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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Tropenhimmel -- in der Felsgrotte bei Makao und auf den Molucken ge¬
schriebene Gedicht. Mir geziemt es nicht, einen kühnen Ausspruch Friedrich Schlegels
zu bekräftigen, nach welchem die Lusiaden des Camoens an Farbe und Fülle
der Phantasie den Ariost bei Weitem übertreffen: aber als Naturbeobachter
darf ich wohl hinzufügen, daß in den beschreibenden Theilen der Lusiaden die
Begeisterung des Dichters, der Schmuck der Rede und die süßen Laute der
Schwermuth nie der Genauigkeit in der Darstellung physischer Erscheinungen
hinderlich werden. Sie haben vielmehr, wie dieß immer der Fall ist, wenn
die Kunst aus ungetrübter Quelle schöpft, den belebenden Eindruck der Größe
und Wahrheit der Naturbilder erhöht. Unnachahmlich sind bei Camoens die
Schilderungen des ewigen Verkehrs zwischen Luft und Meer, zwischen der viel¬
fach gestalteten Wolkendecke, ihren meteorologischen Processen und den ver¬
schiedenen Zuständen der Oberfläche des Oceans. Er zeigt uns diese Ober¬
fläche bald, wenn milde Winde sie kräuseln und die kurzen Wellen im Spiel
des zurückgeworfenen Lichtstrahls funkelnd leuchten, bald, wenn Coelhos und
Paul de Gamas Schiffe in einem furchtbaren Sturme gegen die tiefaufgeregten
Elemente kämpfen. Auch die Beschreibung des Sturmes, der in einem Walde
wüthet (1. Gesang, 35), ist schön. Aber im eigentlichsten Sinne des Wortes ist
Camoens ein großer Seemaler. Als Kriegsmann hatte er gefochten am Fuße
des Atlas im marockanischen Gebiete, im Rothen Meere und im Persischen
Meerbusen; zweimal hatte er das Cap umschifft und, mit tiefem Naturgefühl
begabt, sechzehn Jahre lang an dem indischen und chinesischen Gestade alle
Phänomene des Weltmeers belauscht. Er beschreibt das elektrische Se. Eins^
feuer, Castor und Pollux der alten griechischen Seefahrer, "das lebende Licht,
dem Seevolke heilig", er schildert die gefahrdrohende Trombe in ihrer allmäh¬
lichen-Entwickelung, "wie der Dunst, aus feinem Duft gewoben, sich im Kreise
dreht, ein dünnes Rohr herabläßt und die Fluth dürstend auspumpt; wie er,
wenn das schwarze Gewölk sich satt gesogen, den Fuß des Trichters zurückzieht
und, zum Himmel fliegend, auf der Flucht als süßes Wasser den Wogen wie¬
dergiebt, was die Trombe ihnen brausend entzogen."*) Die Schriftgelehrten,
sagt der Dichter -- und er sagt es fast auch zum Spotte der jetzigen Zeit --
mögen versuchen, der Welt verborgene Wunderdinge zu erklären, da, vom Geist
allein und von der Wissenschaft geleitet, sie so gern für falsch ausgeben, was
man aus dem Munde des Schiffers hört, dessen einziger Leiter die Erfahrung
ist." -- "Wenn ich vorher den Camoens vorzugsweise als Seemaler rühmte,
so war es, um anzudeuten, daß das Erdeleben ihn minder lebhaft angezogen
hat. Schon Sismondi bemerkt mit Recht, daß das ganze Gedicht keine Spur



") Auch Lucrez hat VI. 423 -- 442 eine sehr poetische und naturgetreue Schilderung der
Wasserhose gegeben.

Tropenhimmel — in der Felsgrotte bei Makao und auf den Molucken ge¬
schriebene Gedicht. Mir geziemt es nicht, einen kühnen Ausspruch Friedrich Schlegels
zu bekräftigen, nach welchem die Lusiaden des Camoens an Farbe und Fülle
der Phantasie den Ariost bei Weitem übertreffen: aber als Naturbeobachter
darf ich wohl hinzufügen, daß in den beschreibenden Theilen der Lusiaden die
Begeisterung des Dichters, der Schmuck der Rede und die süßen Laute der
Schwermuth nie der Genauigkeit in der Darstellung physischer Erscheinungen
hinderlich werden. Sie haben vielmehr, wie dieß immer der Fall ist, wenn
die Kunst aus ungetrübter Quelle schöpft, den belebenden Eindruck der Größe
und Wahrheit der Naturbilder erhöht. Unnachahmlich sind bei Camoens die
Schilderungen des ewigen Verkehrs zwischen Luft und Meer, zwischen der viel¬
fach gestalteten Wolkendecke, ihren meteorologischen Processen und den ver¬
schiedenen Zuständen der Oberfläche des Oceans. Er zeigt uns diese Ober¬
fläche bald, wenn milde Winde sie kräuseln und die kurzen Wellen im Spiel
des zurückgeworfenen Lichtstrahls funkelnd leuchten, bald, wenn Coelhos und
Paul de Gamas Schiffe in einem furchtbaren Sturme gegen die tiefaufgeregten
Elemente kämpfen. Auch die Beschreibung des Sturmes, der in einem Walde
wüthet (1. Gesang, 35), ist schön. Aber im eigentlichsten Sinne des Wortes ist
Camoens ein großer Seemaler. Als Kriegsmann hatte er gefochten am Fuße
des Atlas im marockanischen Gebiete, im Rothen Meere und im Persischen
Meerbusen; zweimal hatte er das Cap umschifft und, mit tiefem Naturgefühl
begabt, sechzehn Jahre lang an dem indischen und chinesischen Gestade alle
Phänomene des Weltmeers belauscht. Er beschreibt das elektrische Se. Eins^
feuer, Castor und Pollux der alten griechischen Seefahrer, „das lebende Licht,
dem Seevolke heilig", er schildert die gefahrdrohende Trombe in ihrer allmäh¬
lichen-Entwickelung, „wie der Dunst, aus feinem Duft gewoben, sich im Kreise
dreht, ein dünnes Rohr herabläßt und die Fluth dürstend auspumpt; wie er,
wenn das schwarze Gewölk sich satt gesogen, den Fuß des Trichters zurückzieht
und, zum Himmel fliegend, auf der Flucht als süßes Wasser den Wogen wie¬
dergiebt, was die Trombe ihnen brausend entzogen."*) Die Schriftgelehrten,
sagt der Dichter — und er sagt es fast auch zum Spotte der jetzigen Zeit —
mögen versuchen, der Welt verborgene Wunderdinge zu erklären, da, vom Geist
allein und von der Wissenschaft geleitet, sie so gern für falsch ausgeben, was
man aus dem Munde des Schiffers hört, dessen einziger Leiter die Erfahrung
ist." — „Wenn ich vorher den Camoens vorzugsweise als Seemaler rühmte,
so war es, um anzudeuten, daß das Erdeleben ihn minder lebhaft angezogen
hat. Schon Sismondi bemerkt mit Recht, daß das ganze Gedicht keine Spur



") Auch Lucrez hat VI. 423 — 442 eine sehr poetische und naturgetreue Schilderung der
Wasserhose gegeben.
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[0188] Tropenhimmel — in der Felsgrotte bei Makao und auf den Molucken ge¬ schriebene Gedicht. Mir geziemt es nicht, einen kühnen Ausspruch Friedrich Schlegels zu bekräftigen, nach welchem die Lusiaden des Camoens an Farbe und Fülle der Phantasie den Ariost bei Weitem übertreffen: aber als Naturbeobachter darf ich wohl hinzufügen, daß in den beschreibenden Theilen der Lusiaden die Begeisterung des Dichters, der Schmuck der Rede und die süßen Laute der Schwermuth nie der Genauigkeit in der Darstellung physischer Erscheinungen hinderlich werden. Sie haben vielmehr, wie dieß immer der Fall ist, wenn die Kunst aus ungetrübter Quelle schöpft, den belebenden Eindruck der Größe und Wahrheit der Naturbilder erhöht. Unnachahmlich sind bei Camoens die Schilderungen des ewigen Verkehrs zwischen Luft und Meer, zwischen der viel¬ fach gestalteten Wolkendecke, ihren meteorologischen Processen und den ver¬ schiedenen Zuständen der Oberfläche des Oceans. Er zeigt uns diese Ober¬ fläche bald, wenn milde Winde sie kräuseln und die kurzen Wellen im Spiel des zurückgeworfenen Lichtstrahls funkelnd leuchten, bald, wenn Coelhos und Paul de Gamas Schiffe in einem furchtbaren Sturme gegen die tiefaufgeregten Elemente kämpfen. Auch die Beschreibung des Sturmes, der in einem Walde wüthet (1. Gesang, 35), ist schön. Aber im eigentlichsten Sinne des Wortes ist Camoens ein großer Seemaler. Als Kriegsmann hatte er gefochten am Fuße des Atlas im marockanischen Gebiete, im Rothen Meere und im Persischen Meerbusen; zweimal hatte er das Cap umschifft und, mit tiefem Naturgefühl begabt, sechzehn Jahre lang an dem indischen und chinesischen Gestade alle Phänomene des Weltmeers belauscht. Er beschreibt das elektrische Se. Eins^ feuer, Castor und Pollux der alten griechischen Seefahrer, „das lebende Licht, dem Seevolke heilig", er schildert die gefahrdrohende Trombe in ihrer allmäh¬ lichen-Entwickelung, „wie der Dunst, aus feinem Duft gewoben, sich im Kreise dreht, ein dünnes Rohr herabläßt und die Fluth dürstend auspumpt; wie er, wenn das schwarze Gewölk sich satt gesogen, den Fuß des Trichters zurückzieht und, zum Himmel fliegend, auf der Flucht als süßes Wasser den Wogen wie¬ dergiebt, was die Trombe ihnen brausend entzogen."*) Die Schriftgelehrten, sagt der Dichter — und er sagt es fast auch zum Spotte der jetzigen Zeit — mögen versuchen, der Welt verborgene Wunderdinge zu erklären, da, vom Geist allein und von der Wissenschaft geleitet, sie so gern für falsch ausgeben, was man aus dem Munde des Schiffers hört, dessen einziger Leiter die Erfahrung ist." — „Wenn ich vorher den Camoens vorzugsweise als Seemaler rühmte, so war es, um anzudeuten, daß das Erdeleben ihn minder lebhaft angezogen hat. Schon Sismondi bemerkt mit Recht, daß das ganze Gedicht keine Spur ") Auch Lucrez hat VI. 423 — 442 eine sehr poetische und naturgetreue Schilderung der Wasserhose gegeben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/188>, abgerufen am 23.07.2024.