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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Kirchlichkeit. Von der Einwirkung der nationalen Agitation findet sich da¬
gegen bei der großen Masse kaum eine Spur, auch nicht einmal ein größerer
Eifer für die "Muttersprache", die ja hier nicht in einem guten Polnisch,
sondern in dem Wasserpolnisch, voll von deutschen Einmengungen, besteht, von
dem die "Gazeta gornoszlaska" selbst geäußert hat, daß es für den Großpolen
oft ganz unverständlich sei. Nun soll der Wasserpole, dem das "Lernen"
noch aus der Schulzeit ein Grauen ist, in reisen Jahren wieder lernen: diese
Zumuthung kann ihn nur abschrecken. Er bleibt bei seinem Kauderwelsch
stehen, das ihm freilich immer sehr lieb war und lieb bleibt, und läßt seine
Kinder Deutsch lernen, das ihnen doch für ihr Fortkommen nützlich ist.

Wie sehr sich die polnische National-Partei über die Erfolge ihrer
Agitation in Oberschlesien täuscht, das hat soeben die Landtagswahl erwiesen.
Der "Dziennik Poznanski", eins ihrer Organe, forderte in der Zeit der
Wahlvorbereitung die Aufstellung von "mehreren Kandidaten" ihrer Partei
in Oberschlesien. Als es zur Entscheidung kam, konnte man sich hier nicht
zur Aufstellung eines einzigen entschließen; der Märtyrer Miarka, der zu
dieser Partei kaum zu rechnen ist, fiel mit seinem priesterlichen Nebenmann
in dem Wahlkreis Groß-Strehlitz-Sublinitz, in dem das slawische Element
der Zahl nach ganz besonders stark ist, gegen zwei Reichstreue durch. Die
Stadt Beuthen und das Beuthener-Land, bestehend aus den bergwerks- und
butterreichen Kreisen Beuthen, Tarnowitz, Zabrze und Kattowitz, ist von je¬
her der Heerd der polnischen Wühlereien. Dr. v. Chlapowski ist hier in
jedem Dorfe bekannt und hochgeschätzt wegen seiner unentgeltlichen Kuren,
wegen seines musterhaften Katholizismus, wegen seines geistlichen Wesens,
wegen seiner Herablassung als Edelmann und anderer Tugenden; die ge-
sammte Geistlichkeit des Wahlkreises steht mit Enthusiasmus hinter ihm;
nichts desto weniger wagte mau nicht, ihn als Wahlkandidaten aufzustellen,
sondern blieb bei den früheren Abgeordneten, deutschen Ultramontanen, stehen,
und diese -- fielen durch. Aus der ultramontanen bedeutenden Majorität
des Wahlkreises im Jahre 1873 war trotz oder vielleicht -- gerade infolge
der angestrengten polnischen Agitation eine liberale und reichstreue Majorität
von 65--70 Wahlmännerstimmen geworden. Auch bei der Reichstagswahl
erhoffen die Liberalen wenigstens in einem der beiden Wahlkreise, in die das
Beuthener-Land getheilt ist, den Sieg.

Trotz dieses vorläufigen Mißerfolges darf die polnische Agitation in
Oberschlesien doch nicht geringgeschätzt und unbeachtet gelassen werden. Das
könnte sich schwer strafen, wenn über Preußen wieder einmal ein wenn auch
nur vorübergehender Zustand der Schwäche der Staatsgewalt kommt.


Edward Kattner.


Kirchlichkeit. Von der Einwirkung der nationalen Agitation findet sich da¬
gegen bei der großen Masse kaum eine Spur, auch nicht einmal ein größerer
Eifer für die „Muttersprache", die ja hier nicht in einem guten Polnisch,
sondern in dem Wasserpolnisch, voll von deutschen Einmengungen, besteht, von
dem die „Gazeta gornoszlaska" selbst geäußert hat, daß es für den Großpolen
oft ganz unverständlich sei. Nun soll der Wasserpole, dem das „Lernen"
noch aus der Schulzeit ein Grauen ist, in reisen Jahren wieder lernen: diese
Zumuthung kann ihn nur abschrecken. Er bleibt bei seinem Kauderwelsch
stehen, das ihm freilich immer sehr lieb war und lieb bleibt, und läßt seine
Kinder Deutsch lernen, das ihnen doch für ihr Fortkommen nützlich ist.

Wie sehr sich die polnische National-Partei über die Erfolge ihrer
Agitation in Oberschlesien täuscht, das hat soeben die Landtagswahl erwiesen.
Der „Dziennik Poznanski", eins ihrer Organe, forderte in der Zeit der
Wahlvorbereitung die Aufstellung von „mehreren Kandidaten" ihrer Partei
in Oberschlesien. Als es zur Entscheidung kam, konnte man sich hier nicht
zur Aufstellung eines einzigen entschließen; der Märtyrer Miarka, der zu
dieser Partei kaum zu rechnen ist, fiel mit seinem priesterlichen Nebenmann
in dem Wahlkreis Groß-Strehlitz-Sublinitz, in dem das slawische Element
der Zahl nach ganz besonders stark ist, gegen zwei Reichstreue durch. Die
Stadt Beuthen und das Beuthener-Land, bestehend aus den bergwerks- und
butterreichen Kreisen Beuthen, Tarnowitz, Zabrze und Kattowitz, ist von je¬
her der Heerd der polnischen Wühlereien. Dr. v. Chlapowski ist hier in
jedem Dorfe bekannt und hochgeschätzt wegen seiner unentgeltlichen Kuren,
wegen seines musterhaften Katholizismus, wegen seines geistlichen Wesens,
wegen seiner Herablassung als Edelmann und anderer Tugenden; die ge-
sammte Geistlichkeit des Wahlkreises steht mit Enthusiasmus hinter ihm;
nichts desto weniger wagte mau nicht, ihn als Wahlkandidaten aufzustellen,
sondern blieb bei den früheren Abgeordneten, deutschen Ultramontanen, stehen,
und diese — fielen durch. Aus der ultramontanen bedeutenden Majorität
des Wahlkreises im Jahre 1873 war trotz oder vielleicht — gerade infolge
der angestrengten polnischen Agitation eine liberale und reichstreue Majorität
von 65—70 Wahlmännerstimmen geworden. Auch bei der Reichstagswahl
erhoffen die Liberalen wenigstens in einem der beiden Wahlkreise, in die das
Beuthener-Land getheilt ist, den Sieg.

Trotz dieses vorläufigen Mißerfolges darf die polnische Agitation in
Oberschlesien doch nicht geringgeschätzt und unbeachtet gelassen werden. Das
könnte sich schwer strafen, wenn über Preußen wieder einmal ein wenn auch
nur vorübergehender Zustand der Schwäche der Staatsgewalt kommt.


Edward Kattner.


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[0348] Kirchlichkeit. Von der Einwirkung der nationalen Agitation findet sich da¬ gegen bei der großen Masse kaum eine Spur, auch nicht einmal ein größerer Eifer für die „Muttersprache", die ja hier nicht in einem guten Polnisch, sondern in dem Wasserpolnisch, voll von deutschen Einmengungen, besteht, von dem die „Gazeta gornoszlaska" selbst geäußert hat, daß es für den Großpolen oft ganz unverständlich sei. Nun soll der Wasserpole, dem das „Lernen" noch aus der Schulzeit ein Grauen ist, in reisen Jahren wieder lernen: diese Zumuthung kann ihn nur abschrecken. Er bleibt bei seinem Kauderwelsch stehen, das ihm freilich immer sehr lieb war und lieb bleibt, und läßt seine Kinder Deutsch lernen, das ihnen doch für ihr Fortkommen nützlich ist. Wie sehr sich die polnische National-Partei über die Erfolge ihrer Agitation in Oberschlesien täuscht, das hat soeben die Landtagswahl erwiesen. Der „Dziennik Poznanski", eins ihrer Organe, forderte in der Zeit der Wahlvorbereitung die Aufstellung von „mehreren Kandidaten" ihrer Partei in Oberschlesien. Als es zur Entscheidung kam, konnte man sich hier nicht zur Aufstellung eines einzigen entschließen; der Märtyrer Miarka, der zu dieser Partei kaum zu rechnen ist, fiel mit seinem priesterlichen Nebenmann in dem Wahlkreis Groß-Strehlitz-Sublinitz, in dem das slawische Element der Zahl nach ganz besonders stark ist, gegen zwei Reichstreue durch. Die Stadt Beuthen und das Beuthener-Land, bestehend aus den bergwerks- und butterreichen Kreisen Beuthen, Tarnowitz, Zabrze und Kattowitz, ist von je¬ her der Heerd der polnischen Wühlereien. Dr. v. Chlapowski ist hier in jedem Dorfe bekannt und hochgeschätzt wegen seiner unentgeltlichen Kuren, wegen seines musterhaften Katholizismus, wegen seines geistlichen Wesens, wegen seiner Herablassung als Edelmann und anderer Tugenden; die ge- sammte Geistlichkeit des Wahlkreises steht mit Enthusiasmus hinter ihm; nichts desto weniger wagte mau nicht, ihn als Wahlkandidaten aufzustellen, sondern blieb bei den früheren Abgeordneten, deutschen Ultramontanen, stehen, und diese — fielen durch. Aus der ultramontanen bedeutenden Majorität des Wahlkreises im Jahre 1873 war trotz oder vielleicht — gerade infolge der angestrengten polnischen Agitation eine liberale und reichstreue Majorität von 65—70 Wahlmännerstimmen geworden. Auch bei der Reichstagswahl erhoffen die Liberalen wenigstens in einem der beiden Wahlkreise, in die das Beuthener-Land getheilt ist, den Sieg. Trotz dieses vorläufigen Mißerfolges darf die polnische Agitation in Oberschlesien doch nicht geringgeschätzt und unbeachtet gelassen werden. Das könnte sich schwer strafen, wenn über Preußen wieder einmal ein wenn auch nur vorübergehender Zustand der Schwäche der Staatsgewalt kommt. Edward Kattner.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/348>, abgerufen am 19.10.2024.