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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Er zog das Letztere der jedenfalls langwierigen Belagerung vor, und er ver¬
stand bei der Ansfiihrnng jenes Planes den Großwesir abermals zu täuschen
und zu unrichtige:! Maßregeln zu veranlassen.

Der Balkan mit dem südlich von Warna ins Schwarze Meer mündenden
Kmntschik bildete eine leicht zu vertheidigende Linie. Das Gebirge, mit Aus¬
nahme der Küstengegend bis zur Alpenhöhe emporsteigend, ist nur durch wenige
Engpässe zu Passiren, und der genannte Fluß hat zwar im Sommer nicht
viel Wasser, aber ein sehr tiefes Bett, dessen südliches Ufer, steil aufragend,
das nördliche allenthalben beherrscht, sodaß der Versuch, den dort aufgestellten
türkischen Truppen gegenüber den Uebergang zu erzwingen, wenn jene die
nöthige Stärke hatten, ein gefährliches Wagniß war. Diebitsch aber verstand
es, dem Großwesir den Glauben beizubringen, daß nach der Ankunft Krassowskis
die gesummte russische Armee vor Schumla verbleiben und dessen Belagerung
beginnen werde, und in Folge dessen zog Reschid Pascha den größeren Theil
der den Uebergang über den Kamtschik vertheidigenden türkischen Corps an
sich. Diebitsch aber entsandte in den Nächten vom 14. bis zum 17. Juli zu¬
nächst 32 Bataillone Infanterie mit der erforderlichen Artillerie und Kavallerie
unter den Generalen Roth und Rüdiger gegen die Niederung jenes Flusses,
ließ dann unter General Pachter eine Reserve von 22 Bataillonen nachrücken
und folgte diesen Truppenmassen in Person, um ihre Operationen beobachten
und, wo es nöthig, in dieselben eingreifen zu können -- ein Manöver, welches
von den Türken in Schumla erst bemerkt wurde, als es längst zu spät war.
Mehrere Tage war der Großwesir in dem Wahne, noch die gesammte rus¬
sische Armee vor den Wällen zu haben, während doch nur 23 Bataillone, 10
Schwadronen und eine starke Artillerie unter Krassowski zurückgeblieben
waren.

Als die Russen am Kamtschik eintrafen, sahen sie, daß die Gegner auf
dem andern Ufer vor den Furten Befestigungswerke angelegt hatten, deren
Mittelpunkt das Dorf Kjöprikjöi bildete. Diesen Ort, der eine außerordentlich
starke Lage hatte und von 3000 Türken besetzt war, konnte man russischerseits
nur mit großen Verlusten von der Front her nehmen, und so machte man
auf ihn nur einen Scheinangriff, überschritt eine halbe Meile weiter unten den
Fluß, wo die zur Vertheidigung getroffenen Anstalten schwächer waren, und ge¬
langte so in die Flanke von Kjöprikjöi, worauf dessen Besatzung sich eiligst
zurückzog. General Roth forcirte eine Uebergangsstelle weiter stromaufwärts,
und am 20. Juli standen beide Colonnen der Russen am nördlichen Fuße des
Balkan, der jetzt fast ohne Widerstand von Seiten der Türken überschritten
wurde, da die Nachrichten vom Uebergang über den Kamtschik im höchsten
Grade entmuthigend gewirkt hatten. Am 22. bemächtigte sich Diebitsch des


Er zog das Letztere der jedenfalls langwierigen Belagerung vor, und er ver¬
stand bei der Ansfiihrnng jenes Planes den Großwesir abermals zu täuschen
und zu unrichtige:! Maßregeln zu veranlassen.

Der Balkan mit dem südlich von Warna ins Schwarze Meer mündenden
Kmntschik bildete eine leicht zu vertheidigende Linie. Das Gebirge, mit Aus¬
nahme der Küstengegend bis zur Alpenhöhe emporsteigend, ist nur durch wenige
Engpässe zu Passiren, und der genannte Fluß hat zwar im Sommer nicht
viel Wasser, aber ein sehr tiefes Bett, dessen südliches Ufer, steil aufragend,
das nördliche allenthalben beherrscht, sodaß der Versuch, den dort aufgestellten
türkischen Truppen gegenüber den Uebergang zu erzwingen, wenn jene die
nöthige Stärke hatten, ein gefährliches Wagniß war. Diebitsch aber verstand
es, dem Großwesir den Glauben beizubringen, daß nach der Ankunft Krassowskis
die gesummte russische Armee vor Schumla verbleiben und dessen Belagerung
beginnen werde, und in Folge dessen zog Reschid Pascha den größeren Theil
der den Uebergang über den Kamtschik vertheidigenden türkischen Corps an
sich. Diebitsch aber entsandte in den Nächten vom 14. bis zum 17. Juli zu¬
nächst 32 Bataillone Infanterie mit der erforderlichen Artillerie und Kavallerie
unter den Generalen Roth und Rüdiger gegen die Niederung jenes Flusses,
ließ dann unter General Pachter eine Reserve von 22 Bataillonen nachrücken
und folgte diesen Truppenmassen in Person, um ihre Operationen beobachten
und, wo es nöthig, in dieselben eingreifen zu können — ein Manöver, welches
von den Türken in Schumla erst bemerkt wurde, als es längst zu spät war.
Mehrere Tage war der Großwesir in dem Wahne, noch die gesammte rus¬
sische Armee vor den Wällen zu haben, während doch nur 23 Bataillone, 10
Schwadronen und eine starke Artillerie unter Krassowski zurückgeblieben
waren.

Als die Russen am Kamtschik eintrafen, sahen sie, daß die Gegner auf
dem andern Ufer vor den Furten Befestigungswerke angelegt hatten, deren
Mittelpunkt das Dorf Kjöprikjöi bildete. Diesen Ort, der eine außerordentlich
starke Lage hatte und von 3000 Türken besetzt war, konnte man russischerseits
nur mit großen Verlusten von der Front her nehmen, und so machte man
auf ihn nur einen Scheinangriff, überschritt eine halbe Meile weiter unten den
Fluß, wo die zur Vertheidigung getroffenen Anstalten schwächer waren, und ge¬
langte so in die Flanke von Kjöprikjöi, worauf dessen Besatzung sich eiligst
zurückzog. General Roth forcirte eine Uebergangsstelle weiter stromaufwärts,
und am 20. Juli standen beide Colonnen der Russen am nördlichen Fuße des
Balkan, der jetzt fast ohne Widerstand von Seiten der Türken überschritten
wurde, da die Nachrichten vom Uebergang über den Kamtschik im höchsten
Grade entmuthigend gewirkt hatten. Am 22. bemächtigte sich Diebitsch des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/272>, abgerufen am 23.07.2024.