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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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feinem Leben Wein oder andere gegohrene Flüssigkeiten getrunken und in der
letzten Zeit lediglich Fleischbrühe zu sich genommen. Er war nie krank, ging
in hohem Alter uoch täglich drei Meilen weit spazieren und behielt Gesicht,
Gehör und Gedächtniß ungeschwächt bis zum letzten Augenblicke. Er war
fünfmal verheirathet und hatte neunundvierzig Kinder. Als er etwa hundert
Jahre alt war, fiel ihm sein weißes Haar aus, und anderes von der früheren
Farbe trat an seine Stelle, und in seinem hundertundzwölften Jahre bekam er
zum dritte" Male Zähne.

1774 starb in seinein hnndertnndsechsundzwauzigsten Jahre John Tiee, nach¬
dem er noch in der letzten Hälfte feines Lebens mehrere gefährliche Unfälle mit
großer Zähigkeit überstanden hatte. Als Achziger brach er beim Fällen eines
Baumes beide Beine, und als Hundertjähriger fiel er in ein Kohlenfeuer,
welches ihn schrecklich verbrannte; aber beide Male erholte er sich in kurzer
Zeit, und bis zu seinem Ende, welches plötzlich eintrat, als er von: Ableben
eines Gönners benachrichtigt wurde, erfreute er sich des vollen Gebrauchs seiner
Glieder und Kräfte.

James Hatfield war Soldat und stand einmal des Nachts in Windsor
Schildwache. Da hörte er die Uhr der Se. Paulskirche in London, die drei¬
undzwanzig englische Meilen von ihm entfernt war, deutlich statt zwölf drei¬
zehn schlagen. Da die Ablösung, die er erwartete, ausblieb, schlief er ein.
Bald darauf erschien die zögernde Ablösung und sand ihn in diesem Zustande.
Er wurde in Haft genommen und vor ein Kriegsgericht gestellt, wo er die
Anschuldigung, vor Mitternacht auf seinem Posten geschlafen zu haben, in Ab¬
rede stellte und zu seiner Vertheidigung die Geschichte von den dreizehn Schlägen
der Uhr in London erzählte, eine Thatsache, die bis dahin in Windsor nie¬
mand anßer ihm kannte. Sein Leben wurde dadurch gerettet, und er starb
erst 1770 und zwar in seinem hundertundfünften Jahre.

Eines der jüngsten Beispiele sehr hohen Alters in England war Eliza-
beth Gray, die 1856 bald nach ihrem hnndertundachten Geburtstage aus der Welt
ging. Sie hatte ihren Vater um volle hundert Jahre überlebt und wurde
neben einem Halbbruder beerdigt, der huudertundachtundzwanzig Jahre vor ihr
gestorben war.

Im Verlaufe des vorigen Säculums wurde ein Franzose, der sich eines
schweren Verbrechens schuldig gemacht, in seinem einundzwanzigsten Jahre zu
lebenslänglicher Galeerenstrafe verurtheilt und ins Bagno von Toulon abge¬
führt. Nach den französischen Gesetzen hat der Ausdruck "lebenslänglich" in
solchen Fällen die Bedeutuug, daß die Strafe nach Verfluß von hundert Jahren
für abgebüßt gilt. Nachdem unser ehrwürdiger Sträfling diese Frist abgedient
hatte, entließ man ihn ans dem Bagno, und er kehrte nach seinem Heimathsdorf


feinem Leben Wein oder andere gegohrene Flüssigkeiten getrunken und in der
letzten Zeit lediglich Fleischbrühe zu sich genommen. Er war nie krank, ging
in hohem Alter uoch täglich drei Meilen weit spazieren und behielt Gesicht,
Gehör und Gedächtniß ungeschwächt bis zum letzten Augenblicke. Er war
fünfmal verheirathet und hatte neunundvierzig Kinder. Als er etwa hundert
Jahre alt war, fiel ihm sein weißes Haar aus, und anderes von der früheren
Farbe trat an seine Stelle, und in seinem hundertundzwölften Jahre bekam er
zum dritte» Male Zähne.

1774 starb in seinein hnndertnndsechsundzwauzigsten Jahre John Tiee, nach¬
dem er noch in der letzten Hälfte feines Lebens mehrere gefährliche Unfälle mit
großer Zähigkeit überstanden hatte. Als Achziger brach er beim Fällen eines
Baumes beide Beine, und als Hundertjähriger fiel er in ein Kohlenfeuer,
welches ihn schrecklich verbrannte; aber beide Male erholte er sich in kurzer
Zeit, und bis zu seinem Ende, welches plötzlich eintrat, als er von: Ableben
eines Gönners benachrichtigt wurde, erfreute er sich des vollen Gebrauchs seiner
Glieder und Kräfte.

James Hatfield war Soldat und stand einmal des Nachts in Windsor
Schildwache. Da hörte er die Uhr der Se. Paulskirche in London, die drei¬
undzwanzig englische Meilen von ihm entfernt war, deutlich statt zwölf drei¬
zehn schlagen. Da die Ablösung, die er erwartete, ausblieb, schlief er ein.
Bald darauf erschien die zögernde Ablösung und sand ihn in diesem Zustande.
Er wurde in Haft genommen und vor ein Kriegsgericht gestellt, wo er die
Anschuldigung, vor Mitternacht auf seinem Posten geschlafen zu haben, in Ab¬
rede stellte und zu seiner Vertheidigung die Geschichte von den dreizehn Schlägen
der Uhr in London erzählte, eine Thatsache, die bis dahin in Windsor nie¬
mand anßer ihm kannte. Sein Leben wurde dadurch gerettet, und er starb
erst 1770 und zwar in seinem hundertundfünften Jahre.

Eines der jüngsten Beispiele sehr hohen Alters in England war Eliza-
beth Gray, die 1856 bald nach ihrem hnndertundachten Geburtstage aus der Welt
ging. Sie hatte ihren Vater um volle hundert Jahre überlebt und wurde
neben einem Halbbruder beerdigt, der huudertundachtundzwanzig Jahre vor ihr
gestorben war.

Im Verlaufe des vorigen Säculums wurde ein Franzose, der sich eines
schweren Verbrechens schuldig gemacht, in seinem einundzwanzigsten Jahre zu
lebenslänglicher Galeerenstrafe verurtheilt und ins Bagno von Toulon abge¬
führt. Nach den französischen Gesetzen hat der Ausdruck „lebenslänglich" in
solchen Fällen die Bedeutuug, daß die Strafe nach Verfluß von hundert Jahren
für abgebüßt gilt. Nachdem unser ehrwürdiger Sträfling diese Frist abgedient
hatte, entließ man ihn ans dem Bagno, und er kehrte nach seinem Heimathsdorf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/303>, abgerufen am 23.07.2024.