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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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von, daß die betreffs dieses Punktes geltende gesetzliche Bestimmung so klar
und bestimmt gefaßt ist, daß eine Vereinbarung in dem Sinne, daß der Staat
seine Forderung reducire, kaum möglich ist, so ist bis jetzt durchaus kein that¬
sächlicher Anhaltspunkt gegeben, welcher zu der Annahme berechtigte, daß die
Regierung nachgebend entgegenkommen wolle. In der That wäre auch ein
Nachgeben gerade in diesem Punkt das Zeichen einer absolut verhängnißvollen
Schwäche und müßte sich in einer consequent weitergehenden Schädigung der
Staatsautorität empfindlichst rächen.*)

Bei den Reichs tags Wahlen am 10. Januar wurden für die national¬
liberalen Candidaten 121,942 Stimmen abgegeben, für die Ultramontanen
K7,385 Stimmen, für die Deutscheouservativen 18,618 Stimmen, für fort¬
schrittliche und demokratische Candidaten 4037 Stimmen, für Sozialdemokraten
3593 Stimmen, endlich noch 126 zersplitterte Stimmen. Die zwei nachgefolg-
ter Stichwahlen haben das Zahlenverhältniß auf Kosten der Sozialdemokraten
zu Gunsten der Nationalliberalm, Ultramontanen und Deutscheonservativen
unbedentend verändert. Gewählt sind 11 Nationalliberale, 1 Deutscheonser-
vativer, 2 Ultramontane. Der Besitzstand der Nationalliberaleu und Ultra¬
montanen ist der gleiche geblieben, wie auf dem vorigen Reichstag, Prinz
Wilhelm, der deutschen Reichspartei angehörig, hatte ans eine Kandidatur ver¬
zichtet, an seine Stelle, aber in einem andern Wahlkreis, ist ein Deutschcon-
servativer getreten. Der Wahlkampf war heftig. Alle reichsfeindlichen, reak¬
tionären und irgendwie unzufriedenen Elemente hatten sich geeint, um den Na¬
tionalliberalen den Krieg bis aufs Messer zu erklären. Der Compromiß im
Reichsjustizgesetz wurde fast zu Tode gehetzt, die ultramontane und demokratische
Presse versicherte Tag sür Tag, daß die Nationalliberalen sich um allen Credit
gebracht Hütten. Dazu kam, daß die Deutscheonservativen dem Volk vorde-
mvnstrirten, wie einzig der Liberalismus an allem Unheil der Zeit schuld sei,
insbesondere auch an der wirthschaftlichen Kalamität. Die bekannten geistlichen
Agitationsmittel wurden reichlichst zur Anwendung gebracht. Und siehe da!
das Endergebniß der Wahlschlacht: der Besitzstand der nativnalliberalen Partei
ist unverändert. Wir gestehen, daß wir in Anbetracht der großen Anstrengungen,
welche gegnerischerseits gemacht wurden, und im Hinblick auf einen gewissen
conservativen Zug, der unter dem Druck der mißlichen wirthschaftlichen Ver¬
hältnisse, wie nicht geleugnet werden kann, sich da und dort geltend macht,
dieses Resultat nicht erwartet hatten. Der gesunde Sinn des Volkes hat
seinen Willen wieder einmal klar dokumentirt. In zwei Wahlkreisen waren
Stichwahlen nöthig geworden. Die eine derselben (Freiburg) fiel zu unseren



') Leider liegen seit einigen Tagen Nachrichten vor, welche ein Nachgeben der Badischen
N D> Red. egierung befürchten lassen!
Grenzboten l. 1877. 33

von, daß die betreffs dieses Punktes geltende gesetzliche Bestimmung so klar
und bestimmt gefaßt ist, daß eine Vereinbarung in dem Sinne, daß der Staat
seine Forderung reducire, kaum möglich ist, so ist bis jetzt durchaus kein that¬
sächlicher Anhaltspunkt gegeben, welcher zu der Annahme berechtigte, daß die
Regierung nachgebend entgegenkommen wolle. In der That wäre auch ein
Nachgeben gerade in diesem Punkt das Zeichen einer absolut verhängnißvollen
Schwäche und müßte sich in einer consequent weitergehenden Schädigung der
Staatsautorität empfindlichst rächen.*)

Bei den Reichs tags Wahlen am 10. Januar wurden für die national¬
liberalen Candidaten 121,942 Stimmen abgegeben, für die Ultramontanen
K7,385 Stimmen, für die Deutscheouservativen 18,618 Stimmen, für fort¬
schrittliche und demokratische Candidaten 4037 Stimmen, für Sozialdemokraten
3593 Stimmen, endlich noch 126 zersplitterte Stimmen. Die zwei nachgefolg-
ter Stichwahlen haben das Zahlenverhältniß auf Kosten der Sozialdemokraten
zu Gunsten der Nationalliberalm, Ultramontanen und Deutscheonservativen
unbedentend verändert. Gewählt sind 11 Nationalliberale, 1 Deutscheonser-
vativer, 2 Ultramontane. Der Besitzstand der Nationalliberaleu und Ultra¬
montanen ist der gleiche geblieben, wie auf dem vorigen Reichstag, Prinz
Wilhelm, der deutschen Reichspartei angehörig, hatte ans eine Kandidatur ver¬
zichtet, an seine Stelle, aber in einem andern Wahlkreis, ist ein Deutschcon-
servativer getreten. Der Wahlkampf war heftig. Alle reichsfeindlichen, reak¬
tionären und irgendwie unzufriedenen Elemente hatten sich geeint, um den Na¬
tionalliberalen den Krieg bis aufs Messer zu erklären. Der Compromiß im
Reichsjustizgesetz wurde fast zu Tode gehetzt, die ultramontane und demokratische
Presse versicherte Tag sür Tag, daß die Nationalliberalen sich um allen Credit
gebracht Hütten. Dazu kam, daß die Deutscheonservativen dem Volk vorde-
mvnstrirten, wie einzig der Liberalismus an allem Unheil der Zeit schuld sei,
insbesondere auch an der wirthschaftlichen Kalamität. Die bekannten geistlichen
Agitationsmittel wurden reichlichst zur Anwendung gebracht. Und siehe da!
das Endergebniß der Wahlschlacht: der Besitzstand der nativnalliberalen Partei
ist unverändert. Wir gestehen, daß wir in Anbetracht der großen Anstrengungen,
welche gegnerischerseits gemacht wurden, und im Hinblick auf einen gewissen
conservativen Zug, der unter dem Druck der mißlichen wirthschaftlichen Ver¬
hältnisse, wie nicht geleugnet werden kann, sich da und dort geltend macht,
dieses Resultat nicht erwartet hatten. Der gesunde Sinn des Volkes hat
seinen Willen wieder einmal klar dokumentirt. In zwei Wahlkreisen waren
Stichwahlen nöthig geworden. Die eine derselben (Freiburg) fiel zu unseren



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[0265] von, daß die betreffs dieses Punktes geltende gesetzliche Bestimmung so klar und bestimmt gefaßt ist, daß eine Vereinbarung in dem Sinne, daß der Staat seine Forderung reducire, kaum möglich ist, so ist bis jetzt durchaus kein that¬ sächlicher Anhaltspunkt gegeben, welcher zu der Annahme berechtigte, daß die Regierung nachgebend entgegenkommen wolle. In der That wäre auch ein Nachgeben gerade in diesem Punkt das Zeichen einer absolut verhängnißvollen Schwäche und müßte sich in einer consequent weitergehenden Schädigung der Staatsautorität empfindlichst rächen.*) Bei den Reichs tags Wahlen am 10. Januar wurden für die national¬ liberalen Candidaten 121,942 Stimmen abgegeben, für die Ultramontanen K7,385 Stimmen, für die Deutscheouservativen 18,618 Stimmen, für fort¬ schrittliche und demokratische Candidaten 4037 Stimmen, für Sozialdemokraten 3593 Stimmen, endlich noch 126 zersplitterte Stimmen. Die zwei nachgefolg- ter Stichwahlen haben das Zahlenverhältniß auf Kosten der Sozialdemokraten zu Gunsten der Nationalliberalm, Ultramontanen und Deutscheonservativen unbedentend verändert. Gewählt sind 11 Nationalliberale, 1 Deutscheonser- vativer, 2 Ultramontane. Der Besitzstand der Nationalliberaleu und Ultra¬ montanen ist der gleiche geblieben, wie auf dem vorigen Reichstag, Prinz Wilhelm, der deutschen Reichspartei angehörig, hatte ans eine Kandidatur ver¬ zichtet, an seine Stelle, aber in einem andern Wahlkreis, ist ein Deutschcon- servativer getreten. Der Wahlkampf war heftig. Alle reichsfeindlichen, reak¬ tionären und irgendwie unzufriedenen Elemente hatten sich geeint, um den Na¬ tionalliberalen den Krieg bis aufs Messer zu erklären. Der Compromiß im Reichsjustizgesetz wurde fast zu Tode gehetzt, die ultramontane und demokratische Presse versicherte Tag sür Tag, daß die Nationalliberalen sich um allen Credit gebracht Hütten. Dazu kam, daß die Deutscheonservativen dem Volk vorde- mvnstrirten, wie einzig der Liberalismus an allem Unheil der Zeit schuld sei, insbesondere auch an der wirthschaftlichen Kalamität. Die bekannten geistlichen Agitationsmittel wurden reichlichst zur Anwendung gebracht. Und siehe da! das Endergebniß der Wahlschlacht: der Besitzstand der nativnalliberalen Partei ist unverändert. Wir gestehen, daß wir in Anbetracht der großen Anstrengungen, welche gegnerischerseits gemacht wurden, und im Hinblick auf einen gewissen conservativen Zug, der unter dem Druck der mißlichen wirthschaftlichen Ver¬ hältnisse, wie nicht geleugnet werden kann, sich da und dort geltend macht, dieses Resultat nicht erwartet hatten. Der gesunde Sinn des Volkes hat seinen Willen wieder einmal klar dokumentirt. In zwei Wahlkreisen waren Stichwahlen nöthig geworden. Die eine derselben (Freiburg) fiel zu unseren ') Leider liegen seit einigen Tagen Nachrichten vor, welche ein Nachgeben der Badischen N D> Red. egierung befürchten lassen! Grenzboten l. 1877. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/265>, abgerufen am 23.07.2024.