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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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werden und verdrießlich antworten: "Ach was! Es kann mir ganz und gar
einerlei sein, warum ihr verschiedeuer Meinung seid, mir genügt, daß ihr's
seid. Ich weiß jetzt, woran ich mit euch bin, laßt mich bis auf Weiteres in
Ruhe und kommt mir mit euren Entzifferungen nicht eher wieder, als bis ver¬
schiedene Ansichten über Ermorden und Ermordetwerden unter euch nicht mehr
möglich sind."

Dieß ist der Inhalt des ersten Abschnitts unsrer Schrift in der Haupt¬
sache. Den ferneren können wir nicht in dieser Ausführlichkeit folgen, und so
greifen wir zunächst aus dem zweiten, der ans eine große Anzahl geschichtlicher
und geographischer Unglaublichkeiten hinweist, nur Einzelnes heraus.

Nach Schrader erscheint unter den syrischen Königen, die Salmanassar der
Zweite bei Karkar schlug, Aha-ab-bu Sirlai, d. h. Ahab von Israel. Die
Sache scheint nach der Bibel unmöglich zu sein, aber für Schrader läßt der
Zusammenhang über die Richtigkeit derselben "keinen Zweifel." "Es ist (mit
Sirlai) natürlich Israel gemeint, wie sich aus dem davorstehenden Lünder-
determinativ (mat) mit Sicherheit ergiebt. . . Das sonst gemeiniglich mit dein
Lantwerthe <zir (nicht zir) erscheinende Zeichen ist somit hier mit dem Laut¬
werthe Sir angewandt." Schrader erfindet also einen Lautwerth für
ein Sylbenzeichen, den dasselbe sonst nirgends hat, eigens zu dem Zwecke,
um die Combination des Namens mit Israel zu ermöglichen, und hält
das offenbar für ganz in der Ordnung. Ist das ein erstaunliches Verfahren,
so erstaunen wir noch mehr, wenn er das weitere Geständniß macht: "Als
Gescunmtname der Jsraeliten findet sich der Name Israel in den Keilinschriften
nicht. Auch als Name des nördlichen Reiches erscheint derselbe in der Regel
nicht; es ist vielmehr statt dessen der Name mat Bie Humri im Gebrauche, d.
h. "Land des Hauses Omri's . . . oder aber mat Humri, "Land Omri's" . . .
Der Name "Israel" findet sich, und zwar als Name für das "Reich Israel",
nur einmal in den Inschriften, nämlich auf dem neuentdeckten Steine Salma-
nassars II., wo Ahab von Israel als Sirlai, d. h. als "der von Israel" be¬
zeichnet wird." Also zu dem Hapaxgraphomenon wird auch ein Hapaxlego-
menon eigens um jener Combination willen von Schrader erfunden! Aber
Noch nicht genug: das Erstaunlichste von allem ist, daß Schrader hartnäckig
verschweigt, daß jenes Zeichen, welchem er den Lautwerth Sir aufnöthigt, ein
Polyphon ist, und daß sein Lautwerth zwar bisweilen Sir, viel häufiger aber
su ist, weshalb man viel eher an einen König des oft erwähnten Savia bei
Damaskus, als an Ahab von Israel denken kann.

Besonders schädlich hat die Sucht Schraders und andrer Assyriologen, die
fremdklingenden Namen zu popularisiren, gewirkt. König Binnirar der Dritte
nahm nach einer Inschrift "das Gebirge Bilchu nach feinem gesammten Ge?


werden und verdrießlich antworten: „Ach was! Es kann mir ganz und gar
einerlei sein, warum ihr verschiedeuer Meinung seid, mir genügt, daß ihr's
seid. Ich weiß jetzt, woran ich mit euch bin, laßt mich bis auf Weiteres in
Ruhe und kommt mir mit euren Entzifferungen nicht eher wieder, als bis ver¬
schiedene Ansichten über Ermorden und Ermordetwerden unter euch nicht mehr
möglich sind."

Dieß ist der Inhalt des ersten Abschnitts unsrer Schrift in der Haupt¬
sache. Den ferneren können wir nicht in dieser Ausführlichkeit folgen, und so
greifen wir zunächst aus dem zweiten, der ans eine große Anzahl geschichtlicher
und geographischer Unglaublichkeiten hinweist, nur Einzelnes heraus.

Nach Schrader erscheint unter den syrischen Königen, die Salmanassar der
Zweite bei Karkar schlug, Aha-ab-bu Sirlai, d. h. Ahab von Israel. Die
Sache scheint nach der Bibel unmöglich zu sein, aber für Schrader läßt der
Zusammenhang über die Richtigkeit derselben „keinen Zweifel." „Es ist (mit
Sirlai) natürlich Israel gemeint, wie sich aus dem davorstehenden Lünder-
determinativ (mat) mit Sicherheit ergiebt. . . Das sonst gemeiniglich mit dein
Lantwerthe <zir (nicht zir) erscheinende Zeichen ist somit hier mit dem Laut¬
werthe Sir angewandt." Schrader erfindet also einen Lautwerth für
ein Sylbenzeichen, den dasselbe sonst nirgends hat, eigens zu dem Zwecke,
um die Combination des Namens mit Israel zu ermöglichen, und hält
das offenbar für ganz in der Ordnung. Ist das ein erstaunliches Verfahren,
so erstaunen wir noch mehr, wenn er das weitere Geständniß macht: „Als
Gescunmtname der Jsraeliten findet sich der Name Israel in den Keilinschriften
nicht. Auch als Name des nördlichen Reiches erscheint derselbe in der Regel
nicht; es ist vielmehr statt dessen der Name mat Bie Humri im Gebrauche, d.
h. „Land des Hauses Omri's . . . oder aber mat Humri, „Land Omri's" . . .
Der Name „Israel" findet sich, und zwar als Name für das „Reich Israel",
nur einmal in den Inschriften, nämlich auf dem neuentdeckten Steine Salma-
nassars II., wo Ahab von Israel als Sirlai, d. h. als „der von Israel" be¬
zeichnet wird." Also zu dem Hapaxgraphomenon wird auch ein Hapaxlego-
menon eigens um jener Combination willen von Schrader erfunden! Aber
Noch nicht genug: das Erstaunlichste von allem ist, daß Schrader hartnäckig
verschweigt, daß jenes Zeichen, welchem er den Lautwerth Sir aufnöthigt, ein
Polyphon ist, und daß sein Lautwerth zwar bisweilen Sir, viel häufiger aber
su ist, weshalb man viel eher an einen König des oft erwähnten Savia bei
Damaskus, als an Ahab von Israel denken kann.

Besonders schädlich hat die Sucht Schraders und andrer Assyriologen, die
fremdklingenden Namen zu popularisiren, gewirkt. König Binnirar der Dritte
nahm nach einer Inschrift „das Gebirge Bilchu nach feinem gesammten Ge?


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[0138] werden und verdrießlich antworten: „Ach was! Es kann mir ganz und gar einerlei sein, warum ihr verschiedeuer Meinung seid, mir genügt, daß ihr's seid. Ich weiß jetzt, woran ich mit euch bin, laßt mich bis auf Weiteres in Ruhe und kommt mir mit euren Entzifferungen nicht eher wieder, als bis ver¬ schiedene Ansichten über Ermorden und Ermordetwerden unter euch nicht mehr möglich sind." Dieß ist der Inhalt des ersten Abschnitts unsrer Schrift in der Haupt¬ sache. Den ferneren können wir nicht in dieser Ausführlichkeit folgen, und so greifen wir zunächst aus dem zweiten, der ans eine große Anzahl geschichtlicher und geographischer Unglaublichkeiten hinweist, nur Einzelnes heraus. Nach Schrader erscheint unter den syrischen Königen, die Salmanassar der Zweite bei Karkar schlug, Aha-ab-bu Sirlai, d. h. Ahab von Israel. Die Sache scheint nach der Bibel unmöglich zu sein, aber für Schrader läßt der Zusammenhang über die Richtigkeit derselben „keinen Zweifel." „Es ist (mit Sirlai) natürlich Israel gemeint, wie sich aus dem davorstehenden Lünder- determinativ (mat) mit Sicherheit ergiebt. . . Das sonst gemeiniglich mit dein Lantwerthe <zir (nicht zir) erscheinende Zeichen ist somit hier mit dem Laut¬ werthe Sir angewandt." Schrader erfindet also einen Lautwerth für ein Sylbenzeichen, den dasselbe sonst nirgends hat, eigens zu dem Zwecke, um die Combination des Namens mit Israel zu ermöglichen, und hält das offenbar für ganz in der Ordnung. Ist das ein erstaunliches Verfahren, so erstaunen wir noch mehr, wenn er das weitere Geständniß macht: „Als Gescunmtname der Jsraeliten findet sich der Name Israel in den Keilinschriften nicht. Auch als Name des nördlichen Reiches erscheint derselbe in der Regel nicht; es ist vielmehr statt dessen der Name mat Bie Humri im Gebrauche, d. h. „Land des Hauses Omri's . . . oder aber mat Humri, „Land Omri's" . . . Der Name „Israel" findet sich, und zwar als Name für das „Reich Israel", nur einmal in den Inschriften, nämlich auf dem neuentdeckten Steine Salma- nassars II., wo Ahab von Israel als Sirlai, d. h. als „der von Israel" be¬ zeichnet wird." Also zu dem Hapaxgraphomenon wird auch ein Hapaxlego- menon eigens um jener Combination willen von Schrader erfunden! Aber Noch nicht genug: das Erstaunlichste von allem ist, daß Schrader hartnäckig verschweigt, daß jenes Zeichen, welchem er den Lautwerth Sir aufnöthigt, ein Polyphon ist, und daß sein Lautwerth zwar bisweilen Sir, viel häufiger aber su ist, weshalb man viel eher an einen König des oft erwähnten Savia bei Damaskus, als an Ahab von Israel denken kann. Besonders schädlich hat die Sucht Schraders und andrer Assyriologen, die fremdklingenden Namen zu popularisiren, gewirkt. König Binnirar der Dritte nahm nach einer Inschrift „das Gebirge Bilchu nach feinem gesammten Ge?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/138>, abgerufen am 23.07.2024.