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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Möglichkeit fehle, das Ohr der Regierung zu gewinnen. In der That, es
stünde schlecht mit unserm Constitutionalismus, wenn dieses Recht irgend einer
Minoritätspartei von der Majorität der Volksvertretung verkümmert würde-
Aber was die Majorität verlangen kann und verlangen muß, ist, daß die Be¬
schwerden basirt seien auf gesetzlicher Grundlage, und daß ihr Thatbestand un¬
anfechtbar klar sei. Die große Mehrzahl der nltramvntnnen Querelen ist
entweder direkt gegen zu Recht bestehende Gesetze gerichtet, oder sie bezieht
sich auf Vorgänge, welche noch nicht genügend aufgeklärt sind und jedenfalls
nicht vom Plenum des Abgeordnetenhauses in ihrem wahren Wesen und Zu¬
sammenhange sofort erklärt werden können. Was Wunder, wenn auch den
Nachsichtigsten über solch nutzlose Zeitvergeudung endlich die Geduld reißt!
Obendrein steht der Reichstag vor der Thür; die Zeit drängt, wenn man nicht
alle Unannehmlichkeiten eines Nebeneinandertagens der beiden Parlamente aufs
Neue kosten will. Da war denn Laster wahrlich vollauf berechtigt zu dem
Vorschlage, durch Zuhülfenahme von Abendfitzungen die Arbeiten zu beschleunigen.
Daß das Centrum aus Leibeskräften vpponirte, verstand sich von selbst; aber
schärfer womöglich noch, und unter Anrufung aller Grundsätze des Rechts¬
staats, eiferte Herr Eugen Richter gegen den Vorschlag. Natürlich, wenn man
den Ultramontanen seinen Reichstagssitz verdankt, so hat man gewisse Ver¬
pflichtungen! Wir hoffen indeß, die Majorität wird sich dnrch all dies Ge¬
zeter nicht abhalten lassen, zu thun, was das Wohl des Landes, das Interesse
der parlamentarischen Geschäfte und nicht zuletzt die Würde der Volksvertretung
erheischt.

Im Uebrigen hat Niemand mehr Grund, mit der Kampsweise des Centrums
zufrieden zu sein, als der Minister des Innern Graf Eulenburg; denn ganz von
selbst werden dadurch die Angriffe, denen er von Seiten der Liberalen ausgesetzt
ist, auf das Minimum beschränkt und treten in den Hintergrund. Er hat im
Grunde nur einen ernsthaften Strauß von dieser Seite zu bestehen gehabt,
in der leidigen Frage der Ausdehnung der Verwaltungsreform auf Rheinland
und Westphalen. Bekanntlich hat diese Angelegenheit schon im vorigen Jahre
viel Staub aufgewirbelt. Die Regierung hielt die Einführung der neuen
Selbstverwaltungsgesetze in diese Provinzen, solange der Conflikt zwischen
Staat und Kirche andauert, nicht für opportun; die Mehrheit des Hauses,
zusammengesetzt aus der großen Majorität der liberalen Parteien und dem
Centrum, war entgegengesetzter Ansicht. Ein kleiner Theil der liberalen Seite
aber, an der Spitze v. Sybel, stellte sich auf den Standpunkt der Regierung,
und es wurde sogar behauptet, daß die letztere erst durch die Vorstellungen
Sybels sich habe bestimmen lassen, den bereits fertiggestellten Entwurf einer
Kreisordnnng für Rheinland - Westphalen wieder bei Seite zu legen. Dieselbe


Möglichkeit fehle, das Ohr der Regierung zu gewinnen. In der That, es
stünde schlecht mit unserm Constitutionalismus, wenn dieses Recht irgend einer
Minoritätspartei von der Majorität der Volksvertretung verkümmert würde-
Aber was die Majorität verlangen kann und verlangen muß, ist, daß die Be¬
schwerden basirt seien auf gesetzlicher Grundlage, und daß ihr Thatbestand un¬
anfechtbar klar sei. Die große Mehrzahl der nltramvntnnen Querelen ist
entweder direkt gegen zu Recht bestehende Gesetze gerichtet, oder sie bezieht
sich auf Vorgänge, welche noch nicht genügend aufgeklärt sind und jedenfalls
nicht vom Plenum des Abgeordnetenhauses in ihrem wahren Wesen und Zu¬
sammenhange sofort erklärt werden können. Was Wunder, wenn auch den
Nachsichtigsten über solch nutzlose Zeitvergeudung endlich die Geduld reißt!
Obendrein steht der Reichstag vor der Thür; die Zeit drängt, wenn man nicht
alle Unannehmlichkeiten eines Nebeneinandertagens der beiden Parlamente aufs
Neue kosten will. Da war denn Laster wahrlich vollauf berechtigt zu dem
Vorschlage, durch Zuhülfenahme von Abendfitzungen die Arbeiten zu beschleunigen.
Daß das Centrum aus Leibeskräften vpponirte, verstand sich von selbst; aber
schärfer womöglich noch, und unter Anrufung aller Grundsätze des Rechts¬
staats, eiferte Herr Eugen Richter gegen den Vorschlag. Natürlich, wenn man
den Ultramontanen seinen Reichstagssitz verdankt, so hat man gewisse Ver¬
pflichtungen! Wir hoffen indeß, die Majorität wird sich dnrch all dies Ge¬
zeter nicht abhalten lassen, zu thun, was das Wohl des Landes, das Interesse
der parlamentarischen Geschäfte und nicht zuletzt die Würde der Volksvertretung
erheischt.

Im Uebrigen hat Niemand mehr Grund, mit der Kampsweise des Centrums
zufrieden zu sein, als der Minister des Innern Graf Eulenburg; denn ganz von
selbst werden dadurch die Angriffe, denen er von Seiten der Liberalen ausgesetzt
ist, auf das Minimum beschränkt und treten in den Hintergrund. Er hat im
Grunde nur einen ernsthaften Strauß von dieser Seite zu bestehen gehabt,
in der leidigen Frage der Ausdehnung der Verwaltungsreform auf Rheinland
und Westphalen. Bekanntlich hat diese Angelegenheit schon im vorigen Jahre
viel Staub aufgewirbelt. Die Regierung hielt die Einführung der neuen
Selbstverwaltungsgesetze in diese Provinzen, solange der Conflikt zwischen
Staat und Kirche andauert, nicht für opportun; die Mehrheit des Hauses,
zusammengesetzt aus der großen Majorität der liberalen Parteien und dem
Centrum, war entgegengesetzter Ansicht. Ein kleiner Theil der liberalen Seite
aber, an der Spitze v. Sybel, stellte sich auf den Standpunkt der Regierung,
und es wurde sogar behauptet, daß die letztere erst durch die Vorstellungen
Sybels sich habe bestimmen lassen, den bereits fertiggestellten Entwurf einer
Kreisordnnng für Rheinland - Westphalen wieder bei Seite zu legen. Dieselbe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/323>, abgerufen am 23.07.2024.