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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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Wahlkampfes unter der Vergrößerungslupe gesehen und in Wort und Schrift
hervorgehoben werden. Tilden ist kein junger Mann mehr, er zählt 64
Jahre, und ist von schwacher Gesundheit; Hayes dagegen steht in den kräftigsten
Mannesjahren und ist zur Ertragung geistiger und körperlichen Strapazen
wohl geschickt. Das Ringen um die Präsidentenwürde ist aber keine ganz
leichte Aufgabe. Den alten Horace Greeley brachte es vor vier Jahren
frühzeitig in die Grube, und James G. Blaine, der so nahe daran war,
in Cincinnati die Nomination für das Präsidentenamt zu erhalten, scheint
gegenwärtig auch auf dem Wege ins Jenseits zu sein. So schlimm hat die
furchtbare Aufregung des Kampfes um die Nomination und die erlittene
Enttäuschung auf ihn eingewirkt. Der Mann, der, man darf es ohne Ueber¬
treibung sagen, der ganzen Union Schach bot in seinem Auftreten vor der
Cineinnatier Nationalconvention, ist jetzt, wie amerikanische Blätter melden,
schwach und Hülflos wie ein Säugling; nur ein Wunder kann ihn am Leben
erhalten. Und wenn er auch körperlich sich wieder erholt, seine frühere geistige
Spannkraft wird er schwerlich jemals wieder bekommen.

Nach den bisher gemachten Erfahrungen hat es den Anschein, als wenn
Tilden seinem jüngern Rivalen an geistiger Fähigkeit und staatsmännischer
Gewandtheit überlegen und im Ganzen ein bedeutender Mann sei; dafür hat
aber Hayes in seiner verhältnißmäßig kurzen, jedoch nicht unrühmlichen po¬
litischen Carriere sich niemals dem oft gegen Tilden geäußerten Verdacht
ausgesetzt, ein sogenannter Maschinenpolitiker oder gar Demagog" zu sein.
Der Letztere hat, wie die meisten bekannteren amerikanischen Politiker, seinen
Beinamen; freilich ist derselbe nicht gerade sehr schmeichelhaft und Vertrauen
erweckend, man nennt ihn "Zlipper^ Lau", den "aalglatten Samuel". Daß
Tilden aus seiner Reformthätigkeit politisches Material herauszuschlagen
gewußt hat und die demokratische Partei auch hauptsächlich unter diesem
Zeichen zu siegen gedenkt, leuchtet, vielleicht mit etwas verstimmender Absicht¬
lichkeit auch dem Unbefangensten ein; Hayes, der stets mit den besseren und
besten republikanischen Elementen identificirt, aber niemals in schmutzige Cor-
ruptionsfehden verwickelt war, kann sich ähnlicher Manöver bei seinem Feld¬
zugsplane nicht bedienen. Wenn man Hayes zum Vorwurfe machen will,
daß die ganze republikanische Partei, nicht nur die unabhängigen Reform¬
freunde, wie Bristow, Schurz, Hecker, William C. Bryant u. s. w., sondern
auch Grant und Conkling, für ihn in die Schranken treten, so tritt dasselbe
unangenehme Moment der Verschmelzung heterogener Elemente in der eige¬
nen Parteifamilie auch auf der demokratischen Seite ebenso auffällig hervor,
da hier die "Jnflationisten", d. h. die Anhänger des uneinlösbaren Papier¬
geldes, ebenso eifrige Vorkämpfer für Tilden sind, wie die demokratischen
Hartgeldleute.


Wahlkampfes unter der Vergrößerungslupe gesehen und in Wort und Schrift
hervorgehoben werden. Tilden ist kein junger Mann mehr, er zählt 64
Jahre, und ist von schwacher Gesundheit; Hayes dagegen steht in den kräftigsten
Mannesjahren und ist zur Ertragung geistiger und körperlichen Strapazen
wohl geschickt. Das Ringen um die Präsidentenwürde ist aber keine ganz
leichte Aufgabe. Den alten Horace Greeley brachte es vor vier Jahren
frühzeitig in die Grube, und James G. Blaine, der so nahe daran war,
in Cincinnati die Nomination für das Präsidentenamt zu erhalten, scheint
gegenwärtig auch auf dem Wege ins Jenseits zu sein. So schlimm hat die
furchtbare Aufregung des Kampfes um die Nomination und die erlittene
Enttäuschung auf ihn eingewirkt. Der Mann, der, man darf es ohne Ueber¬
treibung sagen, der ganzen Union Schach bot in seinem Auftreten vor der
Cineinnatier Nationalconvention, ist jetzt, wie amerikanische Blätter melden,
schwach und Hülflos wie ein Säugling; nur ein Wunder kann ihn am Leben
erhalten. Und wenn er auch körperlich sich wieder erholt, seine frühere geistige
Spannkraft wird er schwerlich jemals wieder bekommen.

Nach den bisher gemachten Erfahrungen hat es den Anschein, als wenn
Tilden seinem jüngern Rivalen an geistiger Fähigkeit und staatsmännischer
Gewandtheit überlegen und im Ganzen ein bedeutender Mann sei; dafür hat
aber Hayes in seiner verhältnißmäßig kurzen, jedoch nicht unrühmlichen po¬
litischen Carriere sich niemals dem oft gegen Tilden geäußerten Verdacht
ausgesetzt, ein sogenannter Maschinenpolitiker oder gar Demagog« zu sein.
Der Letztere hat, wie die meisten bekannteren amerikanischen Politiker, seinen
Beinamen; freilich ist derselbe nicht gerade sehr schmeichelhaft und Vertrauen
erweckend, man nennt ihn „Zlipper^ Lau", den „aalglatten Samuel". Daß
Tilden aus seiner Reformthätigkeit politisches Material herauszuschlagen
gewußt hat und die demokratische Partei auch hauptsächlich unter diesem
Zeichen zu siegen gedenkt, leuchtet, vielleicht mit etwas verstimmender Absicht¬
lichkeit auch dem Unbefangensten ein; Hayes, der stets mit den besseren und
besten republikanischen Elementen identificirt, aber niemals in schmutzige Cor-
ruptionsfehden verwickelt war, kann sich ähnlicher Manöver bei seinem Feld¬
zugsplane nicht bedienen. Wenn man Hayes zum Vorwurfe machen will,
daß die ganze republikanische Partei, nicht nur die unabhängigen Reform¬
freunde, wie Bristow, Schurz, Hecker, William C. Bryant u. s. w., sondern
auch Grant und Conkling, für ihn in die Schranken treten, so tritt dasselbe
unangenehme Moment der Verschmelzung heterogener Elemente in der eige¬
nen Parteifamilie auch auf der demokratischen Seite ebenso auffällig hervor,
da hier die „Jnflationisten", d. h. die Anhänger des uneinlösbaren Papier¬
geldes, ebenso eifrige Vorkämpfer für Tilden sind, wie die demokratischen
Hartgeldleute.


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[0324] Wahlkampfes unter der Vergrößerungslupe gesehen und in Wort und Schrift hervorgehoben werden. Tilden ist kein junger Mann mehr, er zählt 64 Jahre, und ist von schwacher Gesundheit; Hayes dagegen steht in den kräftigsten Mannesjahren und ist zur Ertragung geistiger und körperlichen Strapazen wohl geschickt. Das Ringen um die Präsidentenwürde ist aber keine ganz leichte Aufgabe. Den alten Horace Greeley brachte es vor vier Jahren frühzeitig in die Grube, und James G. Blaine, der so nahe daran war, in Cincinnati die Nomination für das Präsidentenamt zu erhalten, scheint gegenwärtig auch auf dem Wege ins Jenseits zu sein. So schlimm hat die furchtbare Aufregung des Kampfes um die Nomination und die erlittene Enttäuschung auf ihn eingewirkt. Der Mann, der, man darf es ohne Ueber¬ treibung sagen, der ganzen Union Schach bot in seinem Auftreten vor der Cineinnatier Nationalconvention, ist jetzt, wie amerikanische Blätter melden, schwach und Hülflos wie ein Säugling; nur ein Wunder kann ihn am Leben erhalten. Und wenn er auch körperlich sich wieder erholt, seine frühere geistige Spannkraft wird er schwerlich jemals wieder bekommen. Nach den bisher gemachten Erfahrungen hat es den Anschein, als wenn Tilden seinem jüngern Rivalen an geistiger Fähigkeit und staatsmännischer Gewandtheit überlegen und im Ganzen ein bedeutender Mann sei; dafür hat aber Hayes in seiner verhältnißmäßig kurzen, jedoch nicht unrühmlichen po¬ litischen Carriere sich niemals dem oft gegen Tilden geäußerten Verdacht ausgesetzt, ein sogenannter Maschinenpolitiker oder gar Demagog« zu sein. Der Letztere hat, wie die meisten bekannteren amerikanischen Politiker, seinen Beinamen; freilich ist derselbe nicht gerade sehr schmeichelhaft und Vertrauen erweckend, man nennt ihn „Zlipper^ Lau", den „aalglatten Samuel". Daß Tilden aus seiner Reformthätigkeit politisches Material herauszuschlagen gewußt hat und die demokratische Partei auch hauptsächlich unter diesem Zeichen zu siegen gedenkt, leuchtet, vielleicht mit etwas verstimmender Absicht¬ lichkeit auch dem Unbefangensten ein; Hayes, der stets mit den besseren und besten republikanischen Elementen identificirt, aber niemals in schmutzige Cor- ruptionsfehden verwickelt war, kann sich ähnlicher Manöver bei seinem Feld¬ zugsplane nicht bedienen. Wenn man Hayes zum Vorwurfe machen will, daß die ganze republikanische Partei, nicht nur die unabhängigen Reform¬ freunde, wie Bristow, Schurz, Hecker, William C. Bryant u. s. w., sondern auch Grant und Conkling, für ihn in die Schranken treten, so tritt dasselbe unangenehme Moment der Verschmelzung heterogener Elemente in der eige¬ nen Parteifamilie auch auf der demokratischen Seite ebenso auffällig hervor, da hier die „Jnflationisten", d. h. die Anhänger des uneinlösbaren Papier¬ geldes, ebenso eifrige Vorkämpfer für Tilden sind, wie die demokratischen Hartgeldleute.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/324>, abgerufen am 19.10.2024.