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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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wie Zwickcmers Söhnchen, das den Marabntstorch im Thiergarten über den
Pelikan hinweg mit dem Phönix verwechselte."

Mit der Ueberschätzung der eignen Ergebnisse geht bei vielen Assyriologen
eine Geringschätzung der besten griechischen Quellen der alten Geschichte des
Orients Hand in Hand. "War Duncker", so lesen wir bei Schrader, "noch in
der dritten Ausgabe in der Lage, sich mit den Berichten der Griechen über die
früheste Geschichte des alten Orients ernsthaft auseinanderzusetzen, so haben
die neuesten Entdeckungen dieselben in vernichtender Weise Lügen gestraft. Die
chronologischen Aufrisse weiter des Herodot und der Hebräer sind zerschellt an
den zwei-, drei- und vierfach contrvlirten Regenteneanones und Eponymenlisten
der assyrischen Thontafeln." Unsere Schrift weist nach, daß zu diesem triumphi-
renden Gerede wenig oder gar kein Anlaß ist. In glänzender Weise wird
namentlich der Bericht Herodots über Dejokes vertheidigt. Wiederholt wird
gezeigt, wie die Herren Assyriologen, namentlich die deutsche Schule, aus noth¬
gedrungenen Auskünften Regeln fabricirt, ans einmaligem Vorkommen auf ein
stetiges oder jedesmaliges geschlossen und ohne Grund mit allerlei andern bei
Lichte besehen grundlosen Hypothesen Geschichte gemacht haben und Ausstel-
lungen gegenüber Recht zu behalten bestrebt gewesen sind. Wir müssen uns
versagen, hier auf die Einzelheiten einzugehen, und bemerken nur, daß die
Polemik v. Gntschmids hänfig -- z. B. in Betreff der Entstehung des medi-
schen Reiches, welche durch das cmologe Aufkommen des parthischen erläutert
wird, hinsichtlich der Natur der Suzeränetät im alten Orient und (in Ur. 1
der angehängten Excurse) in Bezug auf die Fortdauer des nordisraelitischen
Reichs nach 721 v. Chr. -- zu sehr dankenswerthen positiven Beleh¬
rungen führt.

Die Richtigkeit des entzifferten Inhalts der Inschriften wird bei diesen Er¬
örterungen meist nicht angefochten, doch erinnert der Verfasser daran, daß durch¬
aus nicht alles Urkunde ist, was auf den Thontafeln Mesopotamiens gelesen wird.
Namentlich sind die Eponymenlisten offenbar Entstellungen durch Abschreiber
ausgesetzt gewesen, und die assyrischen Herrscher haben den Bulletinstyl ebenso
gut gekannt und angewendet, als Napoleon und andere Moderne. Die Untrüg¬
lichkeit, die dein Kanon des Ptolemäus allseitig zuerkannt wird, kommt den
Eponymenlisten keineswegs zu. Sie sind deshalb, weil sie aus der Bibliothek
des Sardanapal stammen und auf Thonziegel geschrieben sind, nicht weniger
ein gewöhnliches Buch, als ein beliebiges hebräisches oder griechisches. Sie
sind älter, als die Bücher der Könige in der Bibel, eine Urkunde aber sind sie
nicht. "Nichts vielleicht predigt die Lehre, daß man nicht das erste beste assy¬
rische Schriftstück für eine Urkunde nehmen soll, eindringlicher, als der mehrfach
übersetzte Text, welcher von der Kindheit des Königs Sargon I. handelt. Die


wie Zwickcmers Söhnchen, das den Marabntstorch im Thiergarten über den
Pelikan hinweg mit dem Phönix verwechselte."

Mit der Ueberschätzung der eignen Ergebnisse geht bei vielen Assyriologen
eine Geringschätzung der besten griechischen Quellen der alten Geschichte des
Orients Hand in Hand. „War Duncker", so lesen wir bei Schrader, „noch in
der dritten Ausgabe in der Lage, sich mit den Berichten der Griechen über die
früheste Geschichte des alten Orients ernsthaft auseinanderzusetzen, so haben
die neuesten Entdeckungen dieselben in vernichtender Weise Lügen gestraft. Die
chronologischen Aufrisse weiter des Herodot und der Hebräer sind zerschellt an
den zwei-, drei- und vierfach contrvlirten Regenteneanones und Eponymenlisten
der assyrischen Thontafeln." Unsere Schrift weist nach, daß zu diesem triumphi-
renden Gerede wenig oder gar kein Anlaß ist. In glänzender Weise wird
namentlich der Bericht Herodots über Dejokes vertheidigt. Wiederholt wird
gezeigt, wie die Herren Assyriologen, namentlich die deutsche Schule, aus noth¬
gedrungenen Auskünften Regeln fabricirt, ans einmaligem Vorkommen auf ein
stetiges oder jedesmaliges geschlossen und ohne Grund mit allerlei andern bei
Lichte besehen grundlosen Hypothesen Geschichte gemacht haben und Ausstel-
lungen gegenüber Recht zu behalten bestrebt gewesen sind. Wir müssen uns
versagen, hier auf die Einzelheiten einzugehen, und bemerken nur, daß die
Polemik v. Gntschmids hänfig — z. B. in Betreff der Entstehung des medi-
schen Reiches, welche durch das cmologe Aufkommen des parthischen erläutert
wird, hinsichtlich der Natur der Suzeränetät im alten Orient und (in Ur. 1
der angehängten Excurse) in Bezug auf die Fortdauer des nordisraelitischen
Reichs nach 721 v. Chr. — zu sehr dankenswerthen positiven Beleh¬
rungen führt.

Die Richtigkeit des entzifferten Inhalts der Inschriften wird bei diesen Er¬
örterungen meist nicht angefochten, doch erinnert der Verfasser daran, daß durch¬
aus nicht alles Urkunde ist, was auf den Thontafeln Mesopotamiens gelesen wird.
Namentlich sind die Eponymenlisten offenbar Entstellungen durch Abschreiber
ausgesetzt gewesen, und die assyrischen Herrscher haben den Bulletinstyl ebenso
gut gekannt und angewendet, als Napoleon und andere Moderne. Die Untrüg¬
lichkeit, die dein Kanon des Ptolemäus allseitig zuerkannt wird, kommt den
Eponymenlisten keineswegs zu. Sie sind deshalb, weil sie aus der Bibliothek
des Sardanapal stammen und auf Thonziegel geschrieben sind, nicht weniger
ein gewöhnliches Buch, als ein beliebiges hebräisches oder griechisches. Sie
sind älter, als die Bücher der Könige in der Bibel, eine Urkunde aber sind sie
nicht. „Nichts vielleicht predigt die Lehre, daß man nicht das erste beste assy¬
rische Schriftstück für eine Urkunde nehmen soll, eindringlicher, als der mehrfach
übersetzte Text, welcher von der Kindheit des Königs Sargon I. handelt. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/140>, abgerufen am 23.07.2024.