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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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ficht gekommenen Besprechungen vorzugsweise halten, ist bekannt genug. Er
kennzeichnet sich durch die unzählige Male auf diesen 800 Seiten wieder¬
kehrende Trivialität, welche freilich die darwinistische Schule wie eine ganz neue
Weisheit verkündet, daß Alles auf der Welt mit natürlichen Dingen zuge¬
gangen sei; sowie dadurch, daß der Verfasser die Worte Sittlichkeit oder Tugend
oder Recht u. s. w. nur mit Anführungszeichen gebraucht oder wie S. 507,
wo er von "Zeiten der ärgsten Seelenlosigkeit" spricht, für nothwendig hält
in einer Anmerkung hinzuzusetzen, daß dieß nur "nach dem heutigen land¬
läufigen Begriffe" gesprochen sei. In dem rohen Ausdruck Kampf ums
Dasein glaubt er die Lösung aller Räthsel gefunden. Es gibt nur Ein Recht'
das Recht des Stärkeren, "der schlaue Schwindler, der den ehrlichen Dumm¬
kopf betrügt, übt sein Recht des Stärkeren" (S. 704) und "die Gewalt bleibt
immer die ultiwa ratio rerum" (sie S. 797); es gibt nur Eine Wahrheit,
welche "David Strauß Namens eines kleinen Kreises denkender Menschen
verkündete" (S. 517. 790), und die Gegner derselben werden kurzweg als
eine Meute bezeichnet. Ueberall wird mit "Nonsense", mit "beschränkter
Philologenschule", mit "Humanitätsheuchelei" u. s. f. operirt. daß es nur
so eine Art hat; selbst ein Th. Buckle, der doch sonst in den Augen der
monistischen Orthodoxie einige Gnade .finden sollte, wird S. 512 als "ein
neuerer, vielfach nachgebeteter Schriftsteller" abgethan und muß sich von einem
Autor, dessen Quellenstudien wir sogleich kennen lernen werden, nachsagen
lassen, daß er "selten nur aus eigentlichen Quellen schöpfte, sondern zumeist
nur aus kompilirten Werken---kompilirt:" daher sich denn auch -- so
steht auf S. 713 wörtlich zu lesen, -- "die Hochgläubigkeit dieses
Buches (B.'s Geschichte der Civilisation) besonders in England schon ge¬
waltig abgekühlt habe."

Dem gegenüber stellen wir die Behauptung auf, daß der Verfasser dieser
Kulturgeschichte für diese seine Aufgabe über Nichts verfügt, als über eine
oberflächliche Lektüre eines großen Bücherhaufens, wie ihn der Zufall auf
einen Redactionstisch wirft; daß sein Buch in jeder der von ihm ohne alle
Methode ausgewählten Partien der Geschichte von den gröbsten Fehlern
wimmelt; daß seine Citate guten Theils auf Täuschung beruhen, oder wo
dieß nicht der Fall, ein werthloses Durcheinander, ohne alle und unter aller
Kritik sind; daß er von griechischer, römischer, mittelalterlicher Geschichte,
von Kirchengeschichte, Geschichte der Philosophie und allen den Hülfswissen-
schaften, auf welche sich ein so unermeßlich schwieriger Versuch, wie er ihn
unternommen, gründen muß. Nichts versteht, und daß endlich jede beliebigen
20 Seiten seines Buchs, mit der griechischen Geschichte zu beginnen, so von
groben Sprachfehlern voll sind, daß keine wissenschaftliche Prüfungskommission
an einem deutschen Gymnasium einen Abiturienten, der sich dergleichen zu


ficht gekommenen Besprechungen vorzugsweise halten, ist bekannt genug. Er
kennzeichnet sich durch die unzählige Male auf diesen 800 Seiten wieder¬
kehrende Trivialität, welche freilich die darwinistische Schule wie eine ganz neue
Weisheit verkündet, daß Alles auf der Welt mit natürlichen Dingen zuge¬
gangen sei; sowie dadurch, daß der Verfasser die Worte Sittlichkeit oder Tugend
oder Recht u. s. w. nur mit Anführungszeichen gebraucht oder wie S. 507,
wo er von „Zeiten der ärgsten Seelenlosigkeit" spricht, für nothwendig hält
in einer Anmerkung hinzuzusetzen, daß dieß nur „nach dem heutigen land¬
läufigen Begriffe" gesprochen sei. In dem rohen Ausdruck Kampf ums
Dasein glaubt er die Lösung aller Räthsel gefunden. Es gibt nur Ein Recht'
das Recht des Stärkeren, „der schlaue Schwindler, der den ehrlichen Dumm¬
kopf betrügt, übt sein Recht des Stärkeren" (S. 704) und „die Gewalt bleibt
immer die ultiwa ratio rerum" (sie S. 797); es gibt nur Eine Wahrheit,
welche „David Strauß Namens eines kleinen Kreises denkender Menschen
verkündete" (S. 517. 790), und die Gegner derselben werden kurzweg als
eine Meute bezeichnet. Ueberall wird mit „Nonsense", mit „beschränkter
Philologenschule", mit „Humanitätsheuchelei" u. s. f. operirt. daß es nur
so eine Art hat; selbst ein Th. Buckle, der doch sonst in den Augen der
monistischen Orthodoxie einige Gnade .finden sollte, wird S. 512 als „ein
neuerer, vielfach nachgebeteter Schriftsteller" abgethan und muß sich von einem
Autor, dessen Quellenstudien wir sogleich kennen lernen werden, nachsagen
lassen, daß er „selten nur aus eigentlichen Quellen schöpfte, sondern zumeist
nur aus kompilirten Werken---kompilirt:" daher sich denn auch — so
steht auf S. 713 wörtlich zu lesen, — „die Hochgläubigkeit dieses
Buches (B.'s Geschichte der Civilisation) besonders in England schon ge¬
waltig abgekühlt habe."

Dem gegenüber stellen wir die Behauptung auf, daß der Verfasser dieser
Kulturgeschichte für diese seine Aufgabe über Nichts verfügt, als über eine
oberflächliche Lektüre eines großen Bücherhaufens, wie ihn der Zufall auf
einen Redactionstisch wirft; daß sein Buch in jeder der von ihm ohne alle
Methode ausgewählten Partien der Geschichte von den gröbsten Fehlern
wimmelt; daß seine Citate guten Theils auf Täuschung beruhen, oder wo
dieß nicht der Fall, ein werthloses Durcheinander, ohne alle und unter aller
Kritik sind; daß er von griechischer, römischer, mittelalterlicher Geschichte,
von Kirchengeschichte, Geschichte der Philosophie und allen den Hülfswissen-
schaften, auf welche sich ein so unermeßlich schwieriger Versuch, wie er ihn
unternommen, gründen muß. Nichts versteht, und daß endlich jede beliebigen
20 Seiten seines Buchs, mit der griechischen Geschichte zu beginnen, so von
groben Sprachfehlern voll sind, daß keine wissenschaftliche Prüfungskommission
an einem deutschen Gymnasium einen Abiturienten, der sich dergleichen zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/130>, abgerufen am 19.10.2024.