höhere Instanz des Pro¬
fessors, der entweder den jungen Ankömmling einem älteren Studirenden über¬
weist, um ihn weiter in die engere Zunft der Gleichstrebenden zu befördern,
wie sie sich an den meisten Universitäten herausgebildet und vielfach in einem
„Vereine" Ausdruck gefunden hat; oder auch ältere und jüngere Leute zu sich
ins Haus ladet und dort mit einander bekannt macht. Einmal das Eis der
modernen studentischen Exclusivität gebrochen, zeigt sich auch bald das deutsche
Gemüth.

Verkehr mit Fachgenossen vou höherer Semesterzahl wird sich durchgehends
als fruchtbringend erweisen, nicht immer jedoch in hohem Grade, da der ältere
Student sich meistens schon ein Arbeitsfeld abgesteckt hat, dem er Zeit und
Aufmerksamkeit fast ausschließlich widmet, während er das, was jenseits des¬
selben liegt, mehr als wünschenswert!) vernachlässigt. Das Gebiet der Thätig¬
keit jüngerer Jahre entscheidet gewöhnlich der Rath des akademischen Lehrers,
und ist es, bei der unendlichen Weite der Wissenschaft, selbstverständlich ein
seltener Fall, daß es sich mit dem des älteren Genossen berührt. Am günstig¬
sten für gegenseitige Förderung steht es an deu Universitäten, an welchen eine
verhältnißmüßig große Zahl von Fachleuten unter dem Einflüsse eines nam-


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[0331] quält, die Kontrolle sei dort weniger streng, Unwissenheit lasse sich besser ver¬ tuschen, eine Dissertation leichter zusammenstellen, und später sei es für den Lehrer anch ungleich bequemer, uach einem Handbuche Geschichte vorzutragen, als griechische und lateinische Arbeiten zu corrigiren. Ganz selten sind die Fälle, wo ein Gewerbetreibender oder Kaufmann die Gcdankensphäre, welche sich um ihn gelagert hat, gewaltsam dnrchreißt und die Geschichte als den Beruf seiner Bestimmung ergreift. Der hierhin Gehörige sowohl, als auch der Exphilolvge bewegen sich in einer durch ihre Subjektivität bestimmten Weise und können deshalb neben dem Abiturienten nicht gesondert in Betracht kommen, der regelrecht das Gymnasium verließ, um „Historiker zu werden". Mit gutem Willen, geringer Kenntniß und unklarer Vorstellung von seinen: Berufe pflegt er zur Universität zu ziehen. Es ist für ihn als eine entschieden günstige Fügung zu preisen, wenn ein be¬ reits eingebürgerter Studirender sich seiner annimmt und ihn in eine Gesell¬ schaft einführt, die unter anderen Cvmilitvnen anch ältere Fachgenossen ent¬ hält, deren höchste Wonne weder im Bierglase ruht, noch anch einzig über dem aufgeschlagenen Folianten empfunden wird. Doch diese Fälle sind, zumal an größeren Universitäten, seltener als man gemeiniglich glaubt, und selbst auf kleinerm ist es nichts Unerhörtes, daß Fachgenossen ganze Semester lang die¬ selben Vorlesungen hören, ja sogar an denselben Uebungen theilnehmen, ohne daß eine persönliche Annäherung einträte. Den besten Punkt der. Vereinigung bildet die höhere Instanz des Pro¬ fessors, der entweder den jungen Ankömmling einem älteren Studirenden über¬ weist, um ihn weiter in die engere Zunft der Gleichstrebenden zu befördern, wie sie sich an den meisten Universitäten herausgebildet und vielfach in einem „Vereine" Ausdruck gefunden hat; oder auch ältere und jüngere Leute zu sich ins Haus ladet und dort mit einander bekannt macht. Einmal das Eis der modernen studentischen Exclusivität gebrochen, zeigt sich auch bald das deutsche Gemüth. Verkehr mit Fachgenossen vou höherer Semesterzahl wird sich durchgehends als fruchtbringend erweisen, nicht immer jedoch in hohem Grade, da der ältere Student sich meistens schon ein Arbeitsfeld abgesteckt hat, dem er Zeit und Aufmerksamkeit fast ausschließlich widmet, während er das, was jenseits des¬ selben liegt, mehr als wünschenswert!) vernachlässigt. Das Gebiet der Thätig¬ keit jüngerer Jahre entscheidet gewöhnlich der Rath des akademischen Lehrers, und ist es, bei der unendlichen Weite der Wissenschaft, selbstverständlich ein seltener Fall, daß es sich mit dem des älteren Genossen berührt. Am günstig¬ sten für gegenseitige Förderung steht es an deu Universitäten, an welchen eine verhältnißmüßig große Zahl von Fachleuten unter dem Einflüsse eines nam-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/331>, abgerufen am 23.07.2024.