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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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damit, was früher ziemlich allgemein und noch vor Kurzem in manchem Kreise
der Freimaurerei angenommen wurde, daß nämlich die Mysterien ein Glied
in der Entwickelung der Letzteren gewesen seien. Noch vor nicht sehr langer
Zeit, in den Tagen, wo die Schelling'sche Philosophie blühte, wo auch die
"profane" Wissenschaft an eine UrWeisheit der Menschheit glaubte und Mangel
an geschichtlichem Sinne auf dem Gebiete der alten Culturwelt vielfach Phan¬
tasiespiele gestattete, liebte man es, die Anfänge der Masonei in das höchste
Alterthum zu verlegen. Namentlich geschah dieß in den Logen selbst, wo man
die "Königliche Kunst" zu ehren vermeinte, wenn man sie für eine solche aus¬
gab, bereu Leben nach Jahrtausenden zählte. So warf man ohne Bedenken
alles, was in der antiken Welt und dann im Mittelalter einige Aehnlichkeit
mit den geheimen Bräuchen und Lehren der Maurerei erkennen ließ, mit dieser
in einen Topf. Die Vereinigungen der ägyptischen Priester, die Pythagoräer,
die jüdischen Essäer, die Templer wurden allen Ernstes für Erscheinungen au¬
gesehen oder wenigsten erklärt, die Stufen in der Herausbildung des Ordens
oder Bundes bezeichneten. Auch die griechischen Mysterien und die Genossen¬
schaften, die sich um sie gruppirten, sind in diese Fabelküche hineingezogen worden.

Wir brauchen nicht zu beweisen, daß dieß in der That Aberglaube und
ungeschichtliche Betrachtung der Dinge ist. Wenn wir gleichwohl für unser
Thema den Titel "Altgriechische Freimaurerei" wählten, so mag sich derselbe
vor denen, welche Kenntniß von masonischen Ceremonien und Doctrinen haben,
dnrch die folgende Mittheilung rechtfertigen. Wir haben, wie gezeigt werden
wird, in den Mysterien eine der Maurerei verwandte Erscheinung vor uns,
wenn anch mit nichten eine blutsverwandte, keine solche, in der irgend eins
von den jetzt existirenden Systemen, nach welchen maurerisch "gearbeitet" wird,
gleichsam das Denken und Thun seiner Ahnen zu erblicken hätte. Sie beruhten
auf der Sehnsucht und dem Streben, neben der Volksreligion ein Höheres zu
gewinnen, mehr Reinheit der Seele zu erwerben und mehr vom Geheimniß
des Jenseits zu erfahren, als die profane Welt zu gewähren schien; sie ver¬
banden die Wissenden zu einer nach Außen abgeschlossenen Genossenschaft, und
sie waren, wie schon ihr Name sagt, zum großen Theil von Geheimniß um¬
hüllt. Das ist so ziemlich alles, worin sie dem Organismus der Freimaurerei
bis zu einem gewissen Grade ähneln. Ein Meuschheitsbuud, der keinen Unter¬
schied der Völker und Religion kennen soll, waren sie nicht. Ebenso wenig
standen sie mit ihren Bestrebungen abseits vom Staate und den Göttern des
Landes. Endlich existirt zwischen den Mysterien der Tage, wo Perikles und
Platon lebten, und den Mysterien der Loge kein Zusammenhang der Art, daß
jene ans die Gestaltung dieser irgend welchen natürlichen Einfluß gehabt hätten.


damit, was früher ziemlich allgemein und noch vor Kurzem in manchem Kreise
der Freimaurerei angenommen wurde, daß nämlich die Mysterien ein Glied
in der Entwickelung der Letzteren gewesen seien. Noch vor nicht sehr langer
Zeit, in den Tagen, wo die Schelling'sche Philosophie blühte, wo auch die
„profane" Wissenschaft an eine UrWeisheit der Menschheit glaubte und Mangel
an geschichtlichem Sinne auf dem Gebiete der alten Culturwelt vielfach Phan¬
tasiespiele gestattete, liebte man es, die Anfänge der Masonei in das höchste
Alterthum zu verlegen. Namentlich geschah dieß in den Logen selbst, wo man
die „Königliche Kunst" zu ehren vermeinte, wenn man sie für eine solche aus¬
gab, bereu Leben nach Jahrtausenden zählte. So warf man ohne Bedenken
alles, was in der antiken Welt und dann im Mittelalter einige Aehnlichkeit
mit den geheimen Bräuchen und Lehren der Maurerei erkennen ließ, mit dieser
in einen Topf. Die Vereinigungen der ägyptischen Priester, die Pythagoräer,
die jüdischen Essäer, die Templer wurden allen Ernstes für Erscheinungen au¬
gesehen oder wenigsten erklärt, die Stufen in der Herausbildung des Ordens
oder Bundes bezeichneten. Auch die griechischen Mysterien und die Genossen¬
schaften, die sich um sie gruppirten, sind in diese Fabelküche hineingezogen worden.

Wir brauchen nicht zu beweisen, daß dieß in der That Aberglaube und
ungeschichtliche Betrachtung der Dinge ist. Wenn wir gleichwohl für unser
Thema den Titel „Altgriechische Freimaurerei" wählten, so mag sich derselbe
vor denen, welche Kenntniß von masonischen Ceremonien und Doctrinen haben,
dnrch die folgende Mittheilung rechtfertigen. Wir haben, wie gezeigt werden
wird, in den Mysterien eine der Maurerei verwandte Erscheinung vor uns,
wenn anch mit nichten eine blutsverwandte, keine solche, in der irgend eins
von den jetzt existirenden Systemen, nach welchen maurerisch „gearbeitet" wird,
gleichsam das Denken und Thun seiner Ahnen zu erblicken hätte. Sie beruhten
auf der Sehnsucht und dem Streben, neben der Volksreligion ein Höheres zu
gewinnen, mehr Reinheit der Seele zu erwerben und mehr vom Geheimniß
des Jenseits zu erfahren, als die profane Welt zu gewähren schien; sie ver¬
banden die Wissenden zu einer nach Außen abgeschlossenen Genossenschaft, und
sie waren, wie schon ihr Name sagt, zum großen Theil von Geheimniß um¬
hüllt. Das ist so ziemlich alles, worin sie dem Organismus der Freimaurerei
bis zu einem gewissen Grade ähneln. Ein Meuschheitsbuud, der keinen Unter¬
schied der Völker und Religion kennen soll, waren sie nicht. Ebenso wenig
standen sie mit ihren Bestrebungen abseits vom Staate und den Göttern des
Landes. Endlich existirt zwischen den Mysterien der Tage, wo Perikles und
Platon lebten, und den Mysterien der Loge kein Zusammenhang der Art, daß
jene ans die Gestaltung dieser irgend welchen natürlichen Einfluß gehabt hätten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/115>, abgerufen am 03.07.2024.