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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band.

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dritte Theil von ihnen, meist aus Nachkömmlingen des alten Adels des
Landes bestehend und Erbe von dessen Gütern und Privilegien, bekennt sich
zum Islam. Dieser muhamedanische Adel drückt mit seinen Privilegien
schwer auf die Raja, seine christlichen Stammgenossen, und wird in Folge
dessen von diesen ebenso gehaßt wie die Türken, welche in verhältnißmäßig
kleiner Zahl im Lande wohnen. Er haßt im Stillen die Türken gleichfalls,
weil sie von fremder Herkunft und weil sie von der Regierung begünstigte
Plebejer sind, verträgt sich aber in der Regel mit ihnen, weil nur im Berein
mit der Regierung die weit zahlreichere und, wie wir hier hinzufügen müssen,
von Montenegro und Serbien unterstützte Raja, die zugleich auf Rußland
hoffen darf, niedergehalten werden kann, und von deren Niederhaltung die
Behauptung seiner Vorrechte abhängt. Dieser Stand der Dinge war in
Konstantinopel wohlbekannt, und so legte man den fortwährenden Reibungen
zwischen den türkischen Wesiren und Paschas und den "Beratlije", den
privtlegirten Adeligen serbischer Nationalität, aber muhamedanischen Glau¬
bens, und den gelegentlichen Auflehnungen derselben gegen die Regierungs¬
beamten keine große Bedeutung bei. Man brauchte sich eben gegenseitig,
und wie eifersüchtig und gewaltthätig jene serbische Muslime auch ihre Bor¬
rechte den Statthaltern der Pforte gegenüber wahrten, dachten sie bis in die
neueste Zeit niemals an eine Losreißung von der Oberherrschaft der Sultane.
Sie leisteten im Nothfalle Kriegsdienste, zahlten aber keinerlei Abgaben.
Als die Pforte den "Nisami-Dschedid". die allgemeine Wehrpflicht für ihre
muhamedanischen Unterthanen, einführte, und ihnen zumuthete, dazu Rekruten
zu stellen, wiesen sie das von sich und widerstanden in nachdrücklichster Weise.
Als der Chatti-Sherif von Gülhane verkündet wurde, der die Christen mit
den Muslimen bis zu einem gewissen Grade gleichstellen wollte, erschien wie
bei allen Alttürken im Reiche auch bei den böhmischen Muhamedanern der
Widerstand dagegen als ein Gebot Gottes und zugleich der Selbsterhaltung, und
sie setzten sich mit aller Kraft dagegen zur Wehre. Ihre Vertheidigung war
erfolgreich, zumal die vom Divan eingesetzten Regenten der Provinz es im
Stillen mit der Opposition des Adels hielten. Bestechung that das Uebrige.
Zogen die Wesire und Paschas gegen die Insurgenten zu Felde, so ließen
sie sich, bisweilen ohne Bezahlung, häufiger für gutes Geld schlagen und
meldeten dann nach Stambul, sie könnten nichts ausrichten, was man ihnen
wohl oder übel glauben mußte. Kurz, die Beratlije behielten ihre Borrechte,
und für die Christen blieb Alles beim Alten.

Das Jahr 1849 schien in diese Lage der Verhältnisse einen Umschwung
bringen zu sollen. Das Gefühl, Serben zu sein und mit den Stammgenossen
in Montenegro, Serbien und Kroatien eine nationale Einheit zu bilden,
war auch unter dem muhamedanischen Adel wach geworden. Einzelne hatten


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dritte Theil von ihnen, meist aus Nachkömmlingen des alten Adels des
Landes bestehend und Erbe von dessen Gütern und Privilegien, bekennt sich
zum Islam. Dieser muhamedanische Adel drückt mit seinen Privilegien
schwer auf die Raja, seine christlichen Stammgenossen, und wird in Folge
dessen von diesen ebenso gehaßt wie die Türken, welche in verhältnißmäßig
kleiner Zahl im Lande wohnen. Er haßt im Stillen die Türken gleichfalls,
weil sie von fremder Herkunft und weil sie von der Regierung begünstigte
Plebejer sind, verträgt sich aber in der Regel mit ihnen, weil nur im Berein
mit der Regierung die weit zahlreichere und, wie wir hier hinzufügen müssen,
von Montenegro und Serbien unterstützte Raja, die zugleich auf Rußland
hoffen darf, niedergehalten werden kann, und von deren Niederhaltung die
Behauptung seiner Vorrechte abhängt. Dieser Stand der Dinge war in
Konstantinopel wohlbekannt, und so legte man den fortwährenden Reibungen
zwischen den türkischen Wesiren und Paschas und den „Beratlije", den
privtlegirten Adeligen serbischer Nationalität, aber muhamedanischen Glau¬
bens, und den gelegentlichen Auflehnungen derselben gegen die Regierungs¬
beamten keine große Bedeutung bei. Man brauchte sich eben gegenseitig,
und wie eifersüchtig und gewaltthätig jene serbische Muslime auch ihre Bor¬
rechte den Statthaltern der Pforte gegenüber wahrten, dachten sie bis in die
neueste Zeit niemals an eine Losreißung von der Oberherrschaft der Sultane.
Sie leisteten im Nothfalle Kriegsdienste, zahlten aber keinerlei Abgaben.
Als die Pforte den „Nisami-Dschedid". die allgemeine Wehrpflicht für ihre
muhamedanischen Unterthanen, einführte, und ihnen zumuthete, dazu Rekruten
zu stellen, wiesen sie das von sich und widerstanden in nachdrücklichster Weise.
Als der Chatti-Sherif von Gülhane verkündet wurde, der die Christen mit
den Muslimen bis zu einem gewissen Grade gleichstellen wollte, erschien wie
bei allen Alttürken im Reiche auch bei den böhmischen Muhamedanern der
Widerstand dagegen als ein Gebot Gottes und zugleich der Selbsterhaltung, und
sie setzten sich mit aller Kraft dagegen zur Wehre. Ihre Vertheidigung war
erfolgreich, zumal die vom Divan eingesetzten Regenten der Provinz es im
Stillen mit der Opposition des Adels hielten. Bestechung that das Uebrige.
Zogen die Wesire und Paschas gegen die Insurgenten zu Felde, so ließen
sie sich, bisweilen ohne Bezahlung, häufiger für gutes Geld schlagen und
meldeten dann nach Stambul, sie könnten nichts ausrichten, was man ihnen
wohl oder übel glauben mußte. Kurz, die Beratlije behielten ihre Borrechte,
und für die Christen blieb Alles beim Alten.

Das Jahr 1849 schien in diese Lage der Verhältnisse einen Umschwung
bringen zu sollen. Das Gefühl, Serben zu sein und mit den Stammgenossen
in Montenegro, Serbien und Kroatien eine nationale Einheit zu bilden,
war auch unter dem muhamedanischen Adel wach geworden. Einzelne hatten


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[0105] dritte Theil von ihnen, meist aus Nachkömmlingen des alten Adels des Landes bestehend und Erbe von dessen Gütern und Privilegien, bekennt sich zum Islam. Dieser muhamedanische Adel drückt mit seinen Privilegien schwer auf die Raja, seine christlichen Stammgenossen, und wird in Folge dessen von diesen ebenso gehaßt wie die Türken, welche in verhältnißmäßig kleiner Zahl im Lande wohnen. Er haßt im Stillen die Türken gleichfalls, weil sie von fremder Herkunft und weil sie von der Regierung begünstigte Plebejer sind, verträgt sich aber in der Regel mit ihnen, weil nur im Berein mit der Regierung die weit zahlreichere und, wie wir hier hinzufügen müssen, von Montenegro und Serbien unterstützte Raja, die zugleich auf Rußland hoffen darf, niedergehalten werden kann, und von deren Niederhaltung die Behauptung seiner Vorrechte abhängt. Dieser Stand der Dinge war in Konstantinopel wohlbekannt, und so legte man den fortwährenden Reibungen zwischen den türkischen Wesiren und Paschas und den „Beratlije", den privtlegirten Adeligen serbischer Nationalität, aber muhamedanischen Glau¬ bens, und den gelegentlichen Auflehnungen derselben gegen die Regierungs¬ beamten keine große Bedeutung bei. Man brauchte sich eben gegenseitig, und wie eifersüchtig und gewaltthätig jene serbische Muslime auch ihre Bor¬ rechte den Statthaltern der Pforte gegenüber wahrten, dachten sie bis in die neueste Zeit niemals an eine Losreißung von der Oberherrschaft der Sultane. Sie leisteten im Nothfalle Kriegsdienste, zahlten aber keinerlei Abgaben. Als die Pforte den „Nisami-Dschedid". die allgemeine Wehrpflicht für ihre muhamedanischen Unterthanen, einführte, und ihnen zumuthete, dazu Rekruten zu stellen, wiesen sie das von sich und widerstanden in nachdrücklichster Weise. Als der Chatti-Sherif von Gülhane verkündet wurde, der die Christen mit den Muslimen bis zu einem gewissen Grade gleichstellen wollte, erschien wie bei allen Alttürken im Reiche auch bei den böhmischen Muhamedanern der Widerstand dagegen als ein Gebot Gottes und zugleich der Selbsterhaltung, und sie setzten sich mit aller Kraft dagegen zur Wehre. Ihre Vertheidigung war erfolgreich, zumal die vom Divan eingesetzten Regenten der Provinz es im Stillen mit der Opposition des Adels hielten. Bestechung that das Uebrige. Zogen die Wesire und Paschas gegen die Insurgenten zu Felde, so ließen sie sich, bisweilen ohne Bezahlung, häufiger für gutes Geld schlagen und meldeten dann nach Stambul, sie könnten nichts ausrichten, was man ihnen wohl oder übel glauben mußte. Kurz, die Beratlije behielten ihre Borrechte, und für die Christen blieb Alles beim Alten. Das Jahr 1849 schien in diese Lage der Verhältnisse einen Umschwung bringen zu sollen. Das Gefühl, Serben zu sein und mit den Stammgenossen in Montenegro, Serbien und Kroatien eine nationale Einheit zu bilden, war auch unter dem muhamedanischen Adel wach geworden. Einzelne hatten Grenzboten III. 187«'.. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157684/105>, abgerufen am 19.10.2024.