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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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uns als einen: Faktor rechnen, man soll uns und unsere Forderungen auch
respectiren. Wir wollen nichts als die Freiheit, katholisch zu sein. Wir wollen
die Selbständigkeit unserer Kirche, welche der Gottmensch selbst mit seinem
Blute erkauft hat/' Und wie so gegen die draußen, hieß es dann gegen die
drinnen: "der Katholizismus, der viele Feinde hat, hat gleichwohl keine größeren
als die halben Katholiken, diese "Söhne des Pilatus." Mit Beben und Zittern
unterhandelt diese Partei mit den Mächtigen der Erde. Sie rathen zum Frieden,
weil sie sich fürchten. So haben sie den Herrn um des Friedens mit dem
Cäsar Nullen ansgeantwortet. Die Katholiken Bayerns können auf diese
Leute nicht länger mehr reflektiren. Sie brauchen entschiedenere Charaktere.
Und solche gibt es" -- d. h. vorderhand sind doch nur zwei Gründer und
zugleich Mitglieder der oben erwähnten neuen "bayrisch-klerikalen" oder besser
"katholischen" Partei nach Berlin entsandt: die Herren Dr. Ratzinger und
Lindner, beide Priester, denen sich möglicherweise -- trss iÄeiunt eollöFiurn
noch der Vertreter Eichstädts, Dvmeapitulur Stöckl, anschließen könnte,
um diese interessante neue Fraktion des Reichstags zu vervollständige". Daß
das Wort "bayrisch" in ihrem Programm uur noch eine Complimentirphrase
ist, daß sie vielmehr frank und frei die päpstliche Fahne aufhissen, darüber
werden sich die genannten Herren selbst keiner Täuschung mehr hingeben.

Ganz verloren gegangen ist für die Ultramontanen ein bei der letzten Wahl
von ihnen siegreich behaupteter Wahlkreis, Schweinfurt, in welchen: der Re¬
gierungspräsident von Unterfranken, Graf Luxbnrg, die Majorität davonge¬
tragen hat, der schon Mitglied des ersten Reichstages gewesen ist und wohl
wieder den "Freieonservativen" sich gesellen wird. Das Gleiche wird der Bot¬
schafter des deutschen Reichs in Paris thun, Fürst Hohenlohe, dem der Wahl¬
kreis Forchheim treu geblieben ist.

Kehren wir noch eine:? Augenblick zur Statistik der ultramontanen Stimmen
zurück, so finden wir von Bayern 11. adelige Grundbesitzer, 8 Beamte, 1 Künst¬
ler (Erzgießereiinspektor Miller, bei dem uns immer Gretchens Klage in den
Sinn kommt: "es thut nur in der Seele weh, daß ich dich in der Gesellschaft
seh'"), 7 Geistliche und nur 3 einfach "Bürgerliche", von jener Seite nach
Berlin entsandt. Von namhaften Nationalliberalen kommen Volk, Marquardsen,
v. Schauß, die meisten Pfälzer und vor allem der bewährte Vertreter der Haupt-
und Residenzstadt, Freiherr v. Stciuffenberg, wieder.

Die Fortschrittspartei hat bis jetzt nur Einen ihrer bisherigen Kämpfer
wiedergewonnen in dem Abgeordneten Herz. Dieser scheint seinen Berliner
Wahlkreis, in dem er gegen einen Sozialdemokraten zur engern Wahl zu
kommen hat, wieder mit einem heimathlichen vertauschen zu wollen. Wenigstens


uns als einen: Faktor rechnen, man soll uns und unsere Forderungen auch
respectiren. Wir wollen nichts als die Freiheit, katholisch zu sein. Wir wollen
die Selbständigkeit unserer Kirche, welche der Gottmensch selbst mit seinem
Blute erkauft hat/' Und wie so gegen die draußen, hieß es dann gegen die
drinnen: „der Katholizismus, der viele Feinde hat, hat gleichwohl keine größeren
als die halben Katholiken, diese „Söhne des Pilatus." Mit Beben und Zittern
unterhandelt diese Partei mit den Mächtigen der Erde. Sie rathen zum Frieden,
weil sie sich fürchten. So haben sie den Herrn um des Friedens mit dem
Cäsar Nullen ansgeantwortet. Die Katholiken Bayerns können auf diese
Leute nicht länger mehr reflektiren. Sie brauchen entschiedenere Charaktere.
Und solche gibt es" — d. h. vorderhand sind doch nur zwei Gründer und
zugleich Mitglieder der oben erwähnten neuen „bayrisch-klerikalen" oder besser
„katholischen" Partei nach Berlin entsandt: die Herren Dr. Ratzinger und
Lindner, beide Priester, denen sich möglicherweise — trss iÄeiunt eollöFiurn
noch der Vertreter Eichstädts, Dvmeapitulur Stöckl, anschließen könnte,
um diese interessante neue Fraktion des Reichstags zu vervollständige«. Daß
das Wort „bayrisch" in ihrem Programm uur noch eine Complimentirphrase
ist, daß sie vielmehr frank und frei die päpstliche Fahne aufhissen, darüber
werden sich die genannten Herren selbst keiner Täuschung mehr hingeben.

Ganz verloren gegangen ist für die Ultramontanen ein bei der letzten Wahl
von ihnen siegreich behaupteter Wahlkreis, Schweinfurt, in welchen: der Re¬
gierungspräsident von Unterfranken, Graf Luxbnrg, die Majorität davonge¬
tragen hat, der schon Mitglied des ersten Reichstages gewesen ist und wohl
wieder den „Freieonservativen" sich gesellen wird. Das Gleiche wird der Bot¬
schafter des deutschen Reichs in Paris thun, Fürst Hohenlohe, dem der Wahl¬
kreis Forchheim treu geblieben ist.

Kehren wir noch eine:? Augenblick zur Statistik der ultramontanen Stimmen
zurück, so finden wir von Bayern 11. adelige Grundbesitzer, 8 Beamte, 1 Künst¬
ler (Erzgießereiinspektor Miller, bei dem uns immer Gretchens Klage in den
Sinn kommt: „es thut nur in der Seele weh, daß ich dich in der Gesellschaft
seh'"), 7 Geistliche und nur 3 einfach „Bürgerliche", von jener Seite nach
Berlin entsandt. Von namhaften Nationalliberalen kommen Volk, Marquardsen,
v. Schauß, die meisten Pfälzer und vor allem der bewährte Vertreter der Haupt-
und Residenzstadt, Freiherr v. Stciuffenberg, wieder.

Die Fortschrittspartei hat bis jetzt nur Einen ihrer bisherigen Kämpfer
wiedergewonnen in dem Abgeordneten Herz. Dieser scheint seinen Berliner
Wahlkreis, in dem er gegen einen Sozialdemokraten zur engern Wahl zu
kommen hat, wieder mit einem heimathlichen vertauschen zu wollen. Wenigstens


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[0318] uns als einen: Faktor rechnen, man soll uns und unsere Forderungen auch respectiren. Wir wollen nichts als die Freiheit, katholisch zu sein. Wir wollen die Selbständigkeit unserer Kirche, welche der Gottmensch selbst mit seinem Blute erkauft hat/' Und wie so gegen die draußen, hieß es dann gegen die drinnen: „der Katholizismus, der viele Feinde hat, hat gleichwohl keine größeren als die halben Katholiken, diese „Söhne des Pilatus." Mit Beben und Zittern unterhandelt diese Partei mit den Mächtigen der Erde. Sie rathen zum Frieden, weil sie sich fürchten. So haben sie den Herrn um des Friedens mit dem Cäsar Nullen ansgeantwortet. Die Katholiken Bayerns können auf diese Leute nicht länger mehr reflektiren. Sie brauchen entschiedenere Charaktere. Und solche gibt es" — d. h. vorderhand sind doch nur zwei Gründer und zugleich Mitglieder der oben erwähnten neuen „bayrisch-klerikalen" oder besser „katholischen" Partei nach Berlin entsandt: die Herren Dr. Ratzinger und Lindner, beide Priester, denen sich möglicherweise — trss iÄeiunt eollöFiurn noch der Vertreter Eichstädts, Dvmeapitulur Stöckl, anschließen könnte, um diese interessante neue Fraktion des Reichstags zu vervollständige«. Daß das Wort „bayrisch" in ihrem Programm uur noch eine Complimentirphrase ist, daß sie vielmehr frank und frei die päpstliche Fahne aufhissen, darüber werden sich die genannten Herren selbst keiner Täuschung mehr hingeben. Ganz verloren gegangen ist für die Ultramontanen ein bei der letzten Wahl von ihnen siegreich behaupteter Wahlkreis, Schweinfurt, in welchen: der Re¬ gierungspräsident von Unterfranken, Graf Luxbnrg, die Majorität davonge¬ tragen hat, der schon Mitglied des ersten Reichstages gewesen ist und wohl wieder den „Freieonservativen" sich gesellen wird. Das Gleiche wird der Bot¬ schafter des deutschen Reichs in Paris thun, Fürst Hohenlohe, dem der Wahl¬ kreis Forchheim treu geblieben ist. Kehren wir noch eine:? Augenblick zur Statistik der ultramontanen Stimmen zurück, so finden wir von Bayern 11. adelige Grundbesitzer, 8 Beamte, 1 Künst¬ ler (Erzgießereiinspektor Miller, bei dem uns immer Gretchens Klage in den Sinn kommt: „es thut nur in der Seele weh, daß ich dich in der Gesellschaft seh'"), 7 Geistliche und nur 3 einfach „Bürgerliche", von jener Seite nach Berlin entsandt. Von namhaften Nationalliberalen kommen Volk, Marquardsen, v. Schauß, die meisten Pfälzer und vor allem der bewährte Vertreter der Haupt- und Residenzstadt, Freiherr v. Stciuffenberg, wieder. Die Fortschrittspartei hat bis jetzt nur Einen ihrer bisherigen Kämpfer wiedergewonnen in dem Abgeordneten Herz. Dieser scheint seinen Berliner Wahlkreis, in dem er gegen einen Sozialdemokraten zur engern Wahl zu kommen hat, wieder mit einem heimathlichen vertauschen zu wollen. Wenigstens

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/318>, abgerufen am 23.07.2024.