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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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laristischer Grundlage, sondern im Gegentheil die Festigung des Cabinets im
Vertrauen des Königs und die dies öffentlich aussprechende königliche Procla-
mation. Unter dem tiefen Eindruck der letztern ging der Landtag auseinander,
die klerikale Partei aufs Aeußerste verstimmt, aber nicht muthlos, im Gegen¬
theil, nun desto mehr im Stillen fortarbeitend, d. h. fortwühlend, -- die
Liberalen getrosten Muths, aus den königlichen Erlaß bauend, aber mit vielleicht
zu rosigen Erwartungen von dessen Einwirkung auf das Volk. Die Gegner
waren ihrer Sache sicherer: sie ließen es darauf ankommen, daß Ministerium,
Regierung und Bezirksamt die allerhöchste Proklamation zur Kenntnißgabe
an jede Gemeinde des Landes hinausgaben, sie richteten diese Kenntnißgabe
schon so ein, daß sie mit möglichst geringer Solennität vorgenommen, in die
Reihe gewöhnlicher Bekanntmachungen, als von Märkten, Holzverkäufen u.s.w.
eingeschoben und dadurch geradezu persistirt wurde. Der beabsichtigte Er¬
folg, ultramontane Wahlkreise umzustimmen, den einen oder den andern
klerikalen Abgeordneten gefügiger, vorurteilsfreier zu machen, schlug gänzlich
fehl. Als die Kammer am 21. Februar wieder zusammentrat, trug sie. trotz
Adreßablehnung und königlichen Apells an das Land, ganz dieselbe Physik
gnomie, wie im Herbste. Die geistlichen Führer der "wahren Vertretung des
Landes" traten mit derselben Zuversichtlichkeit, derselben Animosität gegen
Staat und Regierung auf, wie zuvor. Und die hinter ihnen Stehenden,
ihrem Commando Folgenden? War da irgend eine Aussicht auf die von ge¬
wissen liberalen Sanguinikern erhoffte und prophezeite Lockerung oder gar
den Zerfall der patriotischen Phalanx? Nicht die geringste. Herr Jörg konnte
wirklich, ohne diesmal die schon mehrmals von ihm gemachte Erfahrung, ein
falscher Prophet gewesen zu sein, zu erneuern, getrost die Versicherung
wiederholen, daß diesmal kein "wurmstichiger" oder "fauler" Apfel am Baum
der klerikalen Erkenntniß oder seiner Partei zu finden sein würde. Und in
der That ist auch bisher nichts vorgefallen, was auch für die nächste Zukunft
an der Gesundheit und Lagerfähigkeit des -- um im Bilde zu bleiben --
bayrisch ultramontanen Kernobstes Zweifel entstehen lassen könnte.

Aber, gemäß der mit Pathos gegebenen Versicherungen unentwegt
fortdauernder Abgeneigtheit, ja Feindschaft gegen dieses Ministerium, nun
auch wirklich entscheidende Thaten zu thun, bei der Budgetberathung mit
energischen Strichen die Verwaltung des Staats aufs Trockene zu setzen und
damit den Cabinetswechsel oder eine Auflösung der Kammer zu erzwingen --
dazu fehlt doch wieder die Kraft oder auch schon die Initiative des Ge¬
dankens: die vorsichtigere Seite des patriotischen Clubbs behielt über die von
einigen enragirten Klerikern geführten, zu rücksichtslosem Vorgehen drängende
extreme vorderhand immer noch die Oberhand, man hüllte sich in den
patriotischen Tugendmantel, daß man an der Nichtregelung des Staatshaus-


laristischer Grundlage, sondern im Gegentheil die Festigung des Cabinets im
Vertrauen des Königs und die dies öffentlich aussprechende königliche Procla-
mation. Unter dem tiefen Eindruck der letztern ging der Landtag auseinander,
die klerikale Partei aufs Aeußerste verstimmt, aber nicht muthlos, im Gegen¬
theil, nun desto mehr im Stillen fortarbeitend, d. h. fortwühlend, — die
Liberalen getrosten Muths, aus den königlichen Erlaß bauend, aber mit vielleicht
zu rosigen Erwartungen von dessen Einwirkung auf das Volk. Die Gegner
waren ihrer Sache sicherer: sie ließen es darauf ankommen, daß Ministerium,
Regierung und Bezirksamt die allerhöchste Proklamation zur Kenntnißgabe
an jede Gemeinde des Landes hinausgaben, sie richteten diese Kenntnißgabe
schon so ein, daß sie mit möglichst geringer Solennität vorgenommen, in die
Reihe gewöhnlicher Bekanntmachungen, als von Märkten, Holzverkäufen u.s.w.
eingeschoben und dadurch geradezu persistirt wurde. Der beabsichtigte Er¬
folg, ultramontane Wahlkreise umzustimmen, den einen oder den andern
klerikalen Abgeordneten gefügiger, vorurteilsfreier zu machen, schlug gänzlich
fehl. Als die Kammer am 21. Februar wieder zusammentrat, trug sie. trotz
Adreßablehnung und königlichen Apells an das Land, ganz dieselbe Physik
gnomie, wie im Herbste. Die geistlichen Führer der „wahren Vertretung des
Landes" traten mit derselben Zuversichtlichkeit, derselben Animosität gegen
Staat und Regierung auf, wie zuvor. Und die hinter ihnen Stehenden,
ihrem Commando Folgenden? War da irgend eine Aussicht auf die von ge¬
wissen liberalen Sanguinikern erhoffte und prophezeite Lockerung oder gar
den Zerfall der patriotischen Phalanx? Nicht die geringste. Herr Jörg konnte
wirklich, ohne diesmal die schon mehrmals von ihm gemachte Erfahrung, ein
falscher Prophet gewesen zu sein, zu erneuern, getrost die Versicherung
wiederholen, daß diesmal kein „wurmstichiger" oder „fauler" Apfel am Baum
der klerikalen Erkenntniß oder seiner Partei zu finden sein würde. Und in
der That ist auch bisher nichts vorgefallen, was auch für die nächste Zukunft
an der Gesundheit und Lagerfähigkeit des — um im Bilde zu bleiben —
bayrisch ultramontanen Kernobstes Zweifel entstehen lassen könnte.

Aber, gemäß der mit Pathos gegebenen Versicherungen unentwegt
fortdauernder Abgeneigtheit, ja Feindschaft gegen dieses Ministerium, nun
auch wirklich entscheidende Thaten zu thun, bei der Budgetberathung mit
energischen Strichen die Verwaltung des Staats aufs Trockene zu setzen und
damit den Cabinetswechsel oder eine Auflösung der Kammer zu erzwingen —
dazu fehlt doch wieder die Kraft oder auch schon die Initiative des Ge¬
dankens: die vorsichtigere Seite des patriotischen Clubbs behielt über die von
einigen enragirten Klerikern geführten, zu rücksichtslosem Vorgehen drängende
extreme vorderhand immer noch die Oberhand, man hüllte sich in den
patriotischen Tugendmantel, daß man an der Nichtregelung des Staatshaus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/35>, abgerufen am 19.10.2024.