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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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daß wir hier mit wenigen Ausnahmen lauter schön geschriebene, kunstreich
verzierte Manuscripte vor uns haben, und daß die für die einzelnen Bände
gezählten Summen im Durchschnitt die unter uns für seltene Druckwerke
üblichen Preise erheblich übersteigen.

Mit dem Verkauf von Schulbüchern befaßt sich der Sahaf nicht. Man
kauft sie beim Kihatschi oder Schreibmaterialienhändler. Die Nachfrage nach
ihnen hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen, ein Beweis, daß wenigstens
der Elementarunterricht weniger vernachlässigt ist als früher. Jede große
Moschee hat ihre Medresse, d. h. ihre Gelehrtenschule oder ihr Seminar, jede
Moschee zweiten Rangs ihre Elementarschule, die unter der Aufsicht ihres
Imaus steht. Außerdem giebt es noch eine Anzahl von Anstalten der letzteren
Art, die entweder selbständig existiren oder mit Privatbegräbnißstätten,
Derwischklöstern oder Brunnenstiftungen verbunden sind. Sie sind sämmtlich
von Privatwohlthätern begründet, und die Kinder haben für den Unterricht
nichts zu zahlen und geben dem Lehrer höchstens alle Jahre ein kleines frei¬
williges Geschenk. So giebt es in den türkischen Städten und den größeren
Dörfern des Landes nur wenige Muslime, die nicht in dem Alter von fünf
bis acht Jahren lesen und schreiben gelernt haben, nur werden diese Künste
von den Meisten später vernachlässigt. Der unentgeltliche Unterricht in den
Elementarschulen beschränkt sich übrigens auf jene beiden Künste und auf
das Auswendiglernen des Korans. Diejenigen aber, welche zu höherem Studium
^stimmt sind, kommen im zehnten oder zwölften Jahre in die Medresse,
sie geraume Zeit einen ziemlich complicirten und reichhaltigen Cursus
durchzumachen haben. Sie beginnen mit türkischer Grammatik und gehen
dann allmählich zum Studium der Rhetorik, der Logik, der Philosophie,
Dogmattk, Jurisprudenz und Mathematik über. Das Auswendiglernen des
Korans gilt auch hier als ein wesentlicher Theil des Studiums, obwohl man
bon Leuten, die um unbedeutende Dinge viele Worte machen, zu sagen pflegt:
"et plärrt wie ein Koranherbeter." Die Medressen sind in Klassen abgetheilt,
bisweilen dienen sie auch nur zur Ablichtung für ein bestimmtes Amt. So
werden in einigen die Candidaten für das Korps der Ulema durch Unter-
^ehe in der Theologie und Rechtsgelehrtheit ausgebildet. Andere sind zur
Heranziehung von Kjatibs, öffentlichen Beamten, bestimmt. Wer nach einer
höhern Stelle in dem Ministerium strebt, studirt gewöhnlich im Melech
^dlije, wo Schönschreiben, vollkommene Kenntniß der türkischen Sprache,
Arithmetik und Jurisprudenz die Hauptgegenstände des Unterrichts bilden,
^om dann noch als Nebensachen Arabisch und Persisch und zuweilen Mathe¬
matik und Philosophie kommen. Kinder reicher Leute werden gewöhnlich im
Glieder Hause von einem Hodsch (Lehrer) erzogen und ausgebildet, und
einzelne Aufgeklärte haben sich auch wohl schon zu ausländischen (fränkischen)


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daß wir hier mit wenigen Ausnahmen lauter schön geschriebene, kunstreich
verzierte Manuscripte vor uns haben, und daß die für die einzelnen Bände
gezählten Summen im Durchschnitt die unter uns für seltene Druckwerke
üblichen Preise erheblich übersteigen.

Mit dem Verkauf von Schulbüchern befaßt sich der Sahaf nicht. Man
kauft sie beim Kihatschi oder Schreibmaterialienhändler. Die Nachfrage nach
ihnen hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen, ein Beweis, daß wenigstens
der Elementarunterricht weniger vernachlässigt ist als früher. Jede große
Moschee hat ihre Medresse, d. h. ihre Gelehrtenschule oder ihr Seminar, jede
Moschee zweiten Rangs ihre Elementarschule, die unter der Aufsicht ihres
Imaus steht. Außerdem giebt es noch eine Anzahl von Anstalten der letzteren
Art, die entweder selbständig existiren oder mit Privatbegräbnißstätten,
Derwischklöstern oder Brunnenstiftungen verbunden sind. Sie sind sämmtlich
von Privatwohlthätern begründet, und die Kinder haben für den Unterricht
nichts zu zahlen und geben dem Lehrer höchstens alle Jahre ein kleines frei¬
williges Geschenk. So giebt es in den türkischen Städten und den größeren
Dörfern des Landes nur wenige Muslime, die nicht in dem Alter von fünf
bis acht Jahren lesen und schreiben gelernt haben, nur werden diese Künste
von den Meisten später vernachlässigt. Der unentgeltliche Unterricht in den
Elementarschulen beschränkt sich übrigens auf jene beiden Künste und auf
das Auswendiglernen des Korans. Diejenigen aber, welche zu höherem Studium
^stimmt sind, kommen im zehnten oder zwölften Jahre in die Medresse,
sie geraume Zeit einen ziemlich complicirten und reichhaltigen Cursus
durchzumachen haben. Sie beginnen mit türkischer Grammatik und gehen
dann allmählich zum Studium der Rhetorik, der Logik, der Philosophie,
Dogmattk, Jurisprudenz und Mathematik über. Das Auswendiglernen des
Korans gilt auch hier als ein wesentlicher Theil des Studiums, obwohl man
bon Leuten, die um unbedeutende Dinge viele Worte machen, zu sagen pflegt:
"et plärrt wie ein Koranherbeter." Die Medressen sind in Klassen abgetheilt,
bisweilen dienen sie auch nur zur Ablichtung für ein bestimmtes Amt. So
werden in einigen die Candidaten für das Korps der Ulema durch Unter-
^ehe in der Theologie und Rechtsgelehrtheit ausgebildet. Andere sind zur
Heranziehung von Kjatibs, öffentlichen Beamten, bestimmt. Wer nach einer
höhern Stelle in dem Ministerium strebt, studirt gewöhnlich im Melech
^dlije, wo Schönschreiben, vollkommene Kenntniß der türkischen Sprache,
Arithmetik und Jurisprudenz die Hauptgegenstände des Unterrichts bilden,
^om dann noch als Nebensachen Arabisch und Persisch und zuweilen Mathe¬
matik und Philosophie kommen. Kinder reicher Leute werden gewöhnlich im
Glieder Hause von einem Hodsch (Lehrer) erzogen und ausgebildet, und
einzelne Aufgeklärte haben sich auch wohl schon zu ausländischen (fränkischen)


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[0481] daß wir hier mit wenigen Ausnahmen lauter schön geschriebene, kunstreich verzierte Manuscripte vor uns haben, und daß die für die einzelnen Bände gezählten Summen im Durchschnitt die unter uns für seltene Druckwerke üblichen Preise erheblich übersteigen. Mit dem Verkauf von Schulbüchern befaßt sich der Sahaf nicht. Man kauft sie beim Kihatschi oder Schreibmaterialienhändler. Die Nachfrage nach ihnen hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen, ein Beweis, daß wenigstens der Elementarunterricht weniger vernachlässigt ist als früher. Jede große Moschee hat ihre Medresse, d. h. ihre Gelehrtenschule oder ihr Seminar, jede Moschee zweiten Rangs ihre Elementarschule, die unter der Aufsicht ihres Imaus steht. Außerdem giebt es noch eine Anzahl von Anstalten der letzteren Art, die entweder selbständig existiren oder mit Privatbegräbnißstätten, Derwischklöstern oder Brunnenstiftungen verbunden sind. Sie sind sämmtlich von Privatwohlthätern begründet, und die Kinder haben für den Unterricht nichts zu zahlen und geben dem Lehrer höchstens alle Jahre ein kleines frei¬ williges Geschenk. So giebt es in den türkischen Städten und den größeren Dörfern des Landes nur wenige Muslime, die nicht in dem Alter von fünf bis acht Jahren lesen und schreiben gelernt haben, nur werden diese Künste von den Meisten später vernachlässigt. Der unentgeltliche Unterricht in den Elementarschulen beschränkt sich übrigens auf jene beiden Künste und auf das Auswendiglernen des Korans. Diejenigen aber, welche zu höherem Studium ^stimmt sind, kommen im zehnten oder zwölften Jahre in die Medresse, sie geraume Zeit einen ziemlich complicirten und reichhaltigen Cursus durchzumachen haben. Sie beginnen mit türkischer Grammatik und gehen dann allmählich zum Studium der Rhetorik, der Logik, der Philosophie, Dogmattk, Jurisprudenz und Mathematik über. Das Auswendiglernen des Korans gilt auch hier als ein wesentlicher Theil des Studiums, obwohl man bon Leuten, die um unbedeutende Dinge viele Worte machen, zu sagen pflegt: "et plärrt wie ein Koranherbeter." Die Medressen sind in Klassen abgetheilt, bisweilen dienen sie auch nur zur Ablichtung für ein bestimmtes Amt. So werden in einigen die Candidaten für das Korps der Ulema durch Unter- ^ehe in der Theologie und Rechtsgelehrtheit ausgebildet. Andere sind zur Heranziehung von Kjatibs, öffentlichen Beamten, bestimmt. Wer nach einer höhern Stelle in dem Ministerium strebt, studirt gewöhnlich im Melech ^dlije, wo Schönschreiben, vollkommene Kenntniß der türkischen Sprache, Arithmetik und Jurisprudenz die Hauptgegenstände des Unterrichts bilden, ^om dann noch als Nebensachen Arabisch und Persisch und zuweilen Mathe¬ matik und Philosophie kommen. Kinder reicher Leute werden gewöhnlich im Glieder Hause von einem Hodsch (Lehrer) erzogen und ausgebildet, und einzelne Aufgeklärte haben sich auch wohl schon zu ausländischen (fränkischen) <Krcnzlwten III. I87«. 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/481>, abgerufen am 19.10.2024.