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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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durchzuführenden Reformen dienen. Besondere Agenten und Controleure
sollen die Vertheilung und Einziehung der Steuern nach den bestehenden
Gesetzen sichern. In dem Jrade wird ferner mitgetheilt, daß die türkische
Regierung sich gegenwärtig damit beschäftige, ein System herzustellen, welches
die Umwandlung des Zehnts in eine Grundsteuer ermöglicht. Außerdem,
heißt es, sei die Pforte bemüht, im Bezug auf die Taxen ein einheitliches
fiscalisches Vorgehen ausfindig zu machen und diese Reformen sowie neue
Verbesserungen im Polizeiwesen nach Maßgabe der Verhältnisse zu ver¬
wirklichen.

"Willst Du mir Koth in die Ohren stopfen?" werden die Bosnier mit
Anwendung der anmuthigen Redensart hierauf gefragt haben, welche ihre tür¬
kischen Bedrücker gebrauchen, wenn sie kundgeben wollen, daß eine Mittheilung
oder Versprechung bei ihnen auf Unglauben stößt.

Bald darauf folgte ein zweites Jrade aus Konstantinopel, das vom
12. December v. I. datirt war und folgende Hauptpunkte enthielt:

Die Richter und deren Beisitzer sollen fortan vom Volke gewählt, und
es sollen Apellationsgerichte eingeführt werden. Die Saptije (Gendarmen
oder Polizeisoldaten) dürfen bei Steuereintreibungen keine Hülfe mehr leisten
und müssen aus rechtschaffenen Personen gewählt werden. Das System der
Frohndienste soll Verbesserungen erfahren. Alle Unterthanen des Sultans
sollen künstig ohne Rücksicht auf die Religion uni> ohne Beschränkung des Cultus
einander gleichgestellt sein. Die Abgaben der Nlchtmuhamedaner für die Be¬
freiung vom Militärdienste wird in Zukunft nur von Leuten zwischen zwanzig
und vierzig Jahren, die nicht schwach oder Invalide sind, gezahlt, statt wie
bisher, von der Gemeinde (hier ist zu bemerken, daß die Militärsteuer bisher
von den Gemeinden in der Weise aufgebracht wurde, daß jeder Nichtmuha-
medaner zu derselben herangezogen wurde. Da die Regierung dieselben
Summen wie früher verlangt, so werden jetzt die kräftigen Männer von
zwanzig bis vierzig Jahren dermaßen mit Geldforderungen überlastet, daß
von den Gemeindevorstehern bereits Wiederherstellung des alten Modus be¬
antragt worden ist). Die Contribution von 100 Pfund türkisch, welche die
Muslime zu leisten haben, die sich vom Dienst im Heere loskaufen wollen,
wird entsprechend auf 30 Pfund herabgesetzt. Die Rechtstitel alles Immo¬
biliarbesitzes werden ins künftige ausschließlich durch die GeneraldKection der
Archive abgelöst. Die nicht muslimischen Unterthanen des Sultans sollen
fortan allenthalben Grundeigenthum erwerben dürfen und ihre Testamente
geachtet werden.

Ein Ausführungserlaß hierzu, welcher den Titel "Anweisungen für die
Vorsitzenden der Apellationsgerichtshöfe der Vilajets" führt, hat nach der
"Morning Post" folgenden Wortlaut:


durchzuführenden Reformen dienen. Besondere Agenten und Controleure
sollen die Vertheilung und Einziehung der Steuern nach den bestehenden
Gesetzen sichern. In dem Jrade wird ferner mitgetheilt, daß die türkische
Regierung sich gegenwärtig damit beschäftige, ein System herzustellen, welches
die Umwandlung des Zehnts in eine Grundsteuer ermöglicht. Außerdem,
heißt es, sei die Pforte bemüht, im Bezug auf die Taxen ein einheitliches
fiscalisches Vorgehen ausfindig zu machen und diese Reformen sowie neue
Verbesserungen im Polizeiwesen nach Maßgabe der Verhältnisse zu ver¬
wirklichen.

„Willst Du mir Koth in die Ohren stopfen?" werden die Bosnier mit
Anwendung der anmuthigen Redensart hierauf gefragt haben, welche ihre tür¬
kischen Bedrücker gebrauchen, wenn sie kundgeben wollen, daß eine Mittheilung
oder Versprechung bei ihnen auf Unglauben stößt.

Bald darauf folgte ein zweites Jrade aus Konstantinopel, das vom
12. December v. I. datirt war und folgende Hauptpunkte enthielt:

Die Richter und deren Beisitzer sollen fortan vom Volke gewählt, und
es sollen Apellationsgerichte eingeführt werden. Die Saptije (Gendarmen
oder Polizeisoldaten) dürfen bei Steuereintreibungen keine Hülfe mehr leisten
und müssen aus rechtschaffenen Personen gewählt werden. Das System der
Frohndienste soll Verbesserungen erfahren. Alle Unterthanen des Sultans
sollen künstig ohne Rücksicht auf die Religion uni> ohne Beschränkung des Cultus
einander gleichgestellt sein. Die Abgaben der Nlchtmuhamedaner für die Be¬
freiung vom Militärdienste wird in Zukunft nur von Leuten zwischen zwanzig
und vierzig Jahren, die nicht schwach oder Invalide sind, gezahlt, statt wie
bisher, von der Gemeinde (hier ist zu bemerken, daß die Militärsteuer bisher
von den Gemeinden in der Weise aufgebracht wurde, daß jeder Nichtmuha-
medaner zu derselben herangezogen wurde. Da die Regierung dieselben
Summen wie früher verlangt, so werden jetzt die kräftigen Männer von
zwanzig bis vierzig Jahren dermaßen mit Geldforderungen überlastet, daß
von den Gemeindevorstehern bereits Wiederherstellung des alten Modus be¬
antragt worden ist). Die Contribution von 100 Pfund türkisch, welche die
Muslime zu leisten haben, die sich vom Dienst im Heere loskaufen wollen,
wird entsprechend auf 30 Pfund herabgesetzt. Die Rechtstitel alles Immo¬
biliarbesitzes werden ins künftige ausschließlich durch die GeneraldKection der
Archive abgelöst. Die nicht muslimischen Unterthanen des Sultans sollen
fortan allenthalben Grundeigenthum erwerben dürfen und ihre Testamente
geachtet werden.

Ein Ausführungserlaß hierzu, welcher den Titel „Anweisungen für die
Vorsitzenden der Apellationsgerichtshöfe der Vilajets" führt, hat nach der
„Morning Post" folgenden Wortlaut:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/316>, abgerufen am 20.10.2024.