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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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auf. Wieder Andere gaben ihren Kühen, um sie vor Bezauberung und
Schlangenbiß zu schützen, Stengel der Ochsenzunge (duglossa) zu fressen.
Sehr vornehme Kräuter, die zu Allerlei gut sind und in Tirol bei keinem
Weihbüschel fehlen dürfen, sind Wermuth. Wohlgemuth und Mutterkraut
(til'^saiMöinuin MrtKenium). Hexenkraut (oiroaeg, lutotiavs.) gilt unter
hessischen wie unter schlesischen Landleuten als sicherer Schutz gegen allen
bösen Zauber. Zu gleichem Zwecke sowie als Mittel zur Verhütung von
Krankheiten wird, offenbar wegen der kreuzförmigen Stellung der Dornen,
die in vorchristlicher Zeit an Donar's Rune mahnte, der Kreuzdorn (rdamims
LÄtKartieus) angewendet.

Die Johanniswurzel, welche die Wurzel des bekannten Farrenkrautes
(potz^oäium iilix was) ist, wird bei Vtehkrankheiten, als deren Ursache Be¬
hexung angenommen wird, und zur Gewinnung von Reichthum angewendet.
Sie hat nichts mit dem später zu erwähnenden Farrensamen oder Faarsamen
gemein. Johannisblut (8cLl<zraiMuL) in der Mittagsstunde gesammelt, ist
zu vielen Dingen gut. Eine erfurter Sage berichtet, daß, als einst ein dor¬
tiger Bürger mit dem Schwerte hingerichtet werden sollte, der Scharfrichter
zu ihm sprach: "Ich höre, daß Du fest bist, darum rathe ich Dir, mache
Dir und mir keine Mühe und Ungelegenheit." Da antwortete der arme
Sünder: "Ja, es ist wahr, siehe hier steckt es unter meinem rechten Arme, nimm
es hin." Da nahm es der Scharfrichter, und als er steh's besah, war es
getrocknetes Sanct Johannisblut. "Es ist ein Wunderding mit dieser Blüthe.
Man suche sie, wenn man will, so wird sie gar nicht gefunden, als Mittags
zwischen 11 und 12 Uhr."

Eine nach verschiedenen Richtungen wichtige Pflanze ist die Königs¬
kerze (Verbascum tkapsitorme), die in Tirol Himmelbrand heißt. Am
Himmelbrand erkennt man den zeitig oder spät zu erwartenden Eintritt des
Winters. Steht ein Blüthenkränzchen tief am Stengel, so bedeutet das
frühen Schnee. Folgen auf eine Blüthenreihe wieder Blätter, so wird es
nach dem ersten Schneefall lange nicht schneien. Stehen erst am Ende des
Stengels Blüthen, so wird es erst gegen Frühlingsanfang hin Schnee geben.
Wenn in Ostpreußen dem Bauer ein Angehöriger oder ein Stück Vieh krank
ist, so geht er nach Sonnenuntergang hinaus, knickt eine Königskerze nach
Osten hin um und bittet dabei, daß sie die verlorene Gesundheit wieder verleihen
wolle. In Kärnthen bedeutet eine Königskerze, die auf einem Grabhügel
wächst, daß die Seele des Verstorbenen sich im Fegefeuer befindet. Im Etsch-
thale gehört der Htmmelbrand zu den Weihekräutern. Wenn im Oetzthal
einer Bäuerin das Butterfaß behext ist, sodaß sie trotz aller Anstrengung
aus der Milch keine Butter gewinnen kann, so legt sie einen Stengel Himmel'
brant unter das Gefäß, und der Zauber ist gelöst.


auf. Wieder Andere gaben ihren Kühen, um sie vor Bezauberung und
Schlangenbiß zu schützen, Stengel der Ochsenzunge (duglossa) zu fressen.
Sehr vornehme Kräuter, die zu Allerlei gut sind und in Tirol bei keinem
Weihbüschel fehlen dürfen, sind Wermuth. Wohlgemuth und Mutterkraut
(til'^saiMöinuin MrtKenium). Hexenkraut (oiroaeg, lutotiavs.) gilt unter
hessischen wie unter schlesischen Landleuten als sicherer Schutz gegen allen
bösen Zauber. Zu gleichem Zwecke sowie als Mittel zur Verhütung von
Krankheiten wird, offenbar wegen der kreuzförmigen Stellung der Dornen,
die in vorchristlicher Zeit an Donar's Rune mahnte, der Kreuzdorn (rdamims
LÄtKartieus) angewendet.

Die Johanniswurzel, welche die Wurzel des bekannten Farrenkrautes
(potz^oäium iilix was) ist, wird bei Vtehkrankheiten, als deren Ursache Be¬
hexung angenommen wird, und zur Gewinnung von Reichthum angewendet.
Sie hat nichts mit dem später zu erwähnenden Farrensamen oder Faarsamen
gemein. Johannisblut (8cLl<zraiMuL) in der Mittagsstunde gesammelt, ist
zu vielen Dingen gut. Eine erfurter Sage berichtet, daß, als einst ein dor¬
tiger Bürger mit dem Schwerte hingerichtet werden sollte, der Scharfrichter
zu ihm sprach: „Ich höre, daß Du fest bist, darum rathe ich Dir, mache
Dir und mir keine Mühe und Ungelegenheit." Da antwortete der arme
Sünder: „Ja, es ist wahr, siehe hier steckt es unter meinem rechten Arme, nimm
es hin." Da nahm es der Scharfrichter, und als er steh's besah, war es
getrocknetes Sanct Johannisblut. „Es ist ein Wunderding mit dieser Blüthe.
Man suche sie, wenn man will, so wird sie gar nicht gefunden, als Mittags
zwischen 11 und 12 Uhr.«

Eine nach verschiedenen Richtungen wichtige Pflanze ist die Königs¬
kerze (Verbascum tkapsitorme), die in Tirol Himmelbrand heißt. Am
Himmelbrand erkennt man den zeitig oder spät zu erwartenden Eintritt des
Winters. Steht ein Blüthenkränzchen tief am Stengel, so bedeutet das
frühen Schnee. Folgen auf eine Blüthenreihe wieder Blätter, so wird es
nach dem ersten Schneefall lange nicht schneien. Stehen erst am Ende des
Stengels Blüthen, so wird es erst gegen Frühlingsanfang hin Schnee geben.
Wenn in Ostpreußen dem Bauer ein Angehöriger oder ein Stück Vieh krank
ist, so geht er nach Sonnenuntergang hinaus, knickt eine Königskerze nach
Osten hin um und bittet dabei, daß sie die verlorene Gesundheit wieder verleihen
wolle. In Kärnthen bedeutet eine Königskerze, die auf einem Grabhügel
wächst, daß die Seele des Verstorbenen sich im Fegefeuer befindet. Im Etsch-
thale gehört der Htmmelbrand zu den Weihekräutern. Wenn im Oetzthal
einer Bäuerin das Butterfaß behext ist, sodaß sie trotz aller Anstrengung
aus der Milch keine Butter gewinnen kann, so legt sie einen Stengel Himmel'
brant unter das Gefäß, und der Zauber ist gelöst.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/488>, abgerufen am 27.11.2024.