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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Der Bericht des Generalstabes legt die Schuld des Mißerfolges wesentlich
der vom F. Z. M. Grafen Wimpffen geführten 1. Armee zur Last und sicher
nicht mit Unrecht. Nach der ganzen Sachlage mußte die 2. Armee in den
guten Defensivstellungen auf den Höhen den Feind aufhalten, während die
1. Armee durch eine energische Offensive in der Ebene dessen rechte Flanke
aufrollte. Dann war eine Niederlage der Franzosen unvermeidlich. Statt
dessen geschah fast das Gegentheil. Die 1. Armee ward von den Franzosen
am Vormarsche verhindert und nach Verlust der wichtigen Stützpunkte bei
Rebecco. Balle und Casanuova mehr und mehr gegen Guidizzolo zurückge¬
drängt und als dann die 2. Armee die Höhen von Solferino und S. Cassiano
aufgeben mußte, ward der allgemeine Rückzug bald unvermeidlich, da die
Stellung von Cavriano nur mit Erfolg zu halten war, wenn der eigene
linke Flügel -- also die 1. Armee -- in offensiver Weise dem Centrum Luft
machte und dadurch den rechten Flügel der Franzosen bedrohte.

Die Leitung der Schlacht aus Seite der 1. Armee war im hohen Grade
mangelhaft und zeigt eine Reihe von Mißgriffen und Unterlassungen. Als
sich des Morgens deutlich erkennen ließ, daß der Feind in vollem Vorrücken
begriffen sei, wurden die eigenen Truppen nur allmälig vorgeführt und man
wählte zunächst Medole als Hauptobject, wodurch man sogar Gefahr lief, die
wichtige Verbindung mit dem eigenen Centrum zu schwächen. Erst durch
den späteren kaiserlichen Befehl war die Angriffsrüstung endgiltig -- gegen
Castiglione delle Riviere -- corrigirt. Statt die Truppen rasch vorzuziehen, deren
Aufmarsch unter dem Schutz eines mit Ausdauer genährten Avantgardenge¬
fechts zu vollziehen und sodann einen kräftigen Stoß mit concentrirter Kraft
zu führen, wurden zunächst die Brigaden des 9. Korps auf der langen Front
von der Straße Medole-Goito bis zur Straße Castiglione-Guidiozzolo verein¬
zelt entwickelt und erschöpften ihre Kraft in einer Reihe von Theilgefechten.
Der Ort Medole ging des Morgens gleich verloren, obwohl er von zwei
Bataillonen mit rühmenswerther Tapferkeit gegen Uebermacht vertheidigt
wurde. Aber die bei Medole liegende Reserve-Kavallerie des Grafen Zedtwitz
ritt ohne Verzug bis Goito zurück, weil ihr Führer nirgends ein passendes
Terrain für die Verwendung seiner Reiter zu finden glaubte. Das 3. Korps
rückte nun allmälig zur Reserve des 9. in die Linie ein, weil die Furcht von
dem Feinde in der Flanke genommen zu werden, wie ein Alp auf dem Grasen
Wimpffen und seinem Stab lag und ihn zu einigen Maßregeln veranlaßte.
Das 11. Korps aber war nur langsam vorgezogen. Nirgends zeigte sich ein
richtiger Offensivgedanken. Im kaiserlichen Hauptquartier hatte man freilich
schon um 10 Uhr Vormittags dem Grafen Wimpffen den dringenden Befehl
zugesendet, "mit der ganzen I. Armee in der Richtung gegen Castiglione
vorzurücken, um das bei Solferino von den Franzosen angegriffene Centrum


Der Bericht des Generalstabes legt die Schuld des Mißerfolges wesentlich
der vom F. Z. M. Grafen Wimpffen geführten 1. Armee zur Last und sicher
nicht mit Unrecht. Nach der ganzen Sachlage mußte die 2. Armee in den
guten Defensivstellungen auf den Höhen den Feind aufhalten, während die
1. Armee durch eine energische Offensive in der Ebene dessen rechte Flanke
aufrollte. Dann war eine Niederlage der Franzosen unvermeidlich. Statt
dessen geschah fast das Gegentheil. Die 1. Armee ward von den Franzosen
am Vormarsche verhindert und nach Verlust der wichtigen Stützpunkte bei
Rebecco. Balle und Casanuova mehr und mehr gegen Guidizzolo zurückge¬
drängt und als dann die 2. Armee die Höhen von Solferino und S. Cassiano
aufgeben mußte, ward der allgemeine Rückzug bald unvermeidlich, da die
Stellung von Cavriano nur mit Erfolg zu halten war, wenn der eigene
linke Flügel — also die 1. Armee — in offensiver Weise dem Centrum Luft
machte und dadurch den rechten Flügel der Franzosen bedrohte.

Die Leitung der Schlacht aus Seite der 1. Armee war im hohen Grade
mangelhaft und zeigt eine Reihe von Mißgriffen und Unterlassungen. Als
sich des Morgens deutlich erkennen ließ, daß der Feind in vollem Vorrücken
begriffen sei, wurden die eigenen Truppen nur allmälig vorgeführt und man
wählte zunächst Medole als Hauptobject, wodurch man sogar Gefahr lief, die
wichtige Verbindung mit dem eigenen Centrum zu schwächen. Erst durch
den späteren kaiserlichen Befehl war die Angriffsrüstung endgiltig — gegen
Castiglione delle Riviere — corrigirt. Statt die Truppen rasch vorzuziehen, deren
Aufmarsch unter dem Schutz eines mit Ausdauer genährten Avantgardenge¬
fechts zu vollziehen und sodann einen kräftigen Stoß mit concentrirter Kraft
zu führen, wurden zunächst die Brigaden des 9. Korps auf der langen Front
von der Straße Medole-Goito bis zur Straße Castiglione-Guidiozzolo verein¬
zelt entwickelt und erschöpften ihre Kraft in einer Reihe von Theilgefechten.
Der Ort Medole ging des Morgens gleich verloren, obwohl er von zwei
Bataillonen mit rühmenswerther Tapferkeit gegen Uebermacht vertheidigt
wurde. Aber die bei Medole liegende Reserve-Kavallerie des Grafen Zedtwitz
ritt ohne Verzug bis Goito zurück, weil ihr Führer nirgends ein passendes
Terrain für die Verwendung seiner Reiter zu finden glaubte. Das 3. Korps
rückte nun allmälig zur Reserve des 9. in die Linie ein, weil die Furcht von
dem Feinde in der Flanke genommen zu werden, wie ein Alp auf dem Grasen
Wimpffen und seinem Stab lag und ihn zu einigen Maßregeln veranlaßte.
Das 11. Korps aber war nur langsam vorgezogen. Nirgends zeigte sich ein
richtiger Offensivgedanken. Im kaiserlichen Hauptquartier hatte man freilich
schon um 10 Uhr Vormittags dem Grafen Wimpffen den dringenden Befehl
zugesendet, „mit der ganzen I. Armee in der Richtung gegen Castiglione
vorzurücken, um das bei Solferino von den Franzosen angegriffene Centrum


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[0502] Der Bericht des Generalstabes legt die Schuld des Mißerfolges wesentlich der vom F. Z. M. Grafen Wimpffen geführten 1. Armee zur Last und sicher nicht mit Unrecht. Nach der ganzen Sachlage mußte die 2. Armee in den guten Defensivstellungen auf den Höhen den Feind aufhalten, während die 1. Armee durch eine energische Offensive in der Ebene dessen rechte Flanke aufrollte. Dann war eine Niederlage der Franzosen unvermeidlich. Statt dessen geschah fast das Gegentheil. Die 1. Armee ward von den Franzosen am Vormarsche verhindert und nach Verlust der wichtigen Stützpunkte bei Rebecco. Balle und Casanuova mehr und mehr gegen Guidizzolo zurückge¬ drängt und als dann die 2. Armee die Höhen von Solferino und S. Cassiano aufgeben mußte, ward der allgemeine Rückzug bald unvermeidlich, da die Stellung von Cavriano nur mit Erfolg zu halten war, wenn der eigene linke Flügel — also die 1. Armee — in offensiver Weise dem Centrum Luft machte und dadurch den rechten Flügel der Franzosen bedrohte. Die Leitung der Schlacht aus Seite der 1. Armee war im hohen Grade mangelhaft und zeigt eine Reihe von Mißgriffen und Unterlassungen. Als sich des Morgens deutlich erkennen ließ, daß der Feind in vollem Vorrücken begriffen sei, wurden die eigenen Truppen nur allmälig vorgeführt und man wählte zunächst Medole als Hauptobject, wodurch man sogar Gefahr lief, die wichtige Verbindung mit dem eigenen Centrum zu schwächen. Erst durch den späteren kaiserlichen Befehl war die Angriffsrüstung endgiltig — gegen Castiglione delle Riviere — corrigirt. Statt die Truppen rasch vorzuziehen, deren Aufmarsch unter dem Schutz eines mit Ausdauer genährten Avantgardenge¬ fechts zu vollziehen und sodann einen kräftigen Stoß mit concentrirter Kraft zu führen, wurden zunächst die Brigaden des 9. Korps auf der langen Front von der Straße Medole-Goito bis zur Straße Castiglione-Guidiozzolo verein¬ zelt entwickelt und erschöpften ihre Kraft in einer Reihe von Theilgefechten. Der Ort Medole ging des Morgens gleich verloren, obwohl er von zwei Bataillonen mit rühmenswerther Tapferkeit gegen Uebermacht vertheidigt wurde. Aber die bei Medole liegende Reserve-Kavallerie des Grafen Zedtwitz ritt ohne Verzug bis Goito zurück, weil ihr Führer nirgends ein passendes Terrain für die Verwendung seiner Reiter zu finden glaubte. Das 3. Korps rückte nun allmälig zur Reserve des 9. in die Linie ein, weil die Furcht von dem Feinde in der Flanke genommen zu werden, wie ein Alp auf dem Grasen Wimpffen und seinem Stab lag und ihn zu einigen Maßregeln veranlaßte. Das 11. Korps aber war nur langsam vorgezogen. Nirgends zeigte sich ein richtiger Offensivgedanken. Im kaiserlichen Hauptquartier hatte man freilich schon um 10 Uhr Vormittags dem Grafen Wimpffen den dringenden Befehl zugesendet, „mit der ganzen I. Armee in der Richtung gegen Castiglione vorzurücken, um das bei Solferino von den Franzosen angegriffene Centrum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/502>, abgerufen am 23.11.2024.