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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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das rohere, aber kräftige, türkische Element zu verdrängen," -- sowie daß
"die Völker, welche den Islam nahmen, zu seinen Trägern" wurden (it.).
schlagen die Seite um und gewahren mit Entsetzen, daß jetzt erst "die politische
Entwicklung des Mittelalters" beginnt, von der wir doch schon ein gutes Stück
hinter uns gebracht zu haben glaubten, z. B. den wahrhaft schrecklichen Abschnitt
über den Ursprung des "Feodalismus" S. 444 ff. mit der klassischen Anm.,
die uns jedes weiteren Nachweises über den Werth der Hellwaldschen Citate
enthebt. "Ich folge in diesem Abschnitt weder Mably noch Montesquieu
(iSsprit ass lois), sondern den neuesten Studien des Herrn Fühlet de Cou-
langes -- Kevue ach äsux Nonäss vom 15. Mai 1875. S. 436--469:"
was folgt, kann allerdings nur von S. 436--469 wo immer gestanden
haben. Daß H. v. H. in diesem Abschnitt weder Mably noch Montesquieu
folgte, bezweifeln wir nicht: er wird wie auf S. 451 seinem eigenen Genius ge¬
folgt sein, wo es heißt: "die Identität der Leibeigenschaft mit dem
Benefizenwesen im alten Rom ist nicht zu verkennen."

Jener werthvolle Theil: "die politische Entwicklung des Mittelalters" be¬
ginnt mit einem unvergleichlich durchgeführten Bild "der Culturstrom, ein
Rückblick" -- mit verschiedenen Quellen und Zuflüssen, von denen der eine
in "sumpfige Matten sich verliert", der andere "in zischender Gischt an seinen
Betteswänden leckt und nagt", wogegen dann der Hauptstrom auf S. 526
"entblößt vom Ungestüm der Jugend" dahinzieht. Auch hier wird uns die
beruhigende Bemerkung nicht erspart, daß der Flußlauf "bis in die kleinsten
Einzelheiten", wie der Verf. versichert, "durch natürliche Momente bedingt
wird". Wir nehmen, mit Genugthuung, doch ohne rechten Glauben, die Ver¬
sicherung entgegen, daß der Verf. von jetzt ab sich kürzer fassen "könne", ver¬
spüren aber zunächst nichts davon, da er bei dem Abschnitt "über die Aus¬
bildung der christlich germanischen Herrschaft im Abendlande" uns belehrt,
"daß der trefflichste Vorsteh- und Hühnerhund noch keinen Bernhardiner
Lebensretter giebt", dann uns zur Abwechslung zu einem armseligen Volk am
Altai führt, bei dem ein ausgebildeter Communismus bestehe, "das Cultur¬
ideal so manches Phantasten, auf der niedrigsten Culturstufe indeß längst
vermöglicht". Wir erfahren S. 535, daß "die Idee von dem römischen
Reiche der Weltordnung noch nicht verblichen sei", daß das slavische Heiden-
thum "ob seiner Macht und Culturstufe" ein gefährlicher Gegner gewesen
sei, beklagen das Schicksal der Serben zwischen Saale, Elbe und Erzgebirge,
deren slavische Nationalität "durch Schwert und sonst jegliche Art bis auf
den Grund ausgerottet" wurde, sehen auf S. 639 wie der "freie deutsche
Bauer -- durch den frisch gerodeten Waldboden des preußischen Landes
seine Furchen zieht" und erinnern uns dabei eines Satzes auf S. 407, dessen
Sinn uns auch nach wiederholtem Lesen nicht verständlich geworden ist.


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das rohere, aber kräftige, türkische Element zu verdrängen," — sowie daß
„die Völker, welche den Islam nahmen, zu seinen Trägern" wurden (it.).
schlagen die Seite um und gewahren mit Entsetzen, daß jetzt erst „die politische
Entwicklung des Mittelalters" beginnt, von der wir doch schon ein gutes Stück
hinter uns gebracht zu haben glaubten, z. B. den wahrhaft schrecklichen Abschnitt
über den Ursprung des „Feodalismus" S. 444 ff. mit der klassischen Anm.,
die uns jedes weiteren Nachweises über den Werth der Hellwaldschen Citate
enthebt. „Ich folge in diesem Abschnitt weder Mably noch Montesquieu
(iSsprit ass lois), sondern den neuesten Studien des Herrn Fühlet de Cou-
langes — Kevue ach äsux Nonäss vom 15. Mai 1875. S. 436—469:"
was folgt, kann allerdings nur von S. 436—469 wo immer gestanden
haben. Daß H. v. H. in diesem Abschnitt weder Mably noch Montesquieu
folgte, bezweifeln wir nicht: er wird wie auf S. 451 seinem eigenen Genius ge¬
folgt sein, wo es heißt: „die Identität der Leibeigenschaft mit dem
Benefizenwesen im alten Rom ist nicht zu verkennen."

Jener werthvolle Theil: „die politische Entwicklung des Mittelalters" be¬
ginnt mit einem unvergleichlich durchgeführten Bild „der Culturstrom, ein
Rückblick" — mit verschiedenen Quellen und Zuflüssen, von denen der eine
in „sumpfige Matten sich verliert", der andere „in zischender Gischt an seinen
Betteswänden leckt und nagt", wogegen dann der Hauptstrom auf S. 526
„entblößt vom Ungestüm der Jugend" dahinzieht. Auch hier wird uns die
beruhigende Bemerkung nicht erspart, daß der Flußlauf „bis in die kleinsten
Einzelheiten", wie der Verf. versichert, „durch natürliche Momente bedingt
wird". Wir nehmen, mit Genugthuung, doch ohne rechten Glauben, die Ver¬
sicherung entgegen, daß der Verf. von jetzt ab sich kürzer fassen „könne", ver¬
spüren aber zunächst nichts davon, da er bei dem Abschnitt „über die Aus¬
bildung der christlich germanischen Herrschaft im Abendlande" uns belehrt,
„daß der trefflichste Vorsteh- und Hühnerhund noch keinen Bernhardiner
Lebensretter giebt", dann uns zur Abwechslung zu einem armseligen Volk am
Altai führt, bei dem ein ausgebildeter Communismus bestehe, „das Cultur¬
ideal so manches Phantasten, auf der niedrigsten Culturstufe indeß längst
vermöglicht". Wir erfahren S. 535, daß „die Idee von dem römischen
Reiche der Weltordnung noch nicht verblichen sei", daß das slavische Heiden-
thum „ob seiner Macht und Culturstufe" ein gefährlicher Gegner gewesen
sei, beklagen das Schicksal der Serben zwischen Saale, Elbe und Erzgebirge,
deren slavische Nationalität „durch Schwert und sonst jegliche Art bis auf
den Grund ausgerottet" wurde, sehen auf S. 639 wie der „freie deutsche
Bauer — durch den frisch gerodeten Waldboden des preußischen Landes
seine Furchen zieht" und erinnern uns dabei eines Satzes auf S. 407, dessen
Sinn uns auch nach wiederholtem Lesen nicht verständlich geworden ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/137>, abgerufen am 28.09.2024.