Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

revidirten Statuten der Vereinigten Staaten sollen die Wahlmänner sich in
ihren respectiven Staaten am ersten Mittwoch des ihrer Erwühlung oder Er¬
nennung folgenden Monats December an dem dazu von den Staatsgesetz¬
gebungen bezeichneten Orten (gewöhnlich am Sitze der Staatsregierung) ver¬
sammeln und daselbst die Wahl des Präsidenten, resp, des Vicepräsidenten,
mittelst Stimmzettel vornehmen, und zwar in der Weise, daß für jeden der
beiden genannten Beamten, die jedoch nicht beide Einwohner eines und desselben
Unionsstaates sein dürfen, auf besonderen Stimmzetteln abgestimmt wird.
Sollte durch irgend einen Umstand eine Vacanz in der Elektoren- oder Wahl¬
männerzahl eintreten, so gilt in den meisten Unionsstaaten die Regel, daß die
übrigen Elektoren diese Vacanz durch freie Wahl ausfüllen. Ueber das Er¬
gebniß der Abstimmungen der Elektoren wird ein dreifaches Protokoll mit
genauer Angabe der abgegebenen Stimmen ausgefertigt und, mit der Unter¬
schrift der Elektoren oder zum Mindesten der Majorität derselben versehen;
es werden davon zwei Exemplare versiegelt an den Präsidenten des Bundessenats
in Washington befördert, nämlich eines sofort per Post und das andere bis
spätestens zum ersten Mittwoch des darauf folgenden Januar durch eiuen be¬
sonderen von den Wcchlmünnern dazu beauftragten Boten. Das dritte Proto¬
koll endlich wird auf demjenigen Bundes-Bezirksgericht niedergelegt, innerhalb
dessen Gerichtsbarkeit die Abstimmung der Elektoren stattgefunden hat.

So complicirt nun dieses Wahlsystem auch erscheint, so ist es doch in
mancher Hinsicht nicht ausreichend; dies tritt deutlich hervor, wenn es sich,
wie z. B. bei der jüngsten Wahlmännerwahl, nur um eine einzige Wahlstimme
oder um eine ganz kleine Mehrheit handelt. Bisher ist es als ausgemacht
betrachtet worden, daß die in den einzelnen Staaten gewählten Elektoren
unfehlbar demjenigen Präsidentschaftskandidaten ihre Stimmen geben werden,
welcher von ihrer Partei nominirt worden ist. Es steht aber in der Macht
eines jeden Wahlmannes, seine Stimme für irgend einen Beliebiger, also auch
für den Kandidaten der Gegenpartei, zu werfen. Nach der Konstitution würde
eine solche Stimme unbedingt gültig sein und die von dem betreffenden Elektvr
betrogene Partei würde gesetzlich absolut keinen Regreß dagegen haben. Es
liegt also bei einer solchen von einer oder nur wenigen Stimmen abhängigen
Wahl die Möglichkeit corrupter Beeinflussung vor, um so mehr, als die Elek¬
toren im Wahlcollegium nicht offen, sondern mit geschlossenen Stimmzetteln
poliren. Ein solcher Fall ist allerdings noch nicht vorgekommen, aber wer
steht dafür, daß er nicht vorkommen kann, wenn es sich zur Entscheidung einer
Präsidentenwahl nur um eine oder sehr wenige Elektoralstimmen handelt?
Aber auch abgesehen von der Möglichkeit des Wortbruchs und der Corruption
könnten ein Elektor oder mehrere sehr leicht, sei es aus freiem Willen oder


revidirten Statuten der Vereinigten Staaten sollen die Wahlmänner sich in
ihren respectiven Staaten am ersten Mittwoch des ihrer Erwühlung oder Er¬
nennung folgenden Monats December an dem dazu von den Staatsgesetz¬
gebungen bezeichneten Orten (gewöhnlich am Sitze der Staatsregierung) ver¬
sammeln und daselbst die Wahl des Präsidenten, resp, des Vicepräsidenten,
mittelst Stimmzettel vornehmen, und zwar in der Weise, daß für jeden der
beiden genannten Beamten, die jedoch nicht beide Einwohner eines und desselben
Unionsstaates sein dürfen, auf besonderen Stimmzetteln abgestimmt wird.
Sollte durch irgend einen Umstand eine Vacanz in der Elektoren- oder Wahl¬
männerzahl eintreten, so gilt in den meisten Unionsstaaten die Regel, daß die
übrigen Elektoren diese Vacanz durch freie Wahl ausfüllen. Ueber das Er¬
gebniß der Abstimmungen der Elektoren wird ein dreifaches Protokoll mit
genauer Angabe der abgegebenen Stimmen ausgefertigt und, mit der Unter¬
schrift der Elektoren oder zum Mindesten der Majorität derselben versehen;
es werden davon zwei Exemplare versiegelt an den Präsidenten des Bundessenats
in Washington befördert, nämlich eines sofort per Post und das andere bis
spätestens zum ersten Mittwoch des darauf folgenden Januar durch eiuen be¬
sonderen von den Wcchlmünnern dazu beauftragten Boten. Das dritte Proto¬
koll endlich wird auf demjenigen Bundes-Bezirksgericht niedergelegt, innerhalb
dessen Gerichtsbarkeit die Abstimmung der Elektoren stattgefunden hat.

So complicirt nun dieses Wahlsystem auch erscheint, so ist es doch in
mancher Hinsicht nicht ausreichend; dies tritt deutlich hervor, wenn es sich,
wie z. B. bei der jüngsten Wahlmännerwahl, nur um eine einzige Wahlstimme
oder um eine ganz kleine Mehrheit handelt. Bisher ist es als ausgemacht
betrachtet worden, daß die in den einzelnen Staaten gewählten Elektoren
unfehlbar demjenigen Präsidentschaftskandidaten ihre Stimmen geben werden,
welcher von ihrer Partei nominirt worden ist. Es steht aber in der Macht
eines jeden Wahlmannes, seine Stimme für irgend einen Beliebiger, also auch
für den Kandidaten der Gegenpartei, zu werfen. Nach der Konstitution würde
eine solche Stimme unbedingt gültig sein und die von dem betreffenden Elektvr
betrogene Partei würde gesetzlich absolut keinen Regreß dagegen haben. Es
liegt also bei einer solchen von einer oder nur wenigen Stimmen abhängigen
Wahl die Möglichkeit corrupter Beeinflussung vor, um so mehr, als die Elek¬
toren im Wahlcollegium nicht offen, sondern mit geschlossenen Stimmzetteln
poliren. Ein solcher Fall ist allerdings noch nicht vorgekommen, aber wer
steht dafür, daß er nicht vorkommen kann, wenn es sich zur Entscheidung einer
Präsidentenwahl nur um eine oder sehr wenige Elektoralstimmen handelt?
Aber auch abgesehen von der Möglichkeit des Wortbruchs und der Corruption
könnten ein Elektor oder mehrere sehr leicht, sei es aus freiem Willen oder


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0032" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137205"/>
          <p xml:id="ID_113" prev="#ID_112"> revidirten Statuten der Vereinigten Staaten sollen die Wahlmänner sich in<lb/>
ihren respectiven Staaten am ersten Mittwoch des ihrer Erwühlung oder Er¬<lb/>
nennung folgenden Monats December an dem dazu von den Staatsgesetz¬<lb/>
gebungen bezeichneten Orten (gewöhnlich am Sitze der Staatsregierung) ver¬<lb/>
sammeln und daselbst die Wahl des Präsidenten, resp, des Vicepräsidenten,<lb/>
mittelst Stimmzettel vornehmen, und zwar in der Weise, daß für jeden der<lb/>
beiden genannten Beamten, die jedoch nicht beide Einwohner eines und desselben<lb/>
Unionsstaates sein dürfen, auf besonderen Stimmzetteln abgestimmt wird.<lb/>
Sollte durch irgend einen Umstand eine Vacanz in der Elektoren- oder Wahl¬<lb/>
männerzahl eintreten, so gilt in den meisten Unionsstaaten die Regel, daß die<lb/>
übrigen Elektoren diese Vacanz durch freie Wahl ausfüllen. Ueber das Er¬<lb/>
gebniß der Abstimmungen der Elektoren wird ein dreifaches Protokoll mit<lb/>
genauer Angabe der abgegebenen Stimmen ausgefertigt und, mit der Unter¬<lb/>
schrift der Elektoren oder zum Mindesten der Majorität derselben versehen;<lb/>
es werden davon zwei Exemplare versiegelt an den Präsidenten des Bundessenats<lb/>
in Washington befördert, nämlich eines sofort per Post und das andere bis<lb/>
spätestens zum ersten Mittwoch des darauf folgenden Januar durch eiuen be¬<lb/>
sonderen von den Wcchlmünnern dazu beauftragten Boten. Das dritte Proto¬<lb/>
koll endlich wird auf demjenigen Bundes-Bezirksgericht niedergelegt, innerhalb<lb/>
dessen Gerichtsbarkeit die Abstimmung der Elektoren stattgefunden hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_114" next="#ID_115"> So complicirt nun dieses Wahlsystem auch erscheint, so ist es doch in<lb/>
mancher Hinsicht nicht ausreichend; dies tritt deutlich hervor, wenn es sich,<lb/>
wie z. B. bei der jüngsten Wahlmännerwahl, nur um eine einzige Wahlstimme<lb/>
oder um eine ganz kleine Mehrheit handelt. Bisher ist es als ausgemacht<lb/>
betrachtet worden, daß die in den einzelnen Staaten gewählten Elektoren<lb/>
unfehlbar demjenigen Präsidentschaftskandidaten ihre Stimmen geben werden,<lb/>
welcher von ihrer Partei nominirt worden ist. Es steht aber in der Macht<lb/>
eines jeden Wahlmannes, seine Stimme für irgend einen Beliebiger, also auch<lb/>
für den Kandidaten der Gegenpartei, zu werfen. Nach der Konstitution würde<lb/>
eine solche Stimme unbedingt gültig sein und die von dem betreffenden Elektvr<lb/>
betrogene Partei würde gesetzlich absolut keinen Regreß dagegen haben. Es<lb/>
liegt also bei einer solchen von einer oder nur wenigen Stimmen abhängigen<lb/>
Wahl die Möglichkeit corrupter Beeinflussung vor, um so mehr, als die Elek¬<lb/>
toren im Wahlcollegium nicht offen, sondern mit geschlossenen Stimmzetteln<lb/>
poliren. Ein solcher Fall ist allerdings noch nicht vorgekommen, aber wer<lb/>
steht dafür, daß er nicht vorkommen kann, wenn es sich zur Entscheidung einer<lb/>
Präsidentenwahl nur um eine oder sehr wenige Elektoralstimmen handelt?<lb/>
Aber auch abgesehen von der Möglichkeit des Wortbruchs und der Corruption<lb/>
könnten ein Elektor oder mehrere sehr leicht, sei es aus freiem Willen oder</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0032] revidirten Statuten der Vereinigten Staaten sollen die Wahlmänner sich in ihren respectiven Staaten am ersten Mittwoch des ihrer Erwühlung oder Er¬ nennung folgenden Monats December an dem dazu von den Staatsgesetz¬ gebungen bezeichneten Orten (gewöhnlich am Sitze der Staatsregierung) ver¬ sammeln und daselbst die Wahl des Präsidenten, resp, des Vicepräsidenten, mittelst Stimmzettel vornehmen, und zwar in der Weise, daß für jeden der beiden genannten Beamten, die jedoch nicht beide Einwohner eines und desselben Unionsstaates sein dürfen, auf besonderen Stimmzetteln abgestimmt wird. Sollte durch irgend einen Umstand eine Vacanz in der Elektoren- oder Wahl¬ männerzahl eintreten, so gilt in den meisten Unionsstaaten die Regel, daß die übrigen Elektoren diese Vacanz durch freie Wahl ausfüllen. Ueber das Er¬ gebniß der Abstimmungen der Elektoren wird ein dreifaches Protokoll mit genauer Angabe der abgegebenen Stimmen ausgefertigt und, mit der Unter¬ schrift der Elektoren oder zum Mindesten der Majorität derselben versehen; es werden davon zwei Exemplare versiegelt an den Präsidenten des Bundessenats in Washington befördert, nämlich eines sofort per Post und das andere bis spätestens zum ersten Mittwoch des darauf folgenden Januar durch eiuen be¬ sonderen von den Wcchlmünnern dazu beauftragten Boten. Das dritte Proto¬ koll endlich wird auf demjenigen Bundes-Bezirksgericht niedergelegt, innerhalb dessen Gerichtsbarkeit die Abstimmung der Elektoren stattgefunden hat. So complicirt nun dieses Wahlsystem auch erscheint, so ist es doch in mancher Hinsicht nicht ausreichend; dies tritt deutlich hervor, wenn es sich, wie z. B. bei der jüngsten Wahlmännerwahl, nur um eine einzige Wahlstimme oder um eine ganz kleine Mehrheit handelt. Bisher ist es als ausgemacht betrachtet worden, daß die in den einzelnen Staaten gewählten Elektoren unfehlbar demjenigen Präsidentschaftskandidaten ihre Stimmen geben werden, welcher von ihrer Partei nominirt worden ist. Es steht aber in der Macht eines jeden Wahlmannes, seine Stimme für irgend einen Beliebiger, also auch für den Kandidaten der Gegenpartei, zu werfen. Nach der Konstitution würde eine solche Stimme unbedingt gültig sein und die von dem betreffenden Elektvr betrogene Partei würde gesetzlich absolut keinen Regreß dagegen haben. Es liegt also bei einer solchen von einer oder nur wenigen Stimmen abhängigen Wahl die Möglichkeit corrupter Beeinflussung vor, um so mehr, als die Elek¬ toren im Wahlcollegium nicht offen, sondern mit geschlossenen Stimmzetteln poliren. Ein solcher Fall ist allerdings noch nicht vorgekommen, aber wer steht dafür, daß er nicht vorkommen kann, wenn es sich zur Entscheidung einer Präsidentenwahl nur um eine oder sehr wenige Elektoralstimmen handelt? Aber auch abgesehen von der Möglichkeit des Wortbruchs und der Corruption könnten ein Elektor oder mehrere sehr leicht, sei es aus freiem Willen oder

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/32
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/32>, abgerufen am 23.07.2024.