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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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hatte man nur noch erschöpfte, außer Verband gekommene Truppen, nirgends
aber eine intacte Macht zur Verfügung. Man hatte es eben verstanden, so
geschickt zu disponiren, daß die Kräfte sich einzeln aufrieben und in einzelnen
Stößen und Anstrengungen verpufften. Schon um 2 Uhr gab Wimpffen alle
Hoffnung auf und entschloß sich zum Rückzug hinter den Mincio. Er mel"
bete dem Kaiser diesen Entschluß in folgender Weise: "Ich habe zweimal
die Offensive zu ergreifen gesucht und meine letzten Reserven dazu verwendet,
bin jedoch nicht länger im Stande festzuhalten und muß den Rückzug unter
Deckung durch das 11. Armeecorps antreten. Das 9. Armeecorps dirigire
ich gegen Goito, das 3. über Cerlungo nach Ferri, das 11. ebenfalls über
Goito nach Necabello. Ich bedaure I. M. kein anderes Resultat melden zu
können. Kavalleriedivision Zedtwitz ist mir ganz entkommen, indem sie seit
früh im Rückmarsch nach Goito begriffen ist, ohne Meldung darüber. Vom
2. Armeecorps ebenfalls keine Meldung. Ich lasse es eben aufsuchen und
dirigire es wo thunlich wieder nach Mantua." --

Hierzu sei bemerkt, daß die vom 2. Corps zum Marsch gegen Castel
Goffredo bestimmte Division Jellacic wegen Nachrichten über die Bewegun¬
gen des Prinzen Napoleon bei Mascaria stehen gegeblieben war. Aus den
Anstalten des Marschalls Canrobert über die ihm zugekommene Nachricht
von dem Vorgehen einer österreichischen Heeresabtheilung aus Mantua, wo¬
durch er die Unterstützung Niet's einige Zeit verzögerte, ist zu entnehmen,
welche Wirkung der Vormarsch der Division Jellacic gehabt hätte. Ver¬
muthlich würde Niet nur sehr wenig Hilfe von Canrobert erhalten haben.

Als die eben erwähnte Meldung des Grafen Wimpffen beim Kaiser ein¬
traf, welcher auf der Höhe von Cavriano hielt, war Solferino zwar bereits
verloren gegangen, aber in der Hoffnung, daß es doch der 1. Armee gelingen
werde, die wiederholt befohlene Offensive auszuführen, gab man den Tag
keineswegs auf; das 1. und 3. Armeecorps hatten nach langem und tapferen
Wiederstand zwar die vorgeschobene Stellung von Solferino verlassen müssen
und auch S. Cassiano, gegen welches sich der erste Stoß des in der Ebene
frei gewordenen Mac Mahon richtete, ward aufgegeben; aber der größte
Theil des 7. Corps stand noch zur Verfügung, auf das S. war auch zu
rechnen; Benedek hatte bei San Martino die Piemontesen zurückgeschlagen und
wenn die 1. Armee doch noch vordrang, konnte die Lage der Franzosen
immerhin kritisch werden. Der Kaiser befahl also dem Commandanten der
2. Armee, Grafen Schlick, seine Truppen auf den Höhen von Cavriano zu
sammeln und den Kampf auf das Nachdrücklichste fortzusetzen. Durch den
Verlust von Solferino war die rechte vorgeschobene Staffel -- die 2. Armee
-- in die Höhe der rückwärtigen Staffel -- 1. Armee zurückgegangen und
man konnte in einer neuen zusammenhängenden Gefechtslinie von Guidizzolo


hatte man nur noch erschöpfte, außer Verband gekommene Truppen, nirgends
aber eine intacte Macht zur Verfügung. Man hatte es eben verstanden, so
geschickt zu disponiren, daß die Kräfte sich einzeln aufrieben und in einzelnen
Stößen und Anstrengungen verpufften. Schon um 2 Uhr gab Wimpffen alle
Hoffnung auf und entschloß sich zum Rückzug hinter den Mincio. Er mel«
bete dem Kaiser diesen Entschluß in folgender Weise: „Ich habe zweimal
die Offensive zu ergreifen gesucht und meine letzten Reserven dazu verwendet,
bin jedoch nicht länger im Stande festzuhalten und muß den Rückzug unter
Deckung durch das 11. Armeecorps antreten. Das 9. Armeecorps dirigire
ich gegen Goito, das 3. über Cerlungo nach Ferri, das 11. ebenfalls über
Goito nach Necabello. Ich bedaure I. M. kein anderes Resultat melden zu
können. Kavalleriedivision Zedtwitz ist mir ganz entkommen, indem sie seit
früh im Rückmarsch nach Goito begriffen ist, ohne Meldung darüber. Vom
2. Armeecorps ebenfalls keine Meldung. Ich lasse es eben aufsuchen und
dirigire es wo thunlich wieder nach Mantua." —

Hierzu sei bemerkt, daß die vom 2. Corps zum Marsch gegen Castel
Goffredo bestimmte Division Jellacic wegen Nachrichten über die Bewegun¬
gen des Prinzen Napoleon bei Mascaria stehen gegeblieben war. Aus den
Anstalten des Marschalls Canrobert über die ihm zugekommene Nachricht
von dem Vorgehen einer österreichischen Heeresabtheilung aus Mantua, wo¬
durch er die Unterstützung Niet's einige Zeit verzögerte, ist zu entnehmen,
welche Wirkung der Vormarsch der Division Jellacic gehabt hätte. Ver¬
muthlich würde Niet nur sehr wenig Hilfe von Canrobert erhalten haben.

Als die eben erwähnte Meldung des Grafen Wimpffen beim Kaiser ein¬
traf, welcher auf der Höhe von Cavriano hielt, war Solferino zwar bereits
verloren gegangen, aber in der Hoffnung, daß es doch der 1. Armee gelingen
werde, die wiederholt befohlene Offensive auszuführen, gab man den Tag
keineswegs auf; das 1. und 3. Armeecorps hatten nach langem und tapferen
Wiederstand zwar die vorgeschobene Stellung von Solferino verlassen müssen
und auch S. Cassiano, gegen welches sich der erste Stoß des in der Ebene
frei gewordenen Mac Mahon richtete, ward aufgegeben; aber der größte
Theil des 7. Corps stand noch zur Verfügung, auf das S. war auch zu
rechnen; Benedek hatte bei San Martino die Piemontesen zurückgeschlagen und
wenn die 1. Armee doch noch vordrang, konnte die Lage der Franzosen
immerhin kritisch werden. Der Kaiser befahl also dem Commandanten der
2. Armee, Grafen Schlick, seine Truppen auf den Höhen von Cavriano zu
sammeln und den Kampf auf das Nachdrücklichste fortzusetzen. Durch den
Verlust von Solferino war die rechte vorgeschobene Staffel — die 2. Armee
— in die Höhe der rückwärtigen Staffel — 1. Armee zurückgegangen und
man konnte in einer neuen zusammenhängenden Gefechtslinie von Guidizzolo


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/504>, abgerufen am 27.11.2024.