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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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sie augenblicklich todt. Im Widerspruche mit diesem weitverbreiteten Volks¬
glauben steht die Meinung der Tiroler Bauern, daß unter Haselsträuchen,
auf denen eine Mistel wächst, der Haselwurm, eine kleine weiße Schlange,
wohne, der sich von den Haselnußblättern nähre, in die er runde Löcherchen
beiße. Wer ihn fängt und bei sich trägt oder ihn ißt, erhält große Zauber¬
kräfte: er kann sich unsichtbar machen, sieht die Schätze "blühen" oder "bren¬
nen" und hört die Kräuter reden, wozu sie gut seien. Endlich liefert die
Haselstaude die besten Wünschelruthen. Sie sind gabelförmige Zweige,
die in Schlesien auch von der Weide, in Mecklenburg vom Kreuzdorn ge¬
nommen werden können. Sie müssen in der Johannismitternacht, in Tirol
am neuen Sonntage, in Schwaben in der Osterfeiertagsnacht Punct zwölf
Uhr geschnitten werden und zwar in Tirol mit einem bis dahin noch nicht
gebrauchten Messer und so, daß man rücklings auf den Strauch zugeht, die
Ruthen zwischen den Beinen durchzieht und sie unter Beschwörungsformeln,
gewöhnlich unter Nennung der drei höchsten Namen (Vater, Sohn und heili¬
ger Geist) vorn abschneidet. In katholischen Gegenden Schwabens wird die
Wünschelruthe dadurch zauberkräftiger gemacht, daß man eine Messe über sie
lesen läßt. In der Lausitz, der Mark, im Harze und in Mecklenburg steckt
man sie in das Kleid eines Täuflings und läßt sie auf diese Weise mitlaufen.
In Tirol tauft man sie selbst auf den Namen der heiligen drei Könige.
Soll sie zum Suchen von Goldadern verwendet werden, so erhält sie den
Namen Kaspar, ist sie zum Aufspüren von Silber bestimmt, so wird sie Bal-
thasar genannt, soll sie endlich nur Wasser auffinden, so bekommt sie Sanct
Melchior zum Namenspatron. In der Lausitz und der Mark giebt man ihr
Aehnlichkeit mit der Menschengestalt, wobei die Gabel die Beine vorstellt.
Man braucht sie so, daß man die Enden der Gabel mit den Fingerspitzen
anfaßt und die Ruthe horizontal vor sich hinhaltend und die Worte: "Wün¬
schelruthe, ich spreche Dich an im Namen des Vaters, des Sohnes und des
heiligen Geistes" murmelnd, an der Stelle hin und her geht, wo man eine
Erzader, einen Schatz oder Wasser vermuthet. Auf jene Beschwörung hebt
sich die Ruthe und schlägt da an, wo das Gesuchte zu finden ist. Die
Zauberruthe hat im Lauenburgischen auch die Kraft, den die Schätze be¬
wachenden Teufel zu bannen und verschlossene Thüren zu öffnen.

Eine in der Johannisnacht abgeschnittene Haselgerte besitzt, wie man in
manchen norddeutschen Gegenden glaubt, die Eigenschaft, daß man mit ihr
einen Abwesenden prügeln kann, wenn man dessen Namen dazu nennt. In
Schwaben, wo diese Gerten am Charfreitag vor Sonnenaufgang "unbeschrien,"
h- so, daß man von Niemand dabei angeredet wird, geschnitten werden
müssen, zieht man bei Gebrauch der Zaubergerte eins von seinen Kleidungs¬
stücken aus und schlägt daraus, indem man an den Abwesenden denkt, dem


sie augenblicklich todt. Im Widerspruche mit diesem weitverbreiteten Volks¬
glauben steht die Meinung der Tiroler Bauern, daß unter Haselsträuchen,
auf denen eine Mistel wächst, der Haselwurm, eine kleine weiße Schlange,
wohne, der sich von den Haselnußblättern nähre, in die er runde Löcherchen
beiße. Wer ihn fängt und bei sich trägt oder ihn ißt, erhält große Zauber¬
kräfte: er kann sich unsichtbar machen, sieht die Schätze „blühen" oder „bren¬
nen" und hört die Kräuter reden, wozu sie gut seien. Endlich liefert die
Haselstaude die besten Wünschelruthen. Sie sind gabelförmige Zweige,
die in Schlesien auch von der Weide, in Mecklenburg vom Kreuzdorn ge¬
nommen werden können. Sie müssen in der Johannismitternacht, in Tirol
am neuen Sonntage, in Schwaben in der Osterfeiertagsnacht Punct zwölf
Uhr geschnitten werden und zwar in Tirol mit einem bis dahin noch nicht
gebrauchten Messer und so, daß man rücklings auf den Strauch zugeht, die
Ruthen zwischen den Beinen durchzieht und sie unter Beschwörungsformeln,
gewöhnlich unter Nennung der drei höchsten Namen (Vater, Sohn und heili¬
ger Geist) vorn abschneidet. In katholischen Gegenden Schwabens wird die
Wünschelruthe dadurch zauberkräftiger gemacht, daß man eine Messe über sie
lesen läßt. In der Lausitz, der Mark, im Harze und in Mecklenburg steckt
man sie in das Kleid eines Täuflings und läßt sie auf diese Weise mitlaufen.
In Tirol tauft man sie selbst auf den Namen der heiligen drei Könige.
Soll sie zum Suchen von Goldadern verwendet werden, so erhält sie den
Namen Kaspar, ist sie zum Aufspüren von Silber bestimmt, so wird sie Bal-
thasar genannt, soll sie endlich nur Wasser auffinden, so bekommt sie Sanct
Melchior zum Namenspatron. In der Lausitz und der Mark giebt man ihr
Aehnlichkeit mit der Menschengestalt, wobei die Gabel die Beine vorstellt.
Man braucht sie so, daß man die Enden der Gabel mit den Fingerspitzen
anfaßt und die Ruthe horizontal vor sich hinhaltend und die Worte: „Wün¬
schelruthe, ich spreche Dich an im Namen des Vaters, des Sohnes und des
heiligen Geistes" murmelnd, an der Stelle hin und her geht, wo man eine
Erzader, einen Schatz oder Wasser vermuthet. Auf jene Beschwörung hebt
sich die Ruthe und schlägt da an, wo das Gesuchte zu finden ist. Die
Zauberruthe hat im Lauenburgischen auch die Kraft, den die Schätze be¬
wachenden Teufel zu bannen und verschlossene Thüren zu öffnen.

Eine in der Johannisnacht abgeschnittene Haselgerte besitzt, wie man in
manchen norddeutschen Gegenden glaubt, die Eigenschaft, daß man mit ihr
einen Abwesenden prügeln kann, wenn man dessen Namen dazu nennt. In
Schwaben, wo diese Gerten am Charfreitag vor Sonnenaufgang „unbeschrien,"
h- so, daß man von Niemand dabei angeredet wird, geschnitten werden
müssen, zieht man bei Gebrauch der Zaubergerte eins von seinen Kleidungs¬
stücken aus und schlägt daraus, indem man an den Abwesenden denkt, dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/491>, abgerufen am 24.11.2024.