Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nämlich, wenn er aus einem Menschen oder einem Hause vertrieben werden
soll, stets an einen bestimmten Ort verbannt werden, und da spießt man ihn
oft auf dürre Grashalme oder Binsen. Auf jedem Dinkelkorn ist ein Mutter¬
gottesbild zu sehen, sagt man in Schwaben. Betrachtet man ein solches der
Länge nach, so eikennt man deutlich Marien mit ihrem Mantel und dem
Jesuskinde. Deshalb hat Dinkelbrot auch besondere Kraft: es schützt nament¬
lich vor Heren, und wenn ein Jäger drei Stückchen davon mit ins Gewehr
ladet, kann ihm der Schuß nicht gebannt werden. Aehnliche Eigenschaft hat
die Anemone in Tirol, wo sie Haselmünich heißt. Ihre Wurzeln und Blätter
werden als "Hexenrauch", d. h. zur Räucherung gegen Zaubervolk, gebraucht.

Wer in Passeier eine Alpenrose bei sich trägt, von dem sagt man, er
habe den Blitz zu fürchten; deshalb heißt jene auch die Donnerrose. Aus
der Burgeiser Alpe wachsen weiße Alpenrosen, die aber nur von unschuldigen
Leuten gesehen werden können. Der Finder einer solchen Wunderblume muß
sich vor Bethörung in Acht nehmen. Er darf den Blick von derselben nicht
eher abwenden, als bis er sie mit seinem Hut oder Tuch bedeckt hat, und
dann muß er sofort an der Stelle nachgraben. Thut er dies, so wird er
unter der Rosenstaude einen Schatz finden und ihn heben können.

Ein in der Oberpfalz und im tiroler Jnnthal vorkommender Volks¬
glaube legt einer jetzt von Niemand mehr gekannten, aber immer noch vor¬
kommenden Pflanze eine selbständig, also ohne Zuthun des Menschen wirkende
bösartige Zauberkraft bei. Wer unversehens auf eine "Jrrwurzel" tritt,
kann sich in Wald und Bergen nicht mehr zurecht finden und muß oft tage¬
lang herumirren, und dagegen hilft kein Segen und Gebet. Weiße Johannis-
blumen (Kuhaugen) gelten in Westphalen, zu einem Thee abgekocht, für be¬
sonders heilsam, wenn jemand sich durch Heben Schaden gethan hat.


"Orant und weiße Heid
Thun dem Satan viel Leid,"

lautet ein westphälischer Zauberspruch gegen den Koller der Pferde, und in
einem großen Theile Norddeutschlands gilt der Orant oder Dorant für ein
Schutzmittel gegen kinderstehlende Zwerge. Mit der Wurzel des Alrauns
(NimöraMra), welche Menschengestalt hat, kann man nach allgemeinem
Aberglauben allerlei schwarze Kunst treiben und dadurch reich werden.

Kein Mensch weiß, wo die Spring Wurzel wächst, und wie sie aus¬
sieht. Von ihrer Kraft aber hat der Aberglaube allenthalben Erstaunliches
zu berichten. Ihre Haupteigenschaft besteht darin, daß man mit ihr alle
Knoten, Schlösser und Riegel öffnen kann. In Schwaben aber macht sie
zugleich hieb- und schußfest und wohl auch unsichtbar, da man hier von
einem dreisten Diebe, den man nicht ertappen kann, zu sagen pflegt: "D^
muß eine Springwurzel haben." Man verschafft sie sich aus verschiedene Art-


nämlich, wenn er aus einem Menschen oder einem Hause vertrieben werden
soll, stets an einen bestimmten Ort verbannt werden, und da spießt man ihn
oft auf dürre Grashalme oder Binsen. Auf jedem Dinkelkorn ist ein Mutter¬
gottesbild zu sehen, sagt man in Schwaben. Betrachtet man ein solches der
Länge nach, so eikennt man deutlich Marien mit ihrem Mantel und dem
Jesuskinde. Deshalb hat Dinkelbrot auch besondere Kraft: es schützt nament¬
lich vor Heren, und wenn ein Jäger drei Stückchen davon mit ins Gewehr
ladet, kann ihm der Schuß nicht gebannt werden. Aehnliche Eigenschaft hat
die Anemone in Tirol, wo sie Haselmünich heißt. Ihre Wurzeln und Blätter
werden als „Hexenrauch", d. h. zur Räucherung gegen Zaubervolk, gebraucht.

Wer in Passeier eine Alpenrose bei sich trägt, von dem sagt man, er
habe den Blitz zu fürchten; deshalb heißt jene auch die Donnerrose. Aus
der Burgeiser Alpe wachsen weiße Alpenrosen, die aber nur von unschuldigen
Leuten gesehen werden können. Der Finder einer solchen Wunderblume muß
sich vor Bethörung in Acht nehmen. Er darf den Blick von derselben nicht
eher abwenden, als bis er sie mit seinem Hut oder Tuch bedeckt hat, und
dann muß er sofort an der Stelle nachgraben. Thut er dies, so wird er
unter der Rosenstaude einen Schatz finden und ihn heben können.

Ein in der Oberpfalz und im tiroler Jnnthal vorkommender Volks¬
glaube legt einer jetzt von Niemand mehr gekannten, aber immer noch vor¬
kommenden Pflanze eine selbständig, also ohne Zuthun des Menschen wirkende
bösartige Zauberkraft bei. Wer unversehens auf eine „Jrrwurzel" tritt,
kann sich in Wald und Bergen nicht mehr zurecht finden und muß oft tage¬
lang herumirren, und dagegen hilft kein Segen und Gebet. Weiße Johannis-
blumen (Kuhaugen) gelten in Westphalen, zu einem Thee abgekocht, für be¬
sonders heilsam, wenn jemand sich durch Heben Schaden gethan hat.


„Orant und weiße Heid
Thun dem Satan viel Leid,"

lautet ein westphälischer Zauberspruch gegen den Koller der Pferde, und in
einem großen Theile Norddeutschlands gilt der Orant oder Dorant für ein
Schutzmittel gegen kinderstehlende Zwerge. Mit der Wurzel des Alrauns
(NimöraMra), welche Menschengestalt hat, kann man nach allgemeinem
Aberglauben allerlei schwarze Kunst treiben und dadurch reich werden.

Kein Mensch weiß, wo die Spring Wurzel wächst, und wie sie aus¬
sieht. Von ihrer Kraft aber hat der Aberglaube allenthalben Erstaunliches
zu berichten. Ihre Haupteigenschaft besteht darin, daß man mit ihr alle
Knoten, Schlösser und Riegel öffnen kann. In Schwaben aber macht sie
zugleich hieb- und schußfest und wohl auch unsichtbar, da man hier von
einem dreisten Diebe, den man nicht ertappen kann, zu sagen pflegt: „D^
muß eine Springwurzel haben." Man verschafft sie sich aus verschiedene Art-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0494" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/136075"/>
          <p xml:id="ID_1629" prev="#ID_1628"> nämlich, wenn er aus einem Menschen oder einem Hause vertrieben werden<lb/>
soll, stets an einen bestimmten Ort verbannt werden, und da spießt man ihn<lb/>
oft auf dürre Grashalme oder Binsen. Auf jedem Dinkelkorn ist ein Mutter¬<lb/>
gottesbild zu sehen, sagt man in Schwaben. Betrachtet man ein solches der<lb/>
Länge nach, so eikennt man deutlich Marien mit ihrem Mantel und dem<lb/>
Jesuskinde. Deshalb hat Dinkelbrot auch besondere Kraft: es schützt nament¬<lb/>
lich vor Heren, und wenn ein Jäger drei Stückchen davon mit ins Gewehr<lb/>
ladet, kann ihm der Schuß nicht gebannt werden. Aehnliche Eigenschaft hat<lb/>
die Anemone in Tirol, wo sie Haselmünich heißt. Ihre Wurzeln und Blätter<lb/>
werden als &#x201E;Hexenrauch", d. h. zur Räucherung gegen Zaubervolk, gebraucht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1630"> Wer in Passeier eine Alpenrose bei sich trägt, von dem sagt man, er<lb/>
habe den Blitz zu fürchten; deshalb heißt jene auch die Donnerrose. Aus<lb/>
der Burgeiser Alpe wachsen weiße Alpenrosen, die aber nur von unschuldigen<lb/>
Leuten gesehen werden können. Der Finder einer solchen Wunderblume muß<lb/>
sich vor Bethörung in Acht nehmen. Er darf den Blick von derselben nicht<lb/>
eher abwenden, als bis er sie mit seinem Hut oder Tuch bedeckt hat, und<lb/>
dann muß er sofort an der Stelle nachgraben. Thut er dies, so wird er<lb/>
unter der Rosenstaude einen Schatz finden und ihn heben können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1631"> Ein in der Oberpfalz und im tiroler Jnnthal vorkommender Volks¬<lb/>
glaube legt einer jetzt von Niemand mehr gekannten, aber immer noch vor¬<lb/>
kommenden Pflanze eine selbständig, also ohne Zuthun des Menschen wirkende<lb/>
bösartige Zauberkraft bei. Wer unversehens auf eine &#x201E;Jrrwurzel" tritt,<lb/>
kann sich in Wald und Bergen nicht mehr zurecht finden und muß oft tage¬<lb/>
lang herumirren, und dagegen hilft kein Segen und Gebet. Weiße Johannis-<lb/>
blumen (Kuhaugen) gelten in Westphalen, zu einem Thee abgekocht, für be¬<lb/>
sonders heilsam, wenn jemand sich durch Heben Schaden gethan hat.</p><lb/>
          <quote> &#x201E;Orant und weiße Heid<lb/>
Thun dem Satan viel Leid,"</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1632"> lautet ein westphälischer Zauberspruch gegen den Koller der Pferde, und in<lb/>
einem großen Theile Norddeutschlands gilt der Orant oder Dorant für ein<lb/>
Schutzmittel gegen kinderstehlende Zwerge. Mit der Wurzel des Alrauns<lb/>
(NimöraMra), welche Menschengestalt hat, kann man nach allgemeinem<lb/>
Aberglauben allerlei schwarze Kunst treiben und dadurch reich werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1633" next="#ID_1634"> Kein Mensch weiß, wo die Spring Wurzel wächst, und wie sie aus¬<lb/>
sieht. Von ihrer Kraft aber hat der Aberglaube allenthalben Erstaunliches<lb/>
zu berichten. Ihre Haupteigenschaft besteht darin, daß man mit ihr alle<lb/>
Knoten, Schlösser und Riegel öffnen kann. In Schwaben aber macht sie<lb/>
zugleich hieb- und schußfest und wohl auch unsichtbar, da man hier von<lb/>
einem dreisten Diebe, den man nicht ertappen kann, zu sagen pflegt: &#x201E;D^<lb/>
muß eine Springwurzel haben."  Man verschafft sie sich aus verschiedene Art-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0494] nämlich, wenn er aus einem Menschen oder einem Hause vertrieben werden soll, stets an einen bestimmten Ort verbannt werden, und da spießt man ihn oft auf dürre Grashalme oder Binsen. Auf jedem Dinkelkorn ist ein Mutter¬ gottesbild zu sehen, sagt man in Schwaben. Betrachtet man ein solches der Länge nach, so eikennt man deutlich Marien mit ihrem Mantel und dem Jesuskinde. Deshalb hat Dinkelbrot auch besondere Kraft: es schützt nament¬ lich vor Heren, und wenn ein Jäger drei Stückchen davon mit ins Gewehr ladet, kann ihm der Schuß nicht gebannt werden. Aehnliche Eigenschaft hat die Anemone in Tirol, wo sie Haselmünich heißt. Ihre Wurzeln und Blätter werden als „Hexenrauch", d. h. zur Räucherung gegen Zaubervolk, gebraucht. Wer in Passeier eine Alpenrose bei sich trägt, von dem sagt man, er habe den Blitz zu fürchten; deshalb heißt jene auch die Donnerrose. Aus der Burgeiser Alpe wachsen weiße Alpenrosen, die aber nur von unschuldigen Leuten gesehen werden können. Der Finder einer solchen Wunderblume muß sich vor Bethörung in Acht nehmen. Er darf den Blick von derselben nicht eher abwenden, als bis er sie mit seinem Hut oder Tuch bedeckt hat, und dann muß er sofort an der Stelle nachgraben. Thut er dies, so wird er unter der Rosenstaude einen Schatz finden und ihn heben können. Ein in der Oberpfalz und im tiroler Jnnthal vorkommender Volks¬ glaube legt einer jetzt von Niemand mehr gekannten, aber immer noch vor¬ kommenden Pflanze eine selbständig, also ohne Zuthun des Menschen wirkende bösartige Zauberkraft bei. Wer unversehens auf eine „Jrrwurzel" tritt, kann sich in Wald und Bergen nicht mehr zurecht finden und muß oft tage¬ lang herumirren, und dagegen hilft kein Segen und Gebet. Weiße Johannis- blumen (Kuhaugen) gelten in Westphalen, zu einem Thee abgekocht, für be¬ sonders heilsam, wenn jemand sich durch Heben Schaden gethan hat. „Orant und weiße Heid Thun dem Satan viel Leid," lautet ein westphälischer Zauberspruch gegen den Koller der Pferde, und in einem großen Theile Norddeutschlands gilt der Orant oder Dorant für ein Schutzmittel gegen kinderstehlende Zwerge. Mit der Wurzel des Alrauns (NimöraMra), welche Menschengestalt hat, kann man nach allgemeinem Aberglauben allerlei schwarze Kunst treiben und dadurch reich werden. Kein Mensch weiß, wo die Spring Wurzel wächst, und wie sie aus¬ sieht. Von ihrer Kraft aber hat der Aberglaube allenthalben Erstaunliches zu berichten. Ihre Haupteigenschaft besteht darin, daß man mit ihr alle Knoten, Schlösser und Riegel öffnen kann. In Schwaben aber macht sie zugleich hieb- und schußfest und wohl auch unsichtbar, da man hier von einem dreisten Diebe, den man nicht ertappen kann, zu sagen pflegt: „D^ muß eine Springwurzel haben." Man verschafft sie sich aus verschiedene Art-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/494
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/494>, abgerufen am 28.07.2024.