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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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um auszuruhen oder sich einer vertraulichen Unterhaltung hinzugeben. Sie
haben fortwährend auf dem Posten zu sein, um auf das Bedürfniß ihrer
Gäste zu achten, sich für Alle zu opfern und sich nicht etwa einem Einzelnen
zu widmen. Ihre erste Pflicht ist die Unparteilichkeit. Man wird wohlthun,
diese Unparteilichkeit so früh als möglich den jungen Leuten einzuprägen, sie
sind zu oft geneigt, den Regungen ihres Herzens zu folgen." . . "Wir schulden
uns unsern Gästen, wir gehören nicht mehr uns, sondern wir und unser
Haus gehören den Eingeladenen an. Wir haben sie gebeten, zu uns zu
kommen, um sich zu unterhalten und zu vergnügen, nicht, um sie Verdruß
und Erniedrigungen erleiden zu lassen, nicht, um Den oder Jenen bevorzugen
zu sehen. Ein Haus, wo man die Kunst des Empfangs nicht versteht, wird
bald keine Freunde mehr zu empfangen haben und in den Ruf kommen,
langweilig zu sein. Das Gegentheil wird der Fall da sein, wo man sich
gleichsam zu vervielfältigen weiß, um alle Welt ohne Rücksicht auf Stellung
und Alter zu unterhalten."

"Aber man muß sich hierbei vor Uebertreibungen hüten. Man muß
jedem zukommen lassen, was ihm nach seiner Stellung auf der gesellschaftlichen
Stufenleiter an Aufmerksamkeiten gebührt, und es hieße die vornehme Dame
verletzen, wenn man ihrer Gesellschafterin davon ebensoviel oder mehr zu¬
wenden wollte, als ihr selbst, ja man liefe Gefahr, beide verdrießlich zu stimmen;
denn die Niedrigerstehende könnte es für Herablassung oder gar für Ironie
halten. Namentlich junge Leute verfallen leicht in diese Uebertreibung. Ihr
gutes Herz treibt sie an, sich den von der Natur oder dem Glücke weniger
begünstigten Freunden zu widmen. Das ist sicherlich edel und schön, aber in
der Welt, und vor allem bei sich zu Hause vor seinen Gästen muß man sich
hüten, durch zu große und auffällige Bevorzugung Einzelner zu verwunden
Mit dem Betreffenden allein, nicht gebunden durch Pflichten der Gastlichkeit,
kann man den Neigungen des Herzens ihren Lauf lassen." . .

"An einem Empfangstage muß die Unterhaltung sich um Allgemeinheiten
bewegen. Auch hier haben wir unser Herz und unsern Geschmack schweigen
zu lassen, wie sehr uns auch die üblichen Gemeinplätze mißbehagen mögen-
Das Gleichgültige herrscht und hält uns in seinem Bann."

"Man ist oft geneigt, Verstellung und Heuchelei mit dem Brauche der
Welt zu verwechseln. Dieser bedeckt uns zwar das Gesicht mit einer Maske,
aber es ist nur die Maske der Höflichkeit, der Rücksichtnahme, man könnte
sogar sagen, der Barmherzigkeit, und man darf sich darüber nicht zu sehr be¬
klagen. Die Heuchelei in der Gesellschaft besteht darin, daß man der gegen¬
wärtigen Person eine freundschaftliche Miene zeigt, dann sie anschwärzt und
verklagt, wenn sie abwesend ist. In folgendem Fall ist unser Verfahren keine
Heuchelei. Wir wünschen auszugehen, einem uns erwartenden Vergnügen


um auszuruhen oder sich einer vertraulichen Unterhaltung hinzugeben. Sie
haben fortwährend auf dem Posten zu sein, um auf das Bedürfniß ihrer
Gäste zu achten, sich für Alle zu opfern und sich nicht etwa einem Einzelnen
zu widmen. Ihre erste Pflicht ist die Unparteilichkeit. Man wird wohlthun,
diese Unparteilichkeit so früh als möglich den jungen Leuten einzuprägen, sie
sind zu oft geneigt, den Regungen ihres Herzens zu folgen." . . „Wir schulden
uns unsern Gästen, wir gehören nicht mehr uns, sondern wir und unser
Haus gehören den Eingeladenen an. Wir haben sie gebeten, zu uns zu
kommen, um sich zu unterhalten und zu vergnügen, nicht, um sie Verdruß
und Erniedrigungen erleiden zu lassen, nicht, um Den oder Jenen bevorzugen
zu sehen. Ein Haus, wo man die Kunst des Empfangs nicht versteht, wird
bald keine Freunde mehr zu empfangen haben und in den Ruf kommen,
langweilig zu sein. Das Gegentheil wird der Fall da sein, wo man sich
gleichsam zu vervielfältigen weiß, um alle Welt ohne Rücksicht auf Stellung
und Alter zu unterhalten."

„Aber man muß sich hierbei vor Uebertreibungen hüten. Man muß
jedem zukommen lassen, was ihm nach seiner Stellung auf der gesellschaftlichen
Stufenleiter an Aufmerksamkeiten gebührt, und es hieße die vornehme Dame
verletzen, wenn man ihrer Gesellschafterin davon ebensoviel oder mehr zu¬
wenden wollte, als ihr selbst, ja man liefe Gefahr, beide verdrießlich zu stimmen;
denn die Niedrigerstehende könnte es für Herablassung oder gar für Ironie
halten. Namentlich junge Leute verfallen leicht in diese Uebertreibung. Ihr
gutes Herz treibt sie an, sich den von der Natur oder dem Glücke weniger
begünstigten Freunden zu widmen. Das ist sicherlich edel und schön, aber in
der Welt, und vor allem bei sich zu Hause vor seinen Gästen muß man sich
hüten, durch zu große und auffällige Bevorzugung Einzelner zu verwunden
Mit dem Betreffenden allein, nicht gebunden durch Pflichten der Gastlichkeit,
kann man den Neigungen des Herzens ihren Lauf lassen." . .

„An einem Empfangstage muß die Unterhaltung sich um Allgemeinheiten
bewegen. Auch hier haben wir unser Herz und unsern Geschmack schweigen
zu lassen, wie sehr uns auch die üblichen Gemeinplätze mißbehagen mögen-
Das Gleichgültige herrscht und hält uns in seinem Bann."

„Man ist oft geneigt, Verstellung und Heuchelei mit dem Brauche der
Welt zu verwechseln. Dieser bedeckt uns zwar das Gesicht mit einer Maske,
aber es ist nur die Maske der Höflichkeit, der Rücksichtnahme, man könnte
sogar sagen, der Barmherzigkeit, und man darf sich darüber nicht zu sehr be¬
klagen. Die Heuchelei in der Gesellschaft besteht darin, daß man der gegen¬
wärtigen Person eine freundschaftliche Miene zeigt, dann sie anschwärzt und
verklagt, wenn sie abwesend ist. In folgendem Fall ist unser Verfahren keine
Heuchelei. Wir wünschen auszugehen, einem uns erwartenden Vergnügen


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[0182] um auszuruhen oder sich einer vertraulichen Unterhaltung hinzugeben. Sie haben fortwährend auf dem Posten zu sein, um auf das Bedürfniß ihrer Gäste zu achten, sich für Alle zu opfern und sich nicht etwa einem Einzelnen zu widmen. Ihre erste Pflicht ist die Unparteilichkeit. Man wird wohlthun, diese Unparteilichkeit so früh als möglich den jungen Leuten einzuprägen, sie sind zu oft geneigt, den Regungen ihres Herzens zu folgen." . . „Wir schulden uns unsern Gästen, wir gehören nicht mehr uns, sondern wir und unser Haus gehören den Eingeladenen an. Wir haben sie gebeten, zu uns zu kommen, um sich zu unterhalten und zu vergnügen, nicht, um sie Verdruß und Erniedrigungen erleiden zu lassen, nicht, um Den oder Jenen bevorzugen zu sehen. Ein Haus, wo man die Kunst des Empfangs nicht versteht, wird bald keine Freunde mehr zu empfangen haben und in den Ruf kommen, langweilig zu sein. Das Gegentheil wird der Fall da sein, wo man sich gleichsam zu vervielfältigen weiß, um alle Welt ohne Rücksicht auf Stellung und Alter zu unterhalten." „Aber man muß sich hierbei vor Uebertreibungen hüten. Man muß jedem zukommen lassen, was ihm nach seiner Stellung auf der gesellschaftlichen Stufenleiter an Aufmerksamkeiten gebührt, und es hieße die vornehme Dame verletzen, wenn man ihrer Gesellschafterin davon ebensoviel oder mehr zu¬ wenden wollte, als ihr selbst, ja man liefe Gefahr, beide verdrießlich zu stimmen; denn die Niedrigerstehende könnte es für Herablassung oder gar für Ironie halten. Namentlich junge Leute verfallen leicht in diese Uebertreibung. Ihr gutes Herz treibt sie an, sich den von der Natur oder dem Glücke weniger begünstigten Freunden zu widmen. Das ist sicherlich edel und schön, aber in der Welt, und vor allem bei sich zu Hause vor seinen Gästen muß man sich hüten, durch zu große und auffällige Bevorzugung Einzelner zu verwunden Mit dem Betreffenden allein, nicht gebunden durch Pflichten der Gastlichkeit, kann man den Neigungen des Herzens ihren Lauf lassen." . . „An einem Empfangstage muß die Unterhaltung sich um Allgemeinheiten bewegen. Auch hier haben wir unser Herz und unsern Geschmack schweigen zu lassen, wie sehr uns auch die üblichen Gemeinplätze mißbehagen mögen- Das Gleichgültige herrscht und hält uns in seinem Bann." „Man ist oft geneigt, Verstellung und Heuchelei mit dem Brauche der Welt zu verwechseln. Dieser bedeckt uns zwar das Gesicht mit einer Maske, aber es ist nur die Maske der Höflichkeit, der Rücksichtnahme, man könnte sogar sagen, der Barmherzigkeit, und man darf sich darüber nicht zu sehr be¬ klagen. Die Heuchelei in der Gesellschaft besteht darin, daß man der gegen¬ wärtigen Person eine freundschaftliche Miene zeigt, dann sie anschwärzt und verklagt, wenn sie abwesend ist. In folgendem Fall ist unser Verfahren keine Heuchelei. Wir wünschen auszugehen, einem uns erwartenden Vergnügen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/182>, abgerufen am 26.09.2024.