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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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geht doch selbst noch über "die hereingebrochene Irreligiosität der unteren
Schichten, deren Skepticismus das Theater erweiterte", ja selbst über "den
crasser, allerdings die Wahrheit erkennenden Atheismus der Niederen." Soviel
von Rom im Allgemeinen. Wo der Culturhistoriker auf Einzelheiten kommt,
wissen wir uns vor Widersprüchen, groben Sprachfehlern und jener Sorte von
Halbwahrheit, die viel schlimmer ist, als ein einzelner Irrthum, gar nicht zu
retten. Von den römischen Heeren heißt es S. 334: "Bürgerheere waren es
wohl, weil jeder Bürger zugleich Krieger und zwar beständiger Krieger war,
nicht aber Milizheere in modernem Sinn, die sich kaum für eine wirksame
Defensive eignen. Im Gegensatze dazu waren die römischen Heere von Haus
aus auf den Angriff berechnet" -- folglich wird H. v. H. wohl Offensive
haben sagen wollen? S. 336 wurde eine Reihe von "Tugenden" so zusagen
"gezüchtet." "Zu diesen Tugenden darf man auch den Charakter allernieder-
trcichtigster Rechtssophisttk der Politik Roms in auswärtigen Angelegenheiten
rechnen."--"Wie ein Volk von Rittern und Edelmännern stehen die
Carthager ihnen gegenüber." Daneben werden doch einige erfreuliche Thatsachen
der römischen Geschichte gemeldet, z. B. i> I. 513 der Stadt spielte Livius An-
dronikus sein erstes Lustspiel, S15 ward Ennius aus Calabrien, der erste
römische Annalist in Versen, geboren. So werden denn die Römer all-
mälig zu einem großen Volk. "Diesem Volke genügten nicht mehr die kleinen
Ränke der alten sittenstrengen Römer" (S. 341): es ist die Zeit gemeint, welche
auf derselben Seite ein "Zeitalter der Geistesblüthe und gewaltiger Machtan¬
schwellung nach außen, neben bodenloser innerer Zerrüttung und tiefer De¬
moralisation nach innen" genannt wird: bei demselben Volke, demselben Rom,
wo man S. 338 bis zum ersten punischen Kriege "kein Brod, sondern nur
Mehlbrei aß" und "der Diktator wohl nackt vom Pfluge weg in die Schlacht
gerufen wurde." An Farben für jene Zeit fehlt es H. v. H. nicht: "Consule,
Prätoren und Feldherrn plünderten in den Provinzen; drei Jahre währte am
längsten ihre Amtsdauer, und sie dachten, wenn die Plünderung gut sein solle,
müsse sie auch rasch sein; den Magistraten in Rom und in den Provinzen
war alles Heilige feil:" "es gab nur noch einen üppigen Adel und einen
teuflischen Pöbel" S. 343. Es muß zu derselben Zeit gewesen sein, wo (ib.)
"die aus den eroberten Ländern hierher versetzten Sklaven die Latifundien
vermehrten und die Fruchtbarkeit des Bodens verminderten."
Das ist die böse Zeit des jugurthinischen Krieges ungefähr, von dem geschrieben
steht S. 347, daß er "nur dazu diente, für den Augenblick eine unvermeidliche
Explosion hinauszuschieben." Darnach kommt "der Sklavenaufstand": ,er
schloß angeblich mit Vertilgung einer Million solcher Fremdlinge, die in
Menge zur öffentlichen Belustigung den wilden Thieren in der Arena vorge¬
worfen wurden. Es folgte auf dem Fuße der Aufstand der italienischen Ver-


geht doch selbst noch über „die hereingebrochene Irreligiosität der unteren
Schichten, deren Skepticismus das Theater erweiterte", ja selbst über „den
crasser, allerdings die Wahrheit erkennenden Atheismus der Niederen." Soviel
von Rom im Allgemeinen. Wo der Culturhistoriker auf Einzelheiten kommt,
wissen wir uns vor Widersprüchen, groben Sprachfehlern und jener Sorte von
Halbwahrheit, die viel schlimmer ist, als ein einzelner Irrthum, gar nicht zu
retten. Von den römischen Heeren heißt es S. 334: „Bürgerheere waren es
wohl, weil jeder Bürger zugleich Krieger und zwar beständiger Krieger war,
nicht aber Milizheere in modernem Sinn, die sich kaum für eine wirksame
Defensive eignen. Im Gegensatze dazu waren die römischen Heere von Haus
aus auf den Angriff berechnet" — folglich wird H. v. H. wohl Offensive
haben sagen wollen? S. 336 wurde eine Reihe von „Tugenden" so zusagen
„gezüchtet." „Zu diesen Tugenden darf man auch den Charakter allernieder-
trcichtigster Rechtssophisttk der Politik Roms in auswärtigen Angelegenheiten
rechnen."--„Wie ein Volk von Rittern und Edelmännern stehen die
Carthager ihnen gegenüber." Daneben werden doch einige erfreuliche Thatsachen
der römischen Geschichte gemeldet, z. B. i> I. 513 der Stadt spielte Livius An-
dronikus sein erstes Lustspiel, S15 ward Ennius aus Calabrien, der erste
römische Annalist in Versen, geboren. So werden denn die Römer all-
mälig zu einem großen Volk. „Diesem Volke genügten nicht mehr die kleinen
Ränke der alten sittenstrengen Römer" (S. 341): es ist die Zeit gemeint, welche
auf derselben Seite ein „Zeitalter der Geistesblüthe und gewaltiger Machtan¬
schwellung nach außen, neben bodenloser innerer Zerrüttung und tiefer De¬
moralisation nach innen" genannt wird: bei demselben Volke, demselben Rom,
wo man S. 338 bis zum ersten punischen Kriege „kein Brod, sondern nur
Mehlbrei aß" und „der Diktator wohl nackt vom Pfluge weg in die Schlacht
gerufen wurde." An Farben für jene Zeit fehlt es H. v. H. nicht: „Consule,
Prätoren und Feldherrn plünderten in den Provinzen; drei Jahre währte am
längsten ihre Amtsdauer, und sie dachten, wenn die Plünderung gut sein solle,
müsse sie auch rasch sein; den Magistraten in Rom und in den Provinzen
war alles Heilige feil:" „es gab nur noch einen üppigen Adel und einen
teuflischen Pöbel" S. 343. Es muß zu derselben Zeit gewesen sein, wo (ib.)
„die aus den eroberten Ländern hierher versetzten Sklaven die Latifundien
vermehrten und die Fruchtbarkeit des Bodens verminderten."
Das ist die böse Zeit des jugurthinischen Krieges ungefähr, von dem geschrieben
steht S. 347, daß er „nur dazu diente, für den Augenblick eine unvermeidliche
Explosion hinauszuschieben." Darnach kommt „der Sklavenaufstand": ,er
schloß angeblich mit Vertilgung einer Million solcher Fremdlinge, die in
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/133>, abgerufen am 21.10.2024.