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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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schaffen mußten als in den Serben. Und sie wirkten damit nicht weniger zu
ihrem eiguen Nutzen, da jene Eigenschaften nicht zugelassen haben würden,
daß man im Fanar fortfuhr, dem Volke Bulgariens Fremde zu Bischöfen auf-
zunöthigen, die noch überdies; gewöhnlich unwissend, habgierig und lasterhaft
waren.

In welcher Weise diese christlichen Satrapen des Padischah noch vor nicht
sehr langer Zeit gegen die bulgarischen Alterthümer verfuhren, mögen zwei
Beispiele von vielen erkennen lassen. In einer Kirche zu Tirnowo, der ehe¬
maligen Residenz der bulgarischen Herrscher, entdeckte ein Geistlicher ein bis
dahin unbekannt gewesenes Gewölbe. Er zeigte seinen Fund dein Metropoliten
an, und die Untersuchung des Gemaches ergab, daß es mit einer großen Menge
alter Handschriften auf Pergament angefüllt war. Man sollte nun glauben,
daß diese Manuscripte sorgfältig aufgehoben und einer Prüfung unterworfen
worden wären. Ganz anders der Metropolit. Unter dem Vorgeben, es seien
heidnische Bücher, ließ er den gestimmten Inhalt des Gewölbes ohne Verzug
ins Feuer werfen -- zur großen Betrübniß der gebildeten Bulgaren, welche
an Bruchstücken der Pergamente erkannt hatten, daß mit dieser Maßregel ein
werthvoller Theil der alten Literatur des Landes der Vernichtung preis¬
gegeben wurde.

Aehnlich verfuhr man in einer andern Kirche Tirnowos. Hier befinden
sich zwei Säulen, die bei genauer Betrachtung noch deutlich erkennen lassen,
daß sie früher Inschriften getragen haben. Aber nicht die Osmanli, sondern
die Diener hier als Bischöfe eingesetzter Fanarioten haben die Inschriften weg¬
gemeißelt, um ein aus der Borzeit stammendes Erinnerungszeichen zu beseitigen,
welches Kennern des Alterthums hätte sagen können, daß die Bulgaren einst
ein mächtiges Volk unter eignen Königen gewesen seien.

Trotz dieser Bemühungen der Griechen, die Bulgaren von aller Bildung
und der Wiedergewinnung eines nationalen Bewußtseins abzusperren und so
im Zustande einer missra, eontriKusuZ xlebs zu erhalten, wurden, wie schon
angedeutet, Fortschritte in diesen Richtungen gemacht, indem von Serbien und,
wie nicht verschwiegen werden soll, von Rußland die Anregung dazu ausging.
Bis vor vierzig Jahren etwa gab es im Lande nur sehr wenig Leute, welche
bulgarisch zu schreiben verstanden, da in den hier und da existirenden Schulen
nur griechisch gelehrt und in den Kirchen, wenn überhaupt, nur griechisch ge¬
predigt wurde. Seitdem ist es fast allenthalben und namentlich in den Städten
Bulgariens anders geworden. Ungeachtet großer Hindernisse, die im Wege
standen, erhoben sich tüchtige Charaktere, die sich eine gute Bildung und
Kenntniß der Welt zu erwerben verstanden. Allerdings war von einem öffent¬
lichen und unmittelbaren Wirken derselben nach dein erstrebten Ziele hin nicht


Grenzboten i. 1877. 25

schaffen mußten als in den Serben. Und sie wirkten damit nicht weniger zu
ihrem eiguen Nutzen, da jene Eigenschaften nicht zugelassen haben würden,
daß man im Fanar fortfuhr, dem Volke Bulgariens Fremde zu Bischöfen auf-
zunöthigen, die noch überdies; gewöhnlich unwissend, habgierig und lasterhaft
waren.

In welcher Weise diese christlichen Satrapen des Padischah noch vor nicht
sehr langer Zeit gegen die bulgarischen Alterthümer verfuhren, mögen zwei
Beispiele von vielen erkennen lassen. In einer Kirche zu Tirnowo, der ehe¬
maligen Residenz der bulgarischen Herrscher, entdeckte ein Geistlicher ein bis
dahin unbekannt gewesenes Gewölbe. Er zeigte seinen Fund dein Metropoliten
an, und die Untersuchung des Gemaches ergab, daß es mit einer großen Menge
alter Handschriften auf Pergament angefüllt war. Man sollte nun glauben,
daß diese Manuscripte sorgfältig aufgehoben und einer Prüfung unterworfen
worden wären. Ganz anders der Metropolit. Unter dem Vorgeben, es seien
heidnische Bücher, ließ er den gestimmten Inhalt des Gewölbes ohne Verzug
ins Feuer werfen — zur großen Betrübniß der gebildeten Bulgaren, welche
an Bruchstücken der Pergamente erkannt hatten, daß mit dieser Maßregel ein
werthvoller Theil der alten Literatur des Landes der Vernichtung preis¬
gegeben wurde.

Aehnlich verfuhr man in einer andern Kirche Tirnowos. Hier befinden
sich zwei Säulen, die bei genauer Betrachtung noch deutlich erkennen lassen,
daß sie früher Inschriften getragen haben. Aber nicht die Osmanli, sondern
die Diener hier als Bischöfe eingesetzter Fanarioten haben die Inschriften weg¬
gemeißelt, um ein aus der Borzeit stammendes Erinnerungszeichen zu beseitigen,
welches Kennern des Alterthums hätte sagen können, daß die Bulgaren einst
ein mächtiges Volk unter eignen Königen gewesen seien.

Trotz dieser Bemühungen der Griechen, die Bulgaren von aller Bildung
und der Wiedergewinnung eines nationalen Bewußtseins abzusperren und so
im Zustande einer missra, eontriKusuZ xlebs zu erhalten, wurden, wie schon
angedeutet, Fortschritte in diesen Richtungen gemacht, indem von Serbien und,
wie nicht verschwiegen werden soll, von Rußland die Anregung dazu ausging.
Bis vor vierzig Jahren etwa gab es im Lande nur sehr wenig Leute, welche
bulgarisch zu schreiben verstanden, da in den hier und da existirenden Schulen
nur griechisch gelehrt und in den Kirchen, wenn überhaupt, nur griechisch ge¬
predigt wurde. Seitdem ist es fast allenthalben und namentlich in den Städten
Bulgariens anders geworden. Ungeachtet großer Hindernisse, die im Wege
standen, erhoben sich tüchtige Charaktere, die sich eine gute Bildung und
Kenntniß der Welt zu erwerben verstanden. Allerdings war von einem öffent¬
lichen und unmittelbaren Wirken derselben nach dein erstrebten Ziele hin nicht


Grenzboten i. 1877. 25
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[0201] schaffen mußten als in den Serben. Und sie wirkten damit nicht weniger zu ihrem eiguen Nutzen, da jene Eigenschaften nicht zugelassen haben würden, daß man im Fanar fortfuhr, dem Volke Bulgariens Fremde zu Bischöfen auf- zunöthigen, die noch überdies; gewöhnlich unwissend, habgierig und lasterhaft waren. In welcher Weise diese christlichen Satrapen des Padischah noch vor nicht sehr langer Zeit gegen die bulgarischen Alterthümer verfuhren, mögen zwei Beispiele von vielen erkennen lassen. In einer Kirche zu Tirnowo, der ehe¬ maligen Residenz der bulgarischen Herrscher, entdeckte ein Geistlicher ein bis dahin unbekannt gewesenes Gewölbe. Er zeigte seinen Fund dein Metropoliten an, und die Untersuchung des Gemaches ergab, daß es mit einer großen Menge alter Handschriften auf Pergament angefüllt war. Man sollte nun glauben, daß diese Manuscripte sorgfältig aufgehoben und einer Prüfung unterworfen worden wären. Ganz anders der Metropolit. Unter dem Vorgeben, es seien heidnische Bücher, ließ er den gestimmten Inhalt des Gewölbes ohne Verzug ins Feuer werfen — zur großen Betrübniß der gebildeten Bulgaren, welche an Bruchstücken der Pergamente erkannt hatten, daß mit dieser Maßregel ein werthvoller Theil der alten Literatur des Landes der Vernichtung preis¬ gegeben wurde. Aehnlich verfuhr man in einer andern Kirche Tirnowos. Hier befinden sich zwei Säulen, die bei genauer Betrachtung noch deutlich erkennen lassen, daß sie früher Inschriften getragen haben. Aber nicht die Osmanli, sondern die Diener hier als Bischöfe eingesetzter Fanarioten haben die Inschriften weg¬ gemeißelt, um ein aus der Borzeit stammendes Erinnerungszeichen zu beseitigen, welches Kennern des Alterthums hätte sagen können, daß die Bulgaren einst ein mächtiges Volk unter eignen Königen gewesen seien. Trotz dieser Bemühungen der Griechen, die Bulgaren von aller Bildung und der Wiedergewinnung eines nationalen Bewußtseins abzusperren und so im Zustande einer missra, eontriKusuZ xlebs zu erhalten, wurden, wie schon angedeutet, Fortschritte in diesen Richtungen gemacht, indem von Serbien und, wie nicht verschwiegen werden soll, von Rußland die Anregung dazu ausging. Bis vor vierzig Jahren etwa gab es im Lande nur sehr wenig Leute, welche bulgarisch zu schreiben verstanden, da in den hier und da existirenden Schulen nur griechisch gelehrt und in den Kirchen, wenn überhaupt, nur griechisch ge¬ predigt wurde. Seitdem ist es fast allenthalben und namentlich in den Städten Bulgariens anders geworden. Ungeachtet großer Hindernisse, die im Wege standen, erhoben sich tüchtige Charaktere, die sich eine gute Bildung und Kenntniß der Welt zu erwerben verstanden. Allerdings war von einem öffent¬ lichen und unmittelbaren Wirken derselben nach dein erstrebten Ziele hin nicht Grenzboten i. 1877. 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/201>, abgerufen am 23.07.2024.