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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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das schöne Land Frankreich." Von allen Nährstoffen sind die Sympathien
zweifellos die billigsten, und diese können daher auch von der österreichischen
Nation zu jeder Zeit in beliebigen Mengen unentgeltlich an das Ausland abgegeben
werden, ohne dadurch den österreichischen Staatscredit in weitere Gefahren zu
bringen. Aber dennoch bedauern wir, sagen zu müssen, daß vermuthlich nie¬
mand in Oesterreich Herrn v. Hellwald ermächtigt hatte, aus dem ungemein
reichen Nationalvorrath an Sympathien irgend eine beliebige Menge nach Nanzig
mitzunehmen und dort an das schöne Land Frankreich großmüthig zu ver.
theilen. In der Regel pflegt doch auch Oesterreich, wenn es im Namen seiner
"Nation" -- richtiger seiner "Nationen" -- zum Ausland spricht, sich etwas
berufenerer und würdigerer Vertreter zu bedienen, als eines Lancierlieutenants.
Diese Stelle der Hellwald'schen Rede macht daher den Eindruck der Moral
des heiligen Crispinus, den Eindruck des Wegnehmens einer fremden beweg¬
lichen Sache (der österreichischen Sympathien), um sie an Bedürftige (das
schöne Land Frankreich) zu verschenken, und damit selbst in den starken Ge¬
ruch der Heiligkeit (Vorsitz bei Congressen) zu gelangen.

Auch hier bemerkte der Congreß das Fadenscheinige der Hellwald'schen
Rhetorik so wenig, wie in dem Lob Hellwalds auf seinen Schneider. Und das
gelang Herrn von Hellwald dadurch, daß er Alles sorgfältig vermied, was den
Congreß dazu hätte führen können, anzunehmen, ein deutscher Gelehrter
spreche zu ihm. Herr von Hellwald sagte nichts von seinem Dominik Cann-
statt; nichts davon, wo Cannstatt liege-- auch vor französischen "Amerika¬
nisten" wäre das keine überflüssige Mittheilung gewesen -- denn die Mehr¬
zahl der Zuhörer dachte sich Cannstatt jedenfalls als Vorstadt von Wien
oder vielleicht auch in Böhmen, dicht an der Seeküste gelegen. Herr von
Hellwald sagte auch nichts davon, daß er in Deutschland seine Bücher schreibe
und verlege, daß seine Getreuen in Deutschland die große Klapper zur
Verbreitung seines Ruhmes in der Presse schwingen, und er sich in anmu¬
thiger Abwechselung ehrender Beiworte bald als deutschen Gelehrten erster
Klasse, bald als deutschen Nihilisten unter den deutschen Kulturgeschichts¬
forschern, bald als deutschen Darwinisten und deutschen Zuchtwahlmann
bezeichnen lasse. Er sagte auch nichts davon, daß die ihm zugemessene Bildung
deutsch ist. Denn durch solche unvorsichtige Mittheilungen würde er sich
am Ende vor den schönen Augen der anwesenden Damen von Nanzig in
den Verdacht geredet haben, ein garstiger Prussien zu sein. Und das hätte
Herr von Hellwald, der Alles Deutsche mit glühender Feindschaft beehrt,
und, um uns Deutsche zu ärgern, auf allen wissenschaftlichen Congressen die
Uniform des k. k. Lancierlieutenantes in xartidus trägt, entschieden nicht
verdient. Es hätte aber durch eine so unvorsichtige Enthüllung auch irgend
einer der versammelten ehrwürdigen Väter sich zu der einem Franzosen


Grenzboten IV. 1870. 54

das schöne Land Frankreich." Von allen Nährstoffen sind die Sympathien
zweifellos die billigsten, und diese können daher auch von der österreichischen
Nation zu jeder Zeit in beliebigen Mengen unentgeltlich an das Ausland abgegeben
werden, ohne dadurch den österreichischen Staatscredit in weitere Gefahren zu
bringen. Aber dennoch bedauern wir, sagen zu müssen, daß vermuthlich nie¬
mand in Oesterreich Herrn v. Hellwald ermächtigt hatte, aus dem ungemein
reichen Nationalvorrath an Sympathien irgend eine beliebige Menge nach Nanzig
mitzunehmen und dort an das schöne Land Frankreich großmüthig zu ver.
theilen. In der Regel pflegt doch auch Oesterreich, wenn es im Namen seiner
„Nation" — richtiger seiner „Nationen" — zum Ausland spricht, sich etwas
berufenerer und würdigerer Vertreter zu bedienen, als eines Lancierlieutenants.
Diese Stelle der Hellwald'schen Rede macht daher den Eindruck der Moral
des heiligen Crispinus, den Eindruck des Wegnehmens einer fremden beweg¬
lichen Sache (der österreichischen Sympathien), um sie an Bedürftige (das
schöne Land Frankreich) zu verschenken, und damit selbst in den starken Ge¬
ruch der Heiligkeit (Vorsitz bei Congressen) zu gelangen.

Auch hier bemerkte der Congreß das Fadenscheinige der Hellwald'schen
Rhetorik so wenig, wie in dem Lob Hellwalds auf seinen Schneider. Und das
gelang Herrn von Hellwald dadurch, daß er Alles sorgfältig vermied, was den
Congreß dazu hätte führen können, anzunehmen, ein deutscher Gelehrter
spreche zu ihm. Herr von Hellwald sagte nichts von seinem Dominik Cann-
statt; nichts davon, wo Cannstatt liege— auch vor französischen „Amerika¬
nisten" wäre das keine überflüssige Mittheilung gewesen — denn die Mehr¬
zahl der Zuhörer dachte sich Cannstatt jedenfalls als Vorstadt von Wien
oder vielleicht auch in Böhmen, dicht an der Seeküste gelegen. Herr von
Hellwald sagte auch nichts davon, daß er in Deutschland seine Bücher schreibe
und verlege, daß seine Getreuen in Deutschland die große Klapper zur
Verbreitung seines Ruhmes in der Presse schwingen, und er sich in anmu¬
thiger Abwechselung ehrender Beiworte bald als deutschen Gelehrten erster
Klasse, bald als deutschen Nihilisten unter den deutschen Kulturgeschichts¬
forschern, bald als deutschen Darwinisten und deutschen Zuchtwahlmann
bezeichnen lasse. Er sagte auch nichts davon, daß die ihm zugemessene Bildung
deutsch ist. Denn durch solche unvorsichtige Mittheilungen würde er sich
am Ende vor den schönen Augen der anwesenden Damen von Nanzig in
den Verdacht geredet haben, ein garstiger Prussien zu sein. Und das hätte
Herr von Hellwald, der Alles Deutsche mit glühender Feindschaft beehrt,
und, um uns Deutsche zu ärgern, auf allen wissenschaftlichen Congressen die
Uniform des k. k. Lancierlieutenantes in xartidus trägt, entschieden nicht
verdient. Es hätte aber durch eine so unvorsichtige Enthüllung auch irgend
einer der versammelten ehrwürdigen Väter sich zu der einem Franzosen


Grenzboten IV. 1870. 54
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[0429] das schöne Land Frankreich." Von allen Nährstoffen sind die Sympathien zweifellos die billigsten, und diese können daher auch von der österreichischen Nation zu jeder Zeit in beliebigen Mengen unentgeltlich an das Ausland abgegeben werden, ohne dadurch den österreichischen Staatscredit in weitere Gefahren zu bringen. Aber dennoch bedauern wir, sagen zu müssen, daß vermuthlich nie¬ mand in Oesterreich Herrn v. Hellwald ermächtigt hatte, aus dem ungemein reichen Nationalvorrath an Sympathien irgend eine beliebige Menge nach Nanzig mitzunehmen und dort an das schöne Land Frankreich großmüthig zu ver. theilen. In der Regel pflegt doch auch Oesterreich, wenn es im Namen seiner „Nation" — richtiger seiner „Nationen" — zum Ausland spricht, sich etwas berufenerer und würdigerer Vertreter zu bedienen, als eines Lancierlieutenants. Diese Stelle der Hellwald'schen Rede macht daher den Eindruck der Moral des heiligen Crispinus, den Eindruck des Wegnehmens einer fremden beweg¬ lichen Sache (der österreichischen Sympathien), um sie an Bedürftige (das schöne Land Frankreich) zu verschenken, und damit selbst in den starken Ge¬ ruch der Heiligkeit (Vorsitz bei Congressen) zu gelangen. Auch hier bemerkte der Congreß das Fadenscheinige der Hellwald'schen Rhetorik so wenig, wie in dem Lob Hellwalds auf seinen Schneider. Und das gelang Herrn von Hellwald dadurch, daß er Alles sorgfältig vermied, was den Congreß dazu hätte führen können, anzunehmen, ein deutscher Gelehrter spreche zu ihm. Herr von Hellwald sagte nichts von seinem Dominik Cann- statt; nichts davon, wo Cannstatt liege— auch vor französischen „Amerika¬ nisten" wäre das keine überflüssige Mittheilung gewesen — denn die Mehr¬ zahl der Zuhörer dachte sich Cannstatt jedenfalls als Vorstadt von Wien oder vielleicht auch in Böhmen, dicht an der Seeküste gelegen. Herr von Hellwald sagte auch nichts davon, daß er in Deutschland seine Bücher schreibe und verlege, daß seine Getreuen in Deutschland die große Klapper zur Verbreitung seines Ruhmes in der Presse schwingen, und er sich in anmu¬ thiger Abwechselung ehrender Beiworte bald als deutschen Gelehrten erster Klasse, bald als deutschen Nihilisten unter den deutschen Kulturgeschichts¬ forschern, bald als deutschen Darwinisten und deutschen Zuchtwahlmann bezeichnen lasse. Er sagte auch nichts davon, daß die ihm zugemessene Bildung deutsch ist. Denn durch solche unvorsichtige Mittheilungen würde er sich am Ende vor den schönen Augen der anwesenden Damen von Nanzig in den Verdacht geredet haben, ein garstiger Prussien zu sein. Und das hätte Herr von Hellwald, der Alles Deutsche mit glühender Feindschaft beehrt, und, um uns Deutsche zu ärgern, auf allen wissenschaftlichen Congressen die Uniform des k. k. Lancierlieutenantes in xartidus trägt, entschieden nicht verdient. Es hätte aber durch eine so unvorsichtige Enthüllung auch irgend einer der versammelten ehrwürdigen Väter sich zu der einem Franzosen Grenzboten IV. 1870. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/429>, abgerufen am 19.10.2024.