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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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die Bekanntschaft eines Juweliers aus Jerusalem, der ihm beim Abschied einen
Ring mit einem Onyx oder Amethyst verehrte, welchen er ihm werth zu halten
empfahl, da er der Trauring Josephs und der heiligen Jungfrau sei. Nane-
rius aber mißachtete das Kleinod und warf es in einen Kasten mit werth¬
losen Dingen. Zur Strafe dafür ließ Gott ihm seinen zehnjährigen Sohn
sterben.-Als man das Kind zu Grabe trug, richtete es sich plötzlich im Sarge
auf und gebot den Trägern Halt zu machen, worauf es seinen Vater herbei¬
rief und ihm sagte, es sei durch die Gunst der Mutter Gottes vom Himmel
zurückgekehrt, um ihn auf den Schatz aufmerksam zu machen, den sein Haus
in ihrem Eheringe besitze. Er möge ihn sogleich holen lassen, damit ihm das
Volk die ihm gebührende Verehrung bezeigen könne. Die Kiste mit dem
Ringe und den werthlosen Sachen wurde dem Kinde gebracht, und dasselbe
fand jenen sofort heraus, obwohl es ihn nie vorher gesehen hatte. Nachdem
der Knabe ihn ehrfurchtsvoll geküßt und die Umstehenden desgleichen gethan,
während alle Glocken der Stadt von selbst dazu läuteten, wurde der Ring
dem Pfarrer des Kirchspiels übergeben, der Knabe aber legte sich wieder in seinen
Sarg und wurde begraben. Der Ring begann darauf allerlei Wunder zu
verrichten: er heilte schlimme Augen und Hüftweh, verhalf durch Elfenbein-
ringe, die mit ihm berührt worden, Kreisenden zu leichter Geburt, trieb Teufel
aus, versöhnte Eheleute, die sich gezankt hatten und was dergleichen erstaun¬
liche Leistungen mehr waren. Als 1473 die kleine Kirche von Musthiola, in
welcher diese Reliquie bis dahin verwahrt worden, verfallen war, brachte man
den Ring zu den Franeiscanern von Clusium. Hier wollte ihn ein deutscher
Mönch, Namen Wintherus, der ihn bei einer Gelegenheit dem Volke zu
zeigen hatte, in sein Vaterland entführen. Er entwendete ihn und machte
sich mit ihm davon, wurde aber auf dem Wege von einer plötzlichen wunder¬
baren Finsterniß überfallen, die erst wieder aufhörte, als er den Ring nach
Clusium zurückzubringen gelobte. Indeß gereute ihn das wieder, und noch
einmal versuchte er nach Deutschland zu kommen. Nach Perugia gelangt
und dort bei den Augustinern abgestiegen, sah er die Finsterniß sich aber¬
mals herabsenken, und dießmal dauerte sie zwanzig Tage, nach deren Verlauf
Wintherus sich entschloß, die Reliquie dem Volke zu zeigen. Man redete ihm
zu, dieselbe in Perugia zu lassen, und er willigte ein. Die Leute in Clusium
verlangten sie zurück, die von Perugia weigerten sich, sie auszuliefern, und
als jene die Entscheidung des Papstes anriefen, fiel dieselbe gegen sie aus,
und Perugia behielt das Kleinod, das noch heute in der dortigen Lauren-
tiuskirche aufbewahrt und alljährlich am Josephstage dem Volke gezeigt wird.

Schon unter den alten Griechen und Römern waren Zauberringe der
verschiedensten Art ein förmlicher Handelsartikel. Massen davon wurden,
namentlich in Athen, aus Holz, Knochen oder Horn fabricirt und das Stück


die Bekanntschaft eines Juweliers aus Jerusalem, der ihm beim Abschied einen
Ring mit einem Onyx oder Amethyst verehrte, welchen er ihm werth zu halten
empfahl, da er der Trauring Josephs und der heiligen Jungfrau sei. Nane-
rius aber mißachtete das Kleinod und warf es in einen Kasten mit werth¬
losen Dingen. Zur Strafe dafür ließ Gott ihm seinen zehnjährigen Sohn
sterben.-Als man das Kind zu Grabe trug, richtete es sich plötzlich im Sarge
auf und gebot den Trägern Halt zu machen, worauf es seinen Vater herbei¬
rief und ihm sagte, es sei durch die Gunst der Mutter Gottes vom Himmel
zurückgekehrt, um ihn auf den Schatz aufmerksam zu machen, den sein Haus
in ihrem Eheringe besitze. Er möge ihn sogleich holen lassen, damit ihm das
Volk die ihm gebührende Verehrung bezeigen könne. Die Kiste mit dem
Ringe und den werthlosen Sachen wurde dem Kinde gebracht, und dasselbe
fand jenen sofort heraus, obwohl es ihn nie vorher gesehen hatte. Nachdem
der Knabe ihn ehrfurchtsvoll geküßt und die Umstehenden desgleichen gethan,
während alle Glocken der Stadt von selbst dazu läuteten, wurde der Ring
dem Pfarrer des Kirchspiels übergeben, der Knabe aber legte sich wieder in seinen
Sarg und wurde begraben. Der Ring begann darauf allerlei Wunder zu
verrichten: er heilte schlimme Augen und Hüftweh, verhalf durch Elfenbein-
ringe, die mit ihm berührt worden, Kreisenden zu leichter Geburt, trieb Teufel
aus, versöhnte Eheleute, die sich gezankt hatten und was dergleichen erstaun¬
liche Leistungen mehr waren. Als 1473 die kleine Kirche von Musthiola, in
welcher diese Reliquie bis dahin verwahrt worden, verfallen war, brachte man
den Ring zu den Franeiscanern von Clusium. Hier wollte ihn ein deutscher
Mönch, Namen Wintherus, der ihn bei einer Gelegenheit dem Volke zu
zeigen hatte, in sein Vaterland entführen. Er entwendete ihn und machte
sich mit ihm davon, wurde aber auf dem Wege von einer plötzlichen wunder¬
baren Finsterniß überfallen, die erst wieder aufhörte, als er den Ring nach
Clusium zurückzubringen gelobte. Indeß gereute ihn das wieder, und noch
einmal versuchte er nach Deutschland zu kommen. Nach Perugia gelangt
und dort bei den Augustinern abgestiegen, sah er die Finsterniß sich aber¬
mals herabsenken, und dießmal dauerte sie zwanzig Tage, nach deren Verlauf
Wintherus sich entschloß, die Reliquie dem Volke zu zeigen. Man redete ihm
zu, dieselbe in Perugia zu lassen, und er willigte ein. Die Leute in Clusium
verlangten sie zurück, die von Perugia weigerten sich, sie auszuliefern, und
als jene die Entscheidung des Papstes anriefen, fiel dieselbe gegen sie aus,
und Perugia behielt das Kleinod, das noch heute in der dortigen Lauren-
tiuskirche aufbewahrt und alljährlich am Josephstage dem Volke gezeigt wird.

Schon unter den alten Griechen und Römern waren Zauberringe der
verschiedensten Art ein förmlicher Handelsartikel. Massen davon wurden,
namentlich in Athen, aus Holz, Knochen oder Horn fabricirt und das Stück


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[0207] die Bekanntschaft eines Juweliers aus Jerusalem, der ihm beim Abschied einen Ring mit einem Onyx oder Amethyst verehrte, welchen er ihm werth zu halten empfahl, da er der Trauring Josephs und der heiligen Jungfrau sei. Nane- rius aber mißachtete das Kleinod und warf es in einen Kasten mit werth¬ losen Dingen. Zur Strafe dafür ließ Gott ihm seinen zehnjährigen Sohn sterben.-Als man das Kind zu Grabe trug, richtete es sich plötzlich im Sarge auf und gebot den Trägern Halt zu machen, worauf es seinen Vater herbei¬ rief und ihm sagte, es sei durch die Gunst der Mutter Gottes vom Himmel zurückgekehrt, um ihn auf den Schatz aufmerksam zu machen, den sein Haus in ihrem Eheringe besitze. Er möge ihn sogleich holen lassen, damit ihm das Volk die ihm gebührende Verehrung bezeigen könne. Die Kiste mit dem Ringe und den werthlosen Sachen wurde dem Kinde gebracht, und dasselbe fand jenen sofort heraus, obwohl es ihn nie vorher gesehen hatte. Nachdem der Knabe ihn ehrfurchtsvoll geküßt und die Umstehenden desgleichen gethan, während alle Glocken der Stadt von selbst dazu läuteten, wurde der Ring dem Pfarrer des Kirchspiels übergeben, der Knabe aber legte sich wieder in seinen Sarg und wurde begraben. Der Ring begann darauf allerlei Wunder zu verrichten: er heilte schlimme Augen und Hüftweh, verhalf durch Elfenbein- ringe, die mit ihm berührt worden, Kreisenden zu leichter Geburt, trieb Teufel aus, versöhnte Eheleute, die sich gezankt hatten und was dergleichen erstaun¬ liche Leistungen mehr waren. Als 1473 die kleine Kirche von Musthiola, in welcher diese Reliquie bis dahin verwahrt worden, verfallen war, brachte man den Ring zu den Franeiscanern von Clusium. Hier wollte ihn ein deutscher Mönch, Namen Wintherus, der ihn bei einer Gelegenheit dem Volke zu zeigen hatte, in sein Vaterland entführen. Er entwendete ihn und machte sich mit ihm davon, wurde aber auf dem Wege von einer plötzlichen wunder¬ baren Finsterniß überfallen, die erst wieder aufhörte, als er den Ring nach Clusium zurückzubringen gelobte. Indeß gereute ihn das wieder, und noch einmal versuchte er nach Deutschland zu kommen. Nach Perugia gelangt und dort bei den Augustinern abgestiegen, sah er die Finsterniß sich aber¬ mals herabsenken, und dießmal dauerte sie zwanzig Tage, nach deren Verlauf Wintherus sich entschloß, die Reliquie dem Volke zu zeigen. Man redete ihm zu, dieselbe in Perugia zu lassen, und er willigte ein. Die Leute in Clusium verlangten sie zurück, die von Perugia weigerten sich, sie auszuliefern, und als jene die Entscheidung des Papstes anriefen, fiel dieselbe gegen sie aus, und Perugia behielt das Kleinod, das noch heute in der dortigen Lauren- tiuskirche aufbewahrt und alljährlich am Josephstage dem Volke gezeigt wird. Schon unter den alten Griechen und Römern waren Zauberringe der verschiedensten Art ein förmlicher Handelsartikel. Massen davon wurden, namentlich in Athen, aus Holz, Knochen oder Horn fabricirt und das Stück

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/207>, abgerufen am 20.10.2024.