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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Die "deutsch - conservative" Partei, d. h. die junkerlich - particularistische,
hat überall, wo sie in neuen Wahlkreisen gegen die andern Parteien Kandidaten
aufstellte, sehr ungünstige Geschäfte gemacht, die im umgekehrtem Verhältnisse stehen
zu jenen hochtönenden Phrasen, mit welchen sie ihr Entstehen und ihre Kandidaten
der Welt vorstellte. Die Behauptung, daß sie die Treue zu Kaiser und Reich
und zum angestammten Landesfürsten in Erbpacht genommen habe, spielte da¬
bei eine Hauptrolle. Mit dem Unterliegen dieser Fraction müßte also die
Felouie in Sachsen nun allgemein losgehen. Doch ist man glücklicherweise
seit zehn Jahren gewohnt, das Gegentheil von dem in Erfüllung gehen zu
sehen, was diese Partei weissagt und anstrebt. In drei Wahlkreisen nur
(Borna, Plauen und Annaberg) hat sie es zur Stichwahl gebracht. Nur
in den Wahlkreisen, wo der deutsch - conservative Candidat gegen den
Socialdemokraten von den Nationalliberalen mit unterstützt wurde (in
Bautzen, Dresdner Landkreis, Meißen, Oschatz) gelang es der Partei, ab¬
solute Majoritäten im ersten Wahlgang zu erzielen. Das Streben, mit
"selbständigen" Kandidaten zu debütiren, hat der jungen Partei Demüthigungen
zugezogen, die nicht sobald zu verwinden sein dürften. In Zwickau hat die
Partei einen Kandidaten als conservativen empfohlen, welchen der Fortschritt
in Rossen als einen Mann seiner Farbe anpries."') Solche Männer gibt es
freilich nur in Sachsen, deren politisches Gepräge sie zu den Kryptogamen weist.
In den meisten Wahlbezirken, wo sie selbständige Zersplitterung - Kandidaten
aufgestellt, hat die deutsch-conservative Partei beschämende Minoritäten erzielt. Da¬
zu kommt, daß tonangebende Mitglieder sich zu Handlungen zu bekennen haben,
welche ihre gewiß sehr große Reichstreue in ein eigenthümliches Licht stellen.
Der Führer der sogenannten Deutsch-Konservativen im Leipziger Landkreis ist
gerichtlich überführt worden, der Verfasser der berüchtigten "Semper - Ideen"-
Artikel in der reichsfeindlichen "Neuen Reichszeitimg" in Dresden zu sein.
Ein noch weit maßgebenderer Mann derselben Partei aber, welcher besonders
berufen schien, bei den Kaiserfeierlichkeiten in Leipzig (im September
v, I.) die Anschauungen der Sächsischen Regierung auszusprechen, soll zu
Dr. Stephani, als dieser um einen Orden für den verdienten Urheber der
Leipziger Festbanten nachsuchte, erklärt haben: "Einen Preußischen will ich
ihm verschaffen. Einen Sächsischen kann er natürlich nicht bekommen. Denn



") Die Königliche "Leipziger Zeitung", welche von Beamten redigirt und beaufsichtigt wird,
empfiehlt in ihrer neuesten Nummer diesen conservativen Fortschrittsmann zur Stichwahl gegen
den Nationallibcralcn, weil er "vom gemäßigten Fortschritt" aufgestellt sei. Unter den Auf"
steilern dieses Kandidaten befinden sich die wüthendsten Schreier gegen den Justizgesetzcompromiß
und die Reichspolitik, u> A. auch Herr Francke, in dessen Augen die Fortschrittspartei in po¬
litischer Hinsicht auf dem Boden der Socialdemokratie steht. Das ist Kgl. Sachs. "gemäßigter
Fortschritt".

Die „deutsch - conservative" Partei, d. h. die junkerlich - particularistische,
hat überall, wo sie in neuen Wahlkreisen gegen die andern Parteien Kandidaten
aufstellte, sehr ungünstige Geschäfte gemacht, die im umgekehrtem Verhältnisse stehen
zu jenen hochtönenden Phrasen, mit welchen sie ihr Entstehen und ihre Kandidaten
der Welt vorstellte. Die Behauptung, daß sie die Treue zu Kaiser und Reich
und zum angestammten Landesfürsten in Erbpacht genommen habe, spielte da¬
bei eine Hauptrolle. Mit dem Unterliegen dieser Fraction müßte also die
Felouie in Sachsen nun allgemein losgehen. Doch ist man glücklicherweise
seit zehn Jahren gewohnt, das Gegentheil von dem in Erfüllung gehen zu
sehen, was diese Partei weissagt und anstrebt. In drei Wahlkreisen nur
(Borna, Plauen und Annaberg) hat sie es zur Stichwahl gebracht. Nur
in den Wahlkreisen, wo der deutsch - conservative Candidat gegen den
Socialdemokraten von den Nationalliberalen mit unterstützt wurde (in
Bautzen, Dresdner Landkreis, Meißen, Oschatz) gelang es der Partei, ab¬
solute Majoritäten im ersten Wahlgang zu erzielen. Das Streben, mit
„selbständigen" Kandidaten zu debütiren, hat der jungen Partei Demüthigungen
zugezogen, die nicht sobald zu verwinden sein dürften. In Zwickau hat die
Partei einen Kandidaten als conservativen empfohlen, welchen der Fortschritt
in Rossen als einen Mann seiner Farbe anpries."') Solche Männer gibt es
freilich nur in Sachsen, deren politisches Gepräge sie zu den Kryptogamen weist.
In den meisten Wahlbezirken, wo sie selbständige Zersplitterung - Kandidaten
aufgestellt, hat die deutsch-conservative Partei beschämende Minoritäten erzielt. Da¬
zu kommt, daß tonangebende Mitglieder sich zu Handlungen zu bekennen haben,
welche ihre gewiß sehr große Reichstreue in ein eigenthümliches Licht stellen.
Der Führer der sogenannten Deutsch-Konservativen im Leipziger Landkreis ist
gerichtlich überführt worden, der Verfasser der berüchtigten „Semper - Ideen"-
Artikel in der reichsfeindlichen „Neuen Reichszeitimg" in Dresden zu sein.
Ein noch weit maßgebenderer Mann derselben Partei aber, welcher besonders
berufen schien, bei den Kaiserfeierlichkeiten in Leipzig (im September
v, I.) die Anschauungen der Sächsischen Regierung auszusprechen, soll zu
Dr. Stephani, als dieser um einen Orden für den verdienten Urheber der
Leipziger Festbanten nachsuchte, erklärt haben: „Einen Preußischen will ich
ihm verschaffen. Einen Sächsischen kann er natürlich nicht bekommen. Denn



") Die Königliche „Leipziger Zeitung", welche von Beamten redigirt und beaufsichtigt wird,
empfiehlt in ihrer neuesten Nummer diesen conservativen Fortschrittsmann zur Stichwahl gegen
den Nationallibcralcn, weil er „vom gemäßigten Fortschritt" aufgestellt sei. Unter den Auf»
steilern dieses Kandidaten befinden sich die wüthendsten Schreier gegen den Justizgesetzcompromiß
und die Reichspolitik, u> A. auch Herr Francke, in dessen Augen die Fortschrittspartei in po¬
litischer Hinsicht auf dem Boden der Socialdemokratie steht. Das ist Kgl. Sachs. „gemäßigter
Fortschritt".
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[0167] Die „deutsch - conservative" Partei, d. h. die junkerlich - particularistische, hat überall, wo sie in neuen Wahlkreisen gegen die andern Parteien Kandidaten aufstellte, sehr ungünstige Geschäfte gemacht, die im umgekehrtem Verhältnisse stehen zu jenen hochtönenden Phrasen, mit welchen sie ihr Entstehen und ihre Kandidaten der Welt vorstellte. Die Behauptung, daß sie die Treue zu Kaiser und Reich und zum angestammten Landesfürsten in Erbpacht genommen habe, spielte da¬ bei eine Hauptrolle. Mit dem Unterliegen dieser Fraction müßte also die Felouie in Sachsen nun allgemein losgehen. Doch ist man glücklicherweise seit zehn Jahren gewohnt, das Gegentheil von dem in Erfüllung gehen zu sehen, was diese Partei weissagt und anstrebt. In drei Wahlkreisen nur (Borna, Plauen und Annaberg) hat sie es zur Stichwahl gebracht. Nur in den Wahlkreisen, wo der deutsch - conservative Candidat gegen den Socialdemokraten von den Nationalliberalen mit unterstützt wurde (in Bautzen, Dresdner Landkreis, Meißen, Oschatz) gelang es der Partei, ab¬ solute Majoritäten im ersten Wahlgang zu erzielen. Das Streben, mit „selbständigen" Kandidaten zu debütiren, hat der jungen Partei Demüthigungen zugezogen, die nicht sobald zu verwinden sein dürften. In Zwickau hat die Partei einen Kandidaten als conservativen empfohlen, welchen der Fortschritt in Rossen als einen Mann seiner Farbe anpries."') Solche Männer gibt es freilich nur in Sachsen, deren politisches Gepräge sie zu den Kryptogamen weist. In den meisten Wahlbezirken, wo sie selbständige Zersplitterung - Kandidaten aufgestellt, hat die deutsch-conservative Partei beschämende Minoritäten erzielt. Da¬ zu kommt, daß tonangebende Mitglieder sich zu Handlungen zu bekennen haben, welche ihre gewiß sehr große Reichstreue in ein eigenthümliches Licht stellen. Der Führer der sogenannten Deutsch-Konservativen im Leipziger Landkreis ist gerichtlich überführt worden, der Verfasser der berüchtigten „Semper - Ideen"- Artikel in der reichsfeindlichen „Neuen Reichszeitimg" in Dresden zu sein. Ein noch weit maßgebenderer Mann derselben Partei aber, welcher besonders berufen schien, bei den Kaiserfeierlichkeiten in Leipzig (im September v, I.) die Anschauungen der Sächsischen Regierung auszusprechen, soll zu Dr. Stephani, als dieser um einen Orden für den verdienten Urheber der Leipziger Festbanten nachsuchte, erklärt haben: „Einen Preußischen will ich ihm verschaffen. Einen Sächsischen kann er natürlich nicht bekommen. Denn ") Die Königliche „Leipziger Zeitung", welche von Beamten redigirt und beaufsichtigt wird, empfiehlt in ihrer neuesten Nummer diesen conservativen Fortschrittsmann zur Stichwahl gegen den Nationallibcralcn, weil er „vom gemäßigten Fortschritt" aufgestellt sei. Unter den Auf» steilern dieses Kandidaten befinden sich die wüthendsten Schreier gegen den Justizgesetzcompromiß und die Reichspolitik, u> A. auch Herr Francke, in dessen Augen die Fortschrittspartei in po¬ litischer Hinsicht auf dem Boden der Socialdemokratie steht. Das ist Kgl. Sachs. „gemäßigter Fortschritt".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/167>, abgerufen am 23.07.2024.