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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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und der Streich müsse erst geführt werden, wenn man des Gelingens völlig
sicher sei."

Dieses Raisonnement drang durch, und im Ganzen ist bisjetzt darnach
gehandelt worden. Einige kleinere Aufstände abgerechnet, ist Bosnien bis
jetzt ruhig geblieben. Weder die Raja noch die böhmischen Muslime sind
seitdem in Masse wieder gegen die Pforte auftreten, obwohl die Zustände seit
1851 nicht besser geworden sind und der alte Druck, der auf den Christen
lastet, die alte Rechtlosigkeit in allem Wesentlichen fortdauerte, bis diese Ver<
Hältnisse die gegenwärtige Jnsurrection in der Herzegowina veranlaßten.
Glaubten die Führer, daß jetzt die Stunde geschlagen habe, den Streich zu
thun? Waren sie dessen sicher? Vielleicht von Belgrad oder Cettinje her? Wir
wissen es jetzt, sind nicht mehr geneigt, den Ausbruch nur für eine Regung der
Ungeduld über Schwererträgliches zu halten, und glauben mit Bestimmtheit,
daß in nicht ferner Zeit die Geschicke nicht blos der Herzegowina, sondern
ganz Bosniens eine Wendung nehmen werden, welche dem Lande die Selbst-
ständigkeit bringt. Nur mit dieser ist ihm gedient; denn nur mit dieser kann
der christlichen Mehrheit aus ihrer Noth und zu ihrem Rechte geholfen werden.
Alle Reformen der Pforte sind im besten Falle bloße Abschlagszahlungen
und wenig bedeutende Linderungen des Looses der Christen, und sie sind bis
jetzt nie ehrlich und gewissenhaft ausgeführt worden. Vollkommen gleiche
Stellung der Raja mit den Muslimen und Befreiung der ersteren von den
Frohnden und Abgaben, die sie schwerer als Plantagensklaven in Anspruch
nehmen, ist nicht möglich, ohne die Raja zu bewaffnen und würde die wenig
an Thätigkeit gewöhnten Herren derselben ruiniren, was eine muhamedanische
Regierung nicht wollen kann. Ein selbstständiges Bosnien, welches bei dem
Verhältniß der Zahl der Christen zu derjenigen der Muslime selbstverständlich
ein von Christen regiertes sein würde, brauchte in dem Maße nicht auf die
Nachkommen der Renegaten des fünfzehnten Jahrhunderts Rücksicht zu nehmen.
Sie müßten, in ihren Rechten zum Besten des Ganzen beschränkt, ihrer Vor¬
rechte entkleidet, arbeiten lernen wie ihre Volksgenossen, oder zu Grunde gehen,
oder aber sich entschließen, auszuwandern, wie die Türken aus Griechenland
und Serbien und die Tartaren aus der Krim und Massen von Tscherkessen
aus dem Kaukasus ausgewandert sind. Die Türkei hat in Asien noch un¬
geheure Strecken, wo sie diese biedern Turbanträger mit Vortheil ansiedeln
könnte.

Auch ein von diesem Element gesäubertes Bosnien würde in den ersten
Jahren seines Bestehens kein Musterstaat sein. Es würde uns durch seine
Entwickelung vermuthlich so wenig erfreuen, ja aller Wahrscheinlichkeit nach
noch weniger als Griechenland, Serbien und Rumänien. Es würde wie diese
Ländchen ein Spielball der Intriguen der kleinen Nachbarstaaten und der im


Grenzboten III. 1876. 14

und der Streich müsse erst geführt werden, wenn man des Gelingens völlig
sicher sei."

Dieses Raisonnement drang durch, und im Ganzen ist bisjetzt darnach
gehandelt worden. Einige kleinere Aufstände abgerechnet, ist Bosnien bis
jetzt ruhig geblieben. Weder die Raja noch die böhmischen Muslime sind
seitdem in Masse wieder gegen die Pforte auftreten, obwohl die Zustände seit
1851 nicht besser geworden sind und der alte Druck, der auf den Christen
lastet, die alte Rechtlosigkeit in allem Wesentlichen fortdauerte, bis diese Ver<
Hältnisse die gegenwärtige Jnsurrection in der Herzegowina veranlaßten.
Glaubten die Führer, daß jetzt die Stunde geschlagen habe, den Streich zu
thun? Waren sie dessen sicher? Vielleicht von Belgrad oder Cettinje her? Wir
wissen es jetzt, sind nicht mehr geneigt, den Ausbruch nur für eine Regung der
Ungeduld über Schwererträgliches zu halten, und glauben mit Bestimmtheit,
daß in nicht ferner Zeit die Geschicke nicht blos der Herzegowina, sondern
ganz Bosniens eine Wendung nehmen werden, welche dem Lande die Selbst-
ständigkeit bringt. Nur mit dieser ist ihm gedient; denn nur mit dieser kann
der christlichen Mehrheit aus ihrer Noth und zu ihrem Rechte geholfen werden.
Alle Reformen der Pforte sind im besten Falle bloße Abschlagszahlungen
und wenig bedeutende Linderungen des Looses der Christen, und sie sind bis
jetzt nie ehrlich und gewissenhaft ausgeführt worden. Vollkommen gleiche
Stellung der Raja mit den Muslimen und Befreiung der ersteren von den
Frohnden und Abgaben, die sie schwerer als Plantagensklaven in Anspruch
nehmen, ist nicht möglich, ohne die Raja zu bewaffnen und würde die wenig
an Thätigkeit gewöhnten Herren derselben ruiniren, was eine muhamedanische
Regierung nicht wollen kann. Ein selbstständiges Bosnien, welches bei dem
Verhältniß der Zahl der Christen zu derjenigen der Muslime selbstverständlich
ein von Christen regiertes sein würde, brauchte in dem Maße nicht auf die
Nachkommen der Renegaten des fünfzehnten Jahrhunderts Rücksicht zu nehmen.
Sie müßten, in ihren Rechten zum Besten des Ganzen beschränkt, ihrer Vor¬
rechte entkleidet, arbeiten lernen wie ihre Volksgenossen, oder zu Grunde gehen,
oder aber sich entschließen, auszuwandern, wie die Türken aus Griechenland
und Serbien und die Tartaren aus der Krim und Massen von Tscherkessen
aus dem Kaukasus ausgewandert sind. Die Türkei hat in Asien noch un¬
geheure Strecken, wo sie diese biedern Turbanträger mit Vortheil ansiedeln
könnte.

Auch ein von diesem Element gesäubertes Bosnien würde in den ersten
Jahren seines Bestehens kein Musterstaat sein. Es würde uns durch seine
Entwickelung vermuthlich so wenig erfreuen, ja aller Wahrscheinlichkeit nach
noch weniger als Griechenland, Serbien und Rumänien. Es würde wie diese
Ländchen ein Spielball der Intriguen der kleinen Nachbarstaaten und der im


Grenzboten III. 1876. 14
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/113>, abgerufen am 19.10.2024.