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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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nach Hause kommen, ohne fürchten zu müssen, auf dem Wege beraubt zu
werden?"

"Räubereien auf unsrer Straße, Signorino?" rief Don Piddu aus. indem
sein Gesicht Erstaunen und zugleich verletztes Bewußtsein, eine Autorität zu
sein, ausdrückte. "Euer Excellenz kann in dieser Beziehung ganz ruhig sein.
Die Straße ist Tag und Nacht so sicher wie eine Kirche. Sie ist nur von
ehrlichen Leuten bewohnt, und ein Galantuomo, der in ihr residirt. hat durch¬
aus keine Gefahr zu fürchten."

"Ich bin erfreut, Sie das sagen zu hören, Don Piddu," erwiderte ich,
"und ich fragte nur, weil ich, da es geschehen kann, daß ich einmal spät
Abends nach Hause komme, Gewißheit zu haben wünschte, daß die Straße
sicher ist; vorzüglich, da die Terrasse auf der Straßenseite so niedrig ist, daß
in der Nacht sehr leicht sich jemand hinaufschwingen und in das Haus ein¬
brechen kann."

"In dieses Haus?" entgegnete der Barbier. "Wer wollte in diese Villa
einzudringen wagen? Zu Paulu ist hier Gärtner, und ich bediene den Patrone
und jetzt auch Euer Excellenz. Wer sollte da sich getrauen, einzubrechen?"

Wenn Don Piddu der Polizeimeister dieses Quartiers gewesen wäre, so
hätte er nicht zuversichtlicher sprechen können. Aber um ihn weiter auszu¬
horchen, sagte ich: "Was hat es für eine Bewandtniß mit jenen Vogelstim¬
men, die wir während der ganzen Nacht überall im Garten hören?"

Don Piddu sah mich mit einem pfiffigen Augenzwinkern an, dann sagte
er: "Der Signorino hat so lange in fremden Gegenden gelebt, daß er ganz
und gar vergessen hat, wie es in seinem Geburtslande zugeht. Das sind keine
Vögel, sondern die Picciotti. Unter dieser neuen Regierung haben sie die
Steuern so hinaufgeschraubt, und das Leben hat sich so vertheuert, daß die
armen Leute versuchen müssen, sich so gut durchzubringen als sie können, und
zu diesem Zwecke müssen sie auch des Nachts arbeiten."

"Aber kann ich ungestraft in meinem Garten spazieren gehen, wenn ich
diese Vogelstimmen höre?"

"Warum denn nicht, Signorino? Sie sind überall und zu allen Stunden
Herr. Nur thun Sie, wenn Sie 'was Ungewöhnliches hören, als ob Sie
taub wären, und wenn Sie jemand sich um den Garten herumdrücken sehen,
so stellen Sie sich blind. Ich versichere Ihnen, daß Sie dann hier so sicher
sein werden, als ob Sie in einem Mönchskloster wohnten."

Diese Unterhaltung beruhigte mich, dennoch aber war ich sehr neugierig,
zu erfahren, was für eine Art Arbeit während der Nacht in den verschiedenen
Gärten vorgenommen würde, denn in unregelmäßigen Zwischenräumen hörte
man die Lockrufe der Vögel allenthalben.

Eines schönen Herbstabends, als ich sie wiederholt in der Ferne und


nach Hause kommen, ohne fürchten zu müssen, auf dem Wege beraubt zu
werden?"

„Räubereien auf unsrer Straße, Signorino?" rief Don Piddu aus. indem
sein Gesicht Erstaunen und zugleich verletztes Bewußtsein, eine Autorität zu
sein, ausdrückte. „Euer Excellenz kann in dieser Beziehung ganz ruhig sein.
Die Straße ist Tag und Nacht so sicher wie eine Kirche. Sie ist nur von
ehrlichen Leuten bewohnt, und ein Galantuomo, der in ihr residirt. hat durch¬
aus keine Gefahr zu fürchten."

„Ich bin erfreut, Sie das sagen zu hören, Don Piddu," erwiderte ich,
„und ich fragte nur, weil ich, da es geschehen kann, daß ich einmal spät
Abends nach Hause komme, Gewißheit zu haben wünschte, daß die Straße
sicher ist; vorzüglich, da die Terrasse auf der Straßenseite so niedrig ist, daß
in der Nacht sehr leicht sich jemand hinaufschwingen und in das Haus ein¬
brechen kann."

„In dieses Haus?" entgegnete der Barbier. „Wer wollte in diese Villa
einzudringen wagen? Zu Paulu ist hier Gärtner, und ich bediene den Patrone
und jetzt auch Euer Excellenz. Wer sollte da sich getrauen, einzubrechen?"

Wenn Don Piddu der Polizeimeister dieses Quartiers gewesen wäre, so
hätte er nicht zuversichtlicher sprechen können. Aber um ihn weiter auszu¬
horchen, sagte ich: „Was hat es für eine Bewandtniß mit jenen Vogelstim¬
men, die wir während der ganzen Nacht überall im Garten hören?"

Don Piddu sah mich mit einem pfiffigen Augenzwinkern an, dann sagte
er: „Der Signorino hat so lange in fremden Gegenden gelebt, daß er ganz
und gar vergessen hat, wie es in seinem Geburtslande zugeht. Das sind keine
Vögel, sondern die Picciotti. Unter dieser neuen Regierung haben sie die
Steuern so hinaufgeschraubt, und das Leben hat sich so vertheuert, daß die
armen Leute versuchen müssen, sich so gut durchzubringen als sie können, und
zu diesem Zwecke müssen sie auch des Nachts arbeiten."

„Aber kann ich ungestraft in meinem Garten spazieren gehen, wenn ich
diese Vogelstimmen höre?"

„Warum denn nicht, Signorino? Sie sind überall und zu allen Stunden
Herr. Nur thun Sie, wenn Sie 'was Ungewöhnliches hören, als ob Sie
taub wären, und wenn Sie jemand sich um den Garten herumdrücken sehen,
so stellen Sie sich blind. Ich versichere Ihnen, daß Sie dann hier so sicher
sein werden, als ob Sie in einem Mönchskloster wohnten."

Diese Unterhaltung beruhigte mich, dennoch aber war ich sehr neugierig,
zu erfahren, was für eine Art Arbeit während der Nacht in den verschiedenen
Gärten vorgenommen würde, denn in unregelmäßigen Zwischenräumen hörte
man die Lockrufe der Vögel allenthalben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/68>, abgerufen am 27.11.2024.