Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Frachtertrag beziehen, daß sie keinen Schaden hat, so muß sie den Tarifsatz
so hoch stellen, daß die geringerwerthigen Waaren des allgemeinen Vervrauchs
bedeutend höher als gegenwärtig taxirt werden. Will die Verwaltung dies
aber nicht, dann erhält sie einen großen Ausfall, welcher aus anderen Mitteln
gedeckt werden muß. Die Reichsregierung würde sich also wohl hüten, den
Collo- und Wagenraumtarif auf sämmtlichen Bahnen einzuführen. Es ist viel¬
mehr anzunehmen, daß sie dieses System auch auf den Bahnen im Reichsland
wieder aufheben wird, sobald man sich einmal über die Grundsätze der künftigen
einheitlichen Tarifeinrichtung geeinigt haben wird, wozu die Beschlüsse der
Tarif-Enquete-Conferenz als ganz brauchbares Material dienen können.

Gewichtiger ist der Einwand von Moritz Mohl, welcher auf die Thatsache
hinweist, daß die preußischen Staatsbahnen bis jetzt einen geringeren Ertrag
abgeworfen haben, wie die Privatbahnen und die Staatsbahnen Süddeutschlands.
Da die künftigen Reichsbahnen, wie es in der Natur der Dinge liegt, dieselbe
Verwaltung wie die preußischen Staatsbahnen erhalten würden, so würde
das deutsche Eisenbahnnetz in Zukunft daher einen geringeren Ertrag abwerfen
als bisher. Die Mittelstaaten würden daher nicht bloß der Gefahr ausgesetzt
werden, daß die Ueberschüsse ihrer gut rentirendeu Bahnen dazu verwendet
würden, die ärmeren Gegenden Norddeutschlands mit Eisenbahnen auszustatten,
sondern daß sie nach ihrem Antheil an den Reichsfinanzen auch noch dazu
beitragen müßten, den etwaigen Ausfall der Reichsbahnen zu decken. Dieser
Einwand verdient in der That Berücksichtung, obgleich dabei auch der Grund¬
satz beachtet werden muß, daß der Vortheil, einem großen, mächtigen, geachteten
und gefürchteten Staatsorganismus anzugehören, auch natürlich gewisse Pflichten
im Gefolge habe" muß. Die genannten Eventualitäten werden jedenfalls einen
Gegenstand der Unterhandlung bilden müssen, sobald mit dein Uebergang der
Eisenbahnen an das Reich Ernst gemacht werden sollte. Dann wird ja das
erste Bedenken schon durch die angemessene Festsetzung des Kaufschillings be¬
seitigt werden können. Die zweite Besorgniß ließe sich etwa durch eine Art
Garantie bannen, welche doch bloß nominell sein würde, denn es ist mit
Sicherheit vorauszusehen, daß die Eisenbahnen in Zukunft einen höheren und
nicht einen geringeren Ertrag abwerfen werden. Es darf nämlich nicht ver¬
gessen werden, daß die Ursache der geringeren Rentabilität der preußischen
Staatsbahnen uicht in einem Fehler der Verwaltung liegt, sondern in dein
Umstände, daß Preußen erst in einer Periode zu der Errichtung, beziehungs¬
weise Erwerbung von Staatsbahnen kam, als Privatbahnen erster Klasse bereits
das Fett abgeschöpft hatten. Die guten Bahnen werden daher auch in den
Händen der preußischen oder der Reichsverwaltung ebenso gut als bis jetzt
rentiren, wahrscheinlich aber aus den bereits angeführten Gründen noch besser.


Frachtertrag beziehen, daß sie keinen Schaden hat, so muß sie den Tarifsatz
so hoch stellen, daß die geringerwerthigen Waaren des allgemeinen Vervrauchs
bedeutend höher als gegenwärtig taxirt werden. Will die Verwaltung dies
aber nicht, dann erhält sie einen großen Ausfall, welcher aus anderen Mitteln
gedeckt werden muß. Die Reichsregierung würde sich also wohl hüten, den
Collo- und Wagenraumtarif auf sämmtlichen Bahnen einzuführen. Es ist viel¬
mehr anzunehmen, daß sie dieses System auch auf den Bahnen im Reichsland
wieder aufheben wird, sobald man sich einmal über die Grundsätze der künftigen
einheitlichen Tarifeinrichtung geeinigt haben wird, wozu die Beschlüsse der
Tarif-Enquete-Conferenz als ganz brauchbares Material dienen können.

Gewichtiger ist der Einwand von Moritz Mohl, welcher auf die Thatsache
hinweist, daß die preußischen Staatsbahnen bis jetzt einen geringeren Ertrag
abgeworfen haben, wie die Privatbahnen und die Staatsbahnen Süddeutschlands.
Da die künftigen Reichsbahnen, wie es in der Natur der Dinge liegt, dieselbe
Verwaltung wie die preußischen Staatsbahnen erhalten würden, so würde
das deutsche Eisenbahnnetz in Zukunft daher einen geringeren Ertrag abwerfen
als bisher. Die Mittelstaaten würden daher nicht bloß der Gefahr ausgesetzt
werden, daß die Ueberschüsse ihrer gut rentirendeu Bahnen dazu verwendet
würden, die ärmeren Gegenden Norddeutschlands mit Eisenbahnen auszustatten,
sondern daß sie nach ihrem Antheil an den Reichsfinanzen auch noch dazu
beitragen müßten, den etwaigen Ausfall der Reichsbahnen zu decken. Dieser
Einwand verdient in der That Berücksichtung, obgleich dabei auch der Grund¬
satz beachtet werden muß, daß der Vortheil, einem großen, mächtigen, geachteten
und gefürchteten Staatsorganismus anzugehören, auch natürlich gewisse Pflichten
im Gefolge habe» muß. Die genannten Eventualitäten werden jedenfalls einen
Gegenstand der Unterhandlung bilden müssen, sobald mit dein Uebergang der
Eisenbahnen an das Reich Ernst gemacht werden sollte. Dann wird ja das
erste Bedenken schon durch die angemessene Festsetzung des Kaufschillings be¬
seitigt werden können. Die zweite Besorgniß ließe sich etwa durch eine Art
Garantie bannen, welche doch bloß nominell sein würde, denn es ist mit
Sicherheit vorauszusehen, daß die Eisenbahnen in Zukunft einen höheren und
nicht einen geringeren Ertrag abwerfen werden. Es darf nämlich nicht ver¬
gessen werden, daß die Ursache der geringeren Rentabilität der preußischen
Staatsbahnen uicht in einem Fehler der Verwaltung liegt, sondern in dein
Umstände, daß Preußen erst in einer Periode zu der Errichtung, beziehungs¬
weise Erwerbung von Staatsbahnen kam, als Privatbahnen erster Klasse bereits
das Fett abgeschöpft hatten. Die guten Bahnen werden daher auch in den
Händen der preußischen oder der Reichsverwaltung ebenso gut als bis jetzt
rentiren, wahrscheinlich aber aus den bereits angeführten Gründen noch besser.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0112" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137285"/>
          <p xml:id="ID_403" prev="#ID_402"> Frachtertrag beziehen, daß sie keinen Schaden hat, so muß sie den Tarifsatz<lb/>
so hoch stellen, daß die geringerwerthigen Waaren des allgemeinen Vervrauchs<lb/>
bedeutend höher als gegenwärtig taxirt werden. Will die Verwaltung dies<lb/>
aber nicht, dann erhält sie einen großen Ausfall, welcher aus anderen Mitteln<lb/>
gedeckt werden muß. Die Reichsregierung würde sich also wohl hüten, den<lb/>
Collo- und Wagenraumtarif auf sämmtlichen Bahnen einzuführen. Es ist viel¬<lb/>
mehr anzunehmen, daß sie dieses System auch auf den Bahnen im Reichsland<lb/>
wieder aufheben wird, sobald man sich einmal über die Grundsätze der künftigen<lb/>
einheitlichen Tarifeinrichtung geeinigt haben wird, wozu die Beschlüsse der<lb/>
Tarif-Enquete-Conferenz als ganz brauchbares Material dienen können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_404" next="#ID_405"> Gewichtiger ist der Einwand von Moritz Mohl, welcher auf die Thatsache<lb/>
hinweist, daß die preußischen Staatsbahnen bis jetzt einen geringeren Ertrag<lb/>
abgeworfen haben, wie die Privatbahnen und die Staatsbahnen Süddeutschlands.<lb/>
Da die künftigen Reichsbahnen, wie es in der Natur der Dinge liegt, dieselbe<lb/>
Verwaltung wie die preußischen Staatsbahnen erhalten würden, so würde<lb/>
das deutsche Eisenbahnnetz in Zukunft daher einen geringeren Ertrag abwerfen<lb/>
als bisher. Die Mittelstaaten würden daher nicht bloß der Gefahr ausgesetzt<lb/>
werden, daß die Ueberschüsse ihrer gut rentirendeu Bahnen dazu verwendet<lb/>
würden, die ärmeren Gegenden Norddeutschlands mit Eisenbahnen auszustatten,<lb/>
sondern daß sie nach ihrem Antheil an den Reichsfinanzen auch noch dazu<lb/>
beitragen müßten, den etwaigen Ausfall der Reichsbahnen zu decken. Dieser<lb/>
Einwand verdient in der That Berücksichtung, obgleich dabei auch der Grund¬<lb/>
satz beachtet werden muß, daß der Vortheil, einem großen, mächtigen, geachteten<lb/>
und gefürchteten Staatsorganismus anzugehören, auch natürlich gewisse Pflichten<lb/>
im Gefolge habe» muß. Die genannten Eventualitäten werden jedenfalls einen<lb/>
Gegenstand der Unterhandlung bilden müssen, sobald mit dein Uebergang der<lb/>
Eisenbahnen an das Reich Ernst gemacht werden sollte. Dann wird ja das<lb/>
erste Bedenken schon durch die angemessene Festsetzung des Kaufschillings be¬<lb/>
seitigt werden können. Die zweite Besorgniß ließe sich etwa durch eine Art<lb/>
Garantie bannen, welche doch bloß nominell sein würde, denn es ist mit<lb/>
Sicherheit vorauszusehen, daß die Eisenbahnen in Zukunft einen höheren und<lb/>
nicht einen geringeren Ertrag abwerfen werden. Es darf nämlich nicht ver¬<lb/>
gessen werden, daß die Ursache der geringeren Rentabilität der preußischen<lb/>
Staatsbahnen uicht in einem Fehler der Verwaltung liegt, sondern in dein<lb/>
Umstände, daß Preußen erst in einer Periode zu der Errichtung, beziehungs¬<lb/>
weise Erwerbung von Staatsbahnen kam, als Privatbahnen erster Klasse bereits<lb/>
das Fett abgeschöpft hatten. Die guten Bahnen werden daher auch in den<lb/>
Händen der preußischen oder der Reichsverwaltung ebenso gut als bis jetzt<lb/>
rentiren, wahrscheinlich aber aus den bereits angeführten Gründen noch besser.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0112] Frachtertrag beziehen, daß sie keinen Schaden hat, so muß sie den Tarifsatz so hoch stellen, daß die geringerwerthigen Waaren des allgemeinen Vervrauchs bedeutend höher als gegenwärtig taxirt werden. Will die Verwaltung dies aber nicht, dann erhält sie einen großen Ausfall, welcher aus anderen Mitteln gedeckt werden muß. Die Reichsregierung würde sich also wohl hüten, den Collo- und Wagenraumtarif auf sämmtlichen Bahnen einzuführen. Es ist viel¬ mehr anzunehmen, daß sie dieses System auch auf den Bahnen im Reichsland wieder aufheben wird, sobald man sich einmal über die Grundsätze der künftigen einheitlichen Tarifeinrichtung geeinigt haben wird, wozu die Beschlüsse der Tarif-Enquete-Conferenz als ganz brauchbares Material dienen können. Gewichtiger ist der Einwand von Moritz Mohl, welcher auf die Thatsache hinweist, daß die preußischen Staatsbahnen bis jetzt einen geringeren Ertrag abgeworfen haben, wie die Privatbahnen und die Staatsbahnen Süddeutschlands. Da die künftigen Reichsbahnen, wie es in der Natur der Dinge liegt, dieselbe Verwaltung wie die preußischen Staatsbahnen erhalten würden, so würde das deutsche Eisenbahnnetz in Zukunft daher einen geringeren Ertrag abwerfen als bisher. Die Mittelstaaten würden daher nicht bloß der Gefahr ausgesetzt werden, daß die Ueberschüsse ihrer gut rentirendeu Bahnen dazu verwendet würden, die ärmeren Gegenden Norddeutschlands mit Eisenbahnen auszustatten, sondern daß sie nach ihrem Antheil an den Reichsfinanzen auch noch dazu beitragen müßten, den etwaigen Ausfall der Reichsbahnen zu decken. Dieser Einwand verdient in der That Berücksichtung, obgleich dabei auch der Grund¬ satz beachtet werden muß, daß der Vortheil, einem großen, mächtigen, geachteten und gefürchteten Staatsorganismus anzugehören, auch natürlich gewisse Pflichten im Gefolge habe» muß. Die genannten Eventualitäten werden jedenfalls einen Gegenstand der Unterhandlung bilden müssen, sobald mit dein Uebergang der Eisenbahnen an das Reich Ernst gemacht werden sollte. Dann wird ja das erste Bedenken schon durch die angemessene Festsetzung des Kaufschillings be¬ seitigt werden können. Die zweite Besorgniß ließe sich etwa durch eine Art Garantie bannen, welche doch bloß nominell sein würde, denn es ist mit Sicherheit vorauszusehen, daß die Eisenbahnen in Zukunft einen höheren und nicht einen geringeren Ertrag abwerfen werden. Es darf nämlich nicht ver¬ gessen werden, daß die Ursache der geringeren Rentabilität der preußischen Staatsbahnen uicht in einem Fehler der Verwaltung liegt, sondern in dein Umstände, daß Preußen erst in einer Periode zu der Errichtung, beziehungs¬ weise Erwerbung von Staatsbahnen kam, als Privatbahnen erster Klasse bereits das Fett abgeschöpft hatten. Die guten Bahnen werden daher auch in den Händen der preußischen oder der Reichsverwaltung ebenso gut als bis jetzt rentiren, wahrscheinlich aber aus den bereits angeführten Gründen noch besser.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/112
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/112>, abgerufen am 23.07.2024.