Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Alter von mehr als hundert Jahren, nachdem er die größere Hülste seines
Lebens hindurch täglich nicht mehr als 24 Loth Speise und 26 Loth Getränk
genossen hatte. Buffon war der Meinung, daß die Erde einst weniger dicht
als jetzt gewesen sei, und daß die Schwerkraft uicht so stark wie heutzutage ge¬
wirkt und dem Wachsthum des Menschen nicht so zeitig ein Ziel gesetzt habe;
derselbe sei infolge dessen später reif und somit auch spater welk und hinfällig
geworden, und könnte man es so einrichten, daß er jetzt wieder längere Zeit
wüchse, so würde auch die frühere lüugere Lebensdauer (die nach dem Obigen
nicht existirt hat) wiederkehren. Bacon denkt sich das Leben als Flamme, die
beständig von der sie umgebenden Luft verzehrt wird. Jeder, auch der härteste
Körper wird nach ihm durch diese Verdunstung aufgelöst. Er zieht daraus
den Schluß, daß durch Verhütung dieses Verzehrtwerdens und von Zeit zu
Zeit vorgenommene Erneuerung unserer Säfte das Leben verlängert werden
könne. In jener negativen Richtung empfiehlt er kalte Bäder und das Ein-
reiben mit Oel oder Salbe nach denselben, Gemüthsruhe, kühle Diät und den
Gebrauch von Opiatmitteln. Die Erneuerung der Säfte aber soll alle zwei
bis drei Jahre zunächst durch Wegschaffung der alten und verdorbenen ver¬
mittelst einer Hungerkur und ausleerender Mittel und dann durch ausgesucht
gute, frische, nahrhafte und stärkende Diät stattfinden. Hufeland hat zur
Verlängerung des Lebens ein Verfahren vorgeschlagen, welches in der Haupt¬
sache auf Maßhalten in allen Genüssen, Abhärtung und viel Bewegung in
freier Luft hinausläuft, und welches ohne Zweifel geeignet ist, die Langlebigkeit,
wo sie als angeborne innere Anlage vorhanden ist, zu unterstützen und andrer¬
seits ihr Gegentheil einzuschränken und zu hemmen.

Sehr alt gewordene Leute empfehlen, im Greisenalter zu den Speisen der
Kindheit, Milch, Suppen und andern flüssigen und leicht verdaulichen Speisen
zurückzukehren und Rind- und Schweinefleisch, Butter und Käse, sowie Thee
und Kaffee nur müßig zu genießen, wohl aber täglich ein paar Gläser Wein,
"die Milch der Greise", zu trinken. Nach Andern sollten betagte Leute, die
noch lange den Frühling wiedersehen wollen, in der Regel Hammelfleisch, Ge¬
flügel und Fische und so hüufig als nur möglich Spargel essen. John Wilson,
der ein Alter von 116 Jahren erreichte, lebte die letzten vierzig davon vor¬
wiegend von gebratenen Rüben. Fontenelle, der im Jahre 1757 fast hundert¬
jährig starb, Pflegte sich jeden Frühling durch reichliches Verspeisen von Erd¬
beeren zu verjüngen. Wieder Andere schrieben ihr hohes Alter anderen Genuß-
mitteln zu. Einer hatte täglich ein frisch gelegtes El, ein Zweiter dick mit
Zucker bestreutes Butterbrot, ein Dritter Citronenschale, ein Vierter Safran zu
sich genommen. Einer räucherte den Todesengel mit einer Tabakspfeife hin¬
weg, die er selten ausgehen ließ, wieder einer folgte Bacons Rath und gebrauchte


Alter von mehr als hundert Jahren, nachdem er die größere Hülste seines
Lebens hindurch täglich nicht mehr als 24 Loth Speise und 26 Loth Getränk
genossen hatte. Buffon war der Meinung, daß die Erde einst weniger dicht
als jetzt gewesen sei, und daß die Schwerkraft uicht so stark wie heutzutage ge¬
wirkt und dem Wachsthum des Menschen nicht so zeitig ein Ziel gesetzt habe;
derselbe sei infolge dessen später reif und somit auch spater welk und hinfällig
geworden, und könnte man es so einrichten, daß er jetzt wieder längere Zeit
wüchse, so würde auch die frühere lüugere Lebensdauer (die nach dem Obigen
nicht existirt hat) wiederkehren. Bacon denkt sich das Leben als Flamme, die
beständig von der sie umgebenden Luft verzehrt wird. Jeder, auch der härteste
Körper wird nach ihm durch diese Verdunstung aufgelöst. Er zieht daraus
den Schluß, daß durch Verhütung dieses Verzehrtwerdens und von Zeit zu
Zeit vorgenommene Erneuerung unserer Säfte das Leben verlängert werden
könne. In jener negativen Richtung empfiehlt er kalte Bäder und das Ein-
reiben mit Oel oder Salbe nach denselben, Gemüthsruhe, kühle Diät und den
Gebrauch von Opiatmitteln. Die Erneuerung der Säfte aber soll alle zwei
bis drei Jahre zunächst durch Wegschaffung der alten und verdorbenen ver¬
mittelst einer Hungerkur und ausleerender Mittel und dann durch ausgesucht
gute, frische, nahrhafte und stärkende Diät stattfinden. Hufeland hat zur
Verlängerung des Lebens ein Verfahren vorgeschlagen, welches in der Haupt¬
sache auf Maßhalten in allen Genüssen, Abhärtung und viel Bewegung in
freier Luft hinausläuft, und welches ohne Zweifel geeignet ist, die Langlebigkeit,
wo sie als angeborne innere Anlage vorhanden ist, zu unterstützen und andrer¬
seits ihr Gegentheil einzuschränken und zu hemmen.

Sehr alt gewordene Leute empfehlen, im Greisenalter zu den Speisen der
Kindheit, Milch, Suppen und andern flüssigen und leicht verdaulichen Speisen
zurückzukehren und Rind- und Schweinefleisch, Butter und Käse, sowie Thee
und Kaffee nur müßig zu genießen, wohl aber täglich ein paar Gläser Wein,
„die Milch der Greise", zu trinken. Nach Andern sollten betagte Leute, die
noch lange den Frühling wiedersehen wollen, in der Regel Hammelfleisch, Ge¬
flügel und Fische und so hüufig als nur möglich Spargel essen. John Wilson,
der ein Alter von 116 Jahren erreichte, lebte die letzten vierzig davon vor¬
wiegend von gebratenen Rüben. Fontenelle, der im Jahre 1757 fast hundert¬
jährig starb, Pflegte sich jeden Frühling durch reichliches Verspeisen von Erd¬
beeren zu verjüngen. Wieder Andere schrieben ihr hohes Alter anderen Genuß-
mitteln zu. Einer hatte täglich ein frisch gelegtes El, ein Zweiter dick mit
Zucker bestreutes Butterbrot, ein Dritter Citronenschale, ein Vierter Safran zu
sich genommen. Einer räucherte den Todesengel mit einer Tabakspfeife hin¬
weg, die er selten ausgehen ließ, wieder einer folgte Bacons Rath und gebrauchte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0296" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137469"/>
          <p xml:id="ID_966" prev="#ID_965"> Alter von mehr als hundert Jahren, nachdem er die größere Hülste seines<lb/>
Lebens hindurch täglich nicht mehr als 24 Loth Speise und 26 Loth Getränk<lb/>
genossen hatte. Buffon war der Meinung, daß die Erde einst weniger dicht<lb/>
als jetzt gewesen sei, und daß die Schwerkraft uicht so stark wie heutzutage ge¬<lb/>
wirkt und dem Wachsthum des Menschen nicht so zeitig ein Ziel gesetzt habe;<lb/>
derselbe sei infolge dessen später reif und somit auch spater welk und hinfällig<lb/>
geworden, und könnte man es so einrichten, daß er jetzt wieder längere Zeit<lb/>
wüchse, so würde auch die frühere lüugere Lebensdauer (die nach dem Obigen<lb/>
nicht existirt hat) wiederkehren. Bacon denkt sich das Leben als Flamme, die<lb/>
beständig von der sie umgebenden Luft verzehrt wird. Jeder, auch der härteste<lb/>
Körper wird nach ihm durch diese Verdunstung aufgelöst. Er zieht daraus<lb/>
den Schluß, daß durch Verhütung dieses Verzehrtwerdens und von Zeit zu<lb/>
Zeit vorgenommene Erneuerung unserer Säfte das Leben verlängert werden<lb/>
könne. In jener negativen Richtung empfiehlt er kalte Bäder und das Ein-<lb/>
reiben mit Oel oder Salbe nach denselben, Gemüthsruhe, kühle Diät und den<lb/>
Gebrauch von Opiatmitteln. Die Erneuerung der Säfte aber soll alle zwei<lb/>
bis drei Jahre zunächst durch Wegschaffung der alten und verdorbenen ver¬<lb/>
mittelst einer Hungerkur und ausleerender Mittel und dann durch ausgesucht<lb/>
gute, frische, nahrhafte und stärkende Diät stattfinden. Hufeland hat zur<lb/>
Verlängerung des Lebens ein Verfahren vorgeschlagen, welches in der Haupt¬<lb/>
sache auf Maßhalten in allen Genüssen, Abhärtung und viel Bewegung in<lb/>
freier Luft hinausläuft, und welches ohne Zweifel geeignet ist, die Langlebigkeit,<lb/>
wo sie als angeborne innere Anlage vorhanden ist, zu unterstützen und andrer¬<lb/>
seits ihr Gegentheil einzuschränken und zu hemmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_967" next="#ID_968"> Sehr alt gewordene Leute empfehlen, im Greisenalter zu den Speisen der<lb/>
Kindheit, Milch, Suppen und andern flüssigen und leicht verdaulichen Speisen<lb/>
zurückzukehren und Rind- und Schweinefleisch, Butter und Käse, sowie Thee<lb/>
und Kaffee nur müßig zu genießen, wohl aber täglich ein paar Gläser Wein,<lb/>
&#x201E;die Milch der Greise", zu trinken. Nach Andern sollten betagte Leute, die<lb/>
noch lange den Frühling wiedersehen wollen, in der Regel Hammelfleisch, Ge¬<lb/>
flügel und Fische und so hüufig als nur möglich Spargel essen. John Wilson,<lb/>
der ein Alter von 116 Jahren erreichte, lebte die letzten vierzig davon vor¬<lb/>
wiegend von gebratenen Rüben. Fontenelle, der im Jahre 1757 fast hundert¬<lb/>
jährig starb, Pflegte sich jeden Frühling durch reichliches Verspeisen von Erd¬<lb/>
beeren zu verjüngen. Wieder Andere schrieben ihr hohes Alter anderen Genuß-<lb/>
mitteln zu. Einer hatte täglich ein frisch gelegtes El, ein Zweiter dick mit<lb/>
Zucker bestreutes Butterbrot, ein Dritter Citronenschale, ein Vierter Safran zu<lb/>
sich genommen. Einer räucherte den Todesengel mit einer Tabakspfeife hin¬<lb/>
weg, die er selten ausgehen ließ, wieder einer folgte Bacons Rath und gebrauchte</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0296] Alter von mehr als hundert Jahren, nachdem er die größere Hülste seines Lebens hindurch täglich nicht mehr als 24 Loth Speise und 26 Loth Getränk genossen hatte. Buffon war der Meinung, daß die Erde einst weniger dicht als jetzt gewesen sei, und daß die Schwerkraft uicht so stark wie heutzutage ge¬ wirkt und dem Wachsthum des Menschen nicht so zeitig ein Ziel gesetzt habe; derselbe sei infolge dessen später reif und somit auch spater welk und hinfällig geworden, und könnte man es so einrichten, daß er jetzt wieder längere Zeit wüchse, so würde auch die frühere lüugere Lebensdauer (die nach dem Obigen nicht existirt hat) wiederkehren. Bacon denkt sich das Leben als Flamme, die beständig von der sie umgebenden Luft verzehrt wird. Jeder, auch der härteste Körper wird nach ihm durch diese Verdunstung aufgelöst. Er zieht daraus den Schluß, daß durch Verhütung dieses Verzehrtwerdens und von Zeit zu Zeit vorgenommene Erneuerung unserer Säfte das Leben verlängert werden könne. In jener negativen Richtung empfiehlt er kalte Bäder und das Ein- reiben mit Oel oder Salbe nach denselben, Gemüthsruhe, kühle Diät und den Gebrauch von Opiatmitteln. Die Erneuerung der Säfte aber soll alle zwei bis drei Jahre zunächst durch Wegschaffung der alten und verdorbenen ver¬ mittelst einer Hungerkur und ausleerender Mittel und dann durch ausgesucht gute, frische, nahrhafte und stärkende Diät stattfinden. Hufeland hat zur Verlängerung des Lebens ein Verfahren vorgeschlagen, welches in der Haupt¬ sache auf Maßhalten in allen Genüssen, Abhärtung und viel Bewegung in freier Luft hinausläuft, und welches ohne Zweifel geeignet ist, die Langlebigkeit, wo sie als angeborne innere Anlage vorhanden ist, zu unterstützen und andrer¬ seits ihr Gegentheil einzuschränken und zu hemmen. Sehr alt gewordene Leute empfehlen, im Greisenalter zu den Speisen der Kindheit, Milch, Suppen und andern flüssigen und leicht verdaulichen Speisen zurückzukehren und Rind- und Schweinefleisch, Butter und Käse, sowie Thee und Kaffee nur müßig zu genießen, wohl aber täglich ein paar Gläser Wein, „die Milch der Greise", zu trinken. Nach Andern sollten betagte Leute, die noch lange den Frühling wiedersehen wollen, in der Regel Hammelfleisch, Ge¬ flügel und Fische und so hüufig als nur möglich Spargel essen. John Wilson, der ein Alter von 116 Jahren erreichte, lebte die letzten vierzig davon vor¬ wiegend von gebratenen Rüben. Fontenelle, der im Jahre 1757 fast hundert¬ jährig starb, Pflegte sich jeden Frühling durch reichliches Verspeisen von Erd¬ beeren zu verjüngen. Wieder Andere schrieben ihr hohes Alter anderen Genuß- mitteln zu. Einer hatte täglich ein frisch gelegtes El, ein Zweiter dick mit Zucker bestreutes Butterbrot, ein Dritter Citronenschale, ein Vierter Safran zu sich genommen. Einer räucherte den Todesengel mit einer Tabakspfeife hin¬ weg, die er selten ausgehen ließ, wieder einer folgte Bacons Rath und gebrauchte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/296
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/296>, abgerufen am 23.07.2024.