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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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springen oder sonst auf eine Weise anzeigen, daß entfernte geliebte Personen
die Treue gebrochen haben. In einem russischen Liede aber heißt es:

"Fliegt nicht ein Falke über den Himmel, verstreut nicht ein Falke blaue
Federn? Nein, ein tapfrer Jüngling jagt die Straße dahin, und aus seinen
hellen Augen strömen bittere Thränen. Er hat sich von seiner Liebsten ge¬
trennt und reitet auf dem Thalweg hin, durch welchen in all ihrer Schön¬
heit Mutter Wolga fließt. Er ist geschieden von dem holden Mädchen, und
er hat ihr ein Andenken hinterlassen, einen strahlenden Diamantring, und
von ihr dafür einen goldnen Verlobungsring erhalten. Und wie sie die
Gaben tauschten, hat er gesprochen: "Vergiß mein nicht, meine Liebe, vergiß
mein nicht, geliebte Gefährtin. Oft, oft blick auf meinen Ring, oft, oft will
ich Dein Ringlein küssen und es an mein klopfendes Herz drücken. Deiner,
Liebste, gedenkend. Wenn ich je an eine andere Liebe denke, wird das goldne
Ringlein zerspringen; solltest Du aber einem andern Freier dich hingeben, so
wird der Diamant aus dem Ringe fallen."

Die Wittwe des berühmten Claverhouse wurde in Kilsyth von William
Livingstone umworben. Derselbe schenkte ihr einen Ring, den sie schon am
nächsten Tage verlor. Dieß erweckte trübe Ahnungen in Betreff der Zukunft
der Dame, und seltsam genug, dieselben trafen ein, indem sie, die inzwischen
ihren Freier geheirathet hatte, nach einigen Jahren von einem einstürzenden
Hause erschlagen wurde. Der Ring aber wurde 1796 von dem Inhaber des
Gartens, in dem er verloren gegangen war, beim Kartoffelnausgraben
wiedergefunden. Als der Königin Elisabeth von England der Krönungsring,
den sie seit ihrer Erhebung auf den Thron nie abgelegt hatte, ins Fleisch ge¬
wachsen war und abgefeilt werden mußte, wurde dieß allgemein als übles
Omen betrachtet und nicht am wenigsten von der Königin selbst, die, sonst
bekanntlich eben keine schwache Seele, ziemlich abergläubisch war. Als Friedrich,
der erste König von Preußen, sich mit Sophie Charlotte von Hannover ver¬
mählte, zersprang ihm während der Hochzeitsfeierlichkeiten ein Ring, der ein
Andenken von seiner ersten Gemahlin Elisabeth Henriette von Hessen-Cassel
war und über zwei verschlungnen Händen das Motto "g. jamais" zeigte, und
die Meinung der Leute vom Hofe, daß auch diese zweite Ehe nun nicht
sehr lange Dauer haben werde, bestätigte sich: der König heirathete
nach einigen Jahren in Sophie Louise von Mecklenburg - Grabow die
dritte Frau.

Wir schließen mit einer Betrachtung der englischen Sitte, den Trauring
in Verbindung mit dem Hochzeitskuchen zu Liebesorakeln zu benutzen, und
einigen damit verwandten englischen Gebräuchen. Nach jenem alten Her¬
kommen, welches namentlich im Norden Englands, aber auch in manchen
andern Gegenden noch gilt und selbst in Nordamerika geübt wird, schneidet


springen oder sonst auf eine Weise anzeigen, daß entfernte geliebte Personen
die Treue gebrochen haben. In einem russischen Liede aber heißt es:

„Fliegt nicht ein Falke über den Himmel, verstreut nicht ein Falke blaue
Federn? Nein, ein tapfrer Jüngling jagt die Straße dahin, und aus seinen
hellen Augen strömen bittere Thränen. Er hat sich von seiner Liebsten ge¬
trennt und reitet auf dem Thalweg hin, durch welchen in all ihrer Schön¬
heit Mutter Wolga fließt. Er ist geschieden von dem holden Mädchen, und
er hat ihr ein Andenken hinterlassen, einen strahlenden Diamantring, und
von ihr dafür einen goldnen Verlobungsring erhalten. Und wie sie die
Gaben tauschten, hat er gesprochen: „Vergiß mein nicht, meine Liebe, vergiß
mein nicht, geliebte Gefährtin. Oft, oft blick auf meinen Ring, oft, oft will
ich Dein Ringlein küssen und es an mein klopfendes Herz drücken. Deiner,
Liebste, gedenkend. Wenn ich je an eine andere Liebe denke, wird das goldne
Ringlein zerspringen; solltest Du aber einem andern Freier dich hingeben, so
wird der Diamant aus dem Ringe fallen."

Die Wittwe des berühmten Claverhouse wurde in Kilsyth von William
Livingstone umworben. Derselbe schenkte ihr einen Ring, den sie schon am
nächsten Tage verlor. Dieß erweckte trübe Ahnungen in Betreff der Zukunft
der Dame, und seltsam genug, dieselben trafen ein, indem sie, die inzwischen
ihren Freier geheirathet hatte, nach einigen Jahren von einem einstürzenden
Hause erschlagen wurde. Der Ring aber wurde 1796 von dem Inhaber des
Gartens, in dem er verloren gegangen war, beim Kartoffelnausgraben
wiedergefunden. Als der Königin Elisabeth von England der Krönungsring,
den sie seit ihrer Erhebung auf den Thron nie abgelegt hatte, ins Fleisch ge¬
wachsen war und abgefeilt werden mußte, wurde dieß allgemein als übles
Omen betrachtet und nicht am wenigsten von der Königin selbst, die, sonst
bekanntlich eben keine schwache Seele, ziemlich abergläubisch war. Als Friedrich,
der erste König von Preußen, sich mit Sophie Charlotte von Hannover ver¬
mählte, zersprang ihm während der Hochzeitsfeierlichkeiten ein Ring, der ein
Andenken von seiner ersten Gemahlin Elisabeth Henriette von Hessen-Cassel
war und über zwei verschlungnen Händen das Motto „g. jamais" zeigte, und
die Meinung der Leute vom Hofe, daß auch diese zweite Ehe nun nicht
sehr lange Dauer haben werde, bestätigte sich: der König heirathete
nach einigen Jahren in Sophie Louise von Mecklenburg - Grabow die
dritte Frau.

Wir schließen mit einer Betrachtung der englischen Sitte, den Trauring
in Verbindung mit dem Hochzeitskuchen zu Liebesorakeln zu benutzen, und
einigen damit verwandten englischen Gebräuchen. Nach jenem alten Her¬
kommen, welches namentlich im Norden Englands, aber auch in manchen
andern Gegenden noch gilt und selbst in Nordamerika geübt wird, schneidet


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[0219] springen oder sonst auf eine Weise anzeigen, daß entfernte geliebte Personen die Treue gebrochen haben. In einem russischen Liede aber heißt es: „Fliegt nicht ein Falke über den Himmel, verstreut nicht ein Falke blaue Federn? Nein, ein tapfrer Jüngling jagt die Straße dahin, und aus seinen hellen Augen strömen bittere Thränen. Er hat sich von seiner Liebsten ge¬ trennt und reitet auf dem Thalweg hin, durch welchen in all ihrer Schön¬ heit Mutter Wolga fließt. Er ist geschieden von dem holden Mädchen, und er hat ihr ein Andenken hinterlassen, einen strahlenden Diamantring, und von ihr dafür einen goldnen Verlobungsring erhalten. Und wie sie die Gaben tauschten, hat er gesprochen: „Vergiß mein nicht, meine Liebe, vergiß mein nicht, geliebte Gefährtin. Oft, oft blick auf meinen Ring, oft, oft will ich Dein Ringlein küssen und es an mein klopfendes Herz drücken. Deiner, Liebste, gedenkend. Wenn ich je an eine andere Liebe denke, wird das goldne Ringlein zerspringen; solltest Du aber einem andern Freier dich hingeben, so wird der Diamant aus dem Ringe fallen." Die Wittwe des berühmten Claverhouse wurde in Kilsyth von William Livingstone umworben. Derselbe schenkte ihr einen Ring, den sie schon am nächsten Tage verlor. Dieß erweckte trübe Ahnungen in Betreff der Zukunft der Dame, und seltsam genug, dieselben trafen ein, indem sie, die inzwischen ihren Freier geheirathet hatte, nach einigen Jahren von einem einstürzenden Hause erschlagen wurde. Der Ring aber wurde 1796 von dem Inhaber des Gartens, in dem er verloren gegangen war, beim Kartoffelnausgraben wiedergefunden. Als der Königin Elisabeth von England der Krönungsring, den sie seit ihrer Erhebung auf den Thron nie abgelegt hatte, ins Fleisch ge¬ wachsen war und abgefeilt werden mußte, wurde dieß allgemein als übles Omen betrachtet und nicht am wenigsten von der Königin selbst, die, sonst bekanntlich eben keine schwache Seele, ziemlich abergläubisch war. Als Friedrich, der erste König von Preußen, sich mit Sophie Charlotte von Hannover ver¬ mählte, zersprang ihm während der Hochzeitsfeierlichkeiten ein Ring, der ein Andenken von seiner ersten Gemahlin Elisabeth Henriette von Hessen-Cassel war und über zwei verschlungnen Händen das Motto „g. jamais" zeigte, und die Meinung der Leute vom Hofe, daß auch diese zweite Ehe nun nicht sehr lange Dauer haben werde, bestätigte sich: der König heirathete nach einigen Jahren in Sophie Louise von Mecklenburg - Grabow die dritte Frau. Wir schließen mit einer Betrachtung der englischen Sitte, den Trauring in Verbindung mit dem Hochzeitskuchen zu Liebesorakeln zu benutzen, und einigen damit verwandten englischen Gebräuchen. Nach jenem alten Her¬ kommen, welches namentlich im Norden Englands, aber auch in manchen andern Gegenden noch gilt und selbst in Nordamerika geübt wird, schneidet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/219>, abgerufen am 20.10.2024.