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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Er wird immer als leuchtendes Vorbild für opfermuthige Pflichterfüllung im
Dienste des Vaterlandes gelten. Männer von ausgezeichneter Gelehrsamkeit
und großer Selbständigkeit wissenschaftlicher Forschung hat Deutschland alle¬
zeit besessen. Aber nicht immer in großer Zahl Männer von größter Selbst-
ständigkeit und UnVerzagtheit des Wollens und Handelns, von unbeug¬
samen Freimuth; nicht immer Männer, welche offen verkündeten, was sie als
Recht erkannten, auch wenn Fürst und Regierung das Unrecht wollten; nicht
immer Männer, welche mit Einsetzung ihrer ganzen persönlichen Existenz für
Recht und Gesetz eintraten. Zu diesen wenigen Auserwählten zählte Albrecht.
Ja mehr als das: er war der Ersten einer, welche in Deutschland den kate¬
gorischen Imperativ praktisch übten und darum ist es heilige Pflicht, bei
seinem Tode an sein Leben und Wirken zu erinnern.

Wilhelm Eduard Albrecht war am 4. März 1800 in Elbing geboren.
Er stammte aus einer Familie, die bis dahin noch keinen Gelehrten hervor¬
gebracht hatte, sondern sich seit Generationen fast ausschließlich dem Handel
widmete. Voller Freude und Behagen sprach er allezeit vom Elternhause, von
dem tapfern Bürgersinn der Vaterstadt, ihrem eigenthümlichen preußischen
Wesen. Der stillen, weichen, sinnenden Natur des schwächlichen jungen
Mannes ist ein gelehrter Beruf wohl schon früh als Lebensziel erschienen;
aber außerordentlich schwer fiel ihm die Wahl der künftigen Berufsart.

Vor vierzehn Jahren, im Sommer 1862, als Albrecht mit seiner Gattin
und seinem Neffen zugleich mit dem Verfasser dieser Zeilen längere Zeit am
Brienzer See in Bönigen verweilte, hat er über seine Jugend und Studien-
zeit besonders eingehend gesprochen. Er betonte, wie spät erst ihm gelungen
sei, der Rechtswissenschaft irgend ein Interesse abzugewinnen. "Ich habe alle
meine Collegienhefte mit derselben Gänsefeder geschrieben", pflegte er zu sagen.
"Und diese war noch recht brauchbar, als ich die Universität verließ." Noch
in hohen Semestern hatte Albrecht zwischen Philosophie, Geschichte, Juris¬
prudenz keine endgültige Wahl getroffen. Selbst Eichhorn's gewaltiger Name
und fesselnder Vortrag ließ Albrecht lange kalt. Ein nahezu komischer Zufall
führte den Studenten endlich dem Meister des deutschen Rechtes persönlich
näher. Albrecht befreite seinen Lehrer von der Begegnung mit einem der
großen Bullenbeißer, welche damals die Herrn Studenten in die geweihten
Räume der ^.Jena inatsr mitzunehmen pflegten. Die Scene wurde von
Albrecht mit plastischer Deutlichkeit erzählt. Sie verschaffte ihm ein dauern¬
des Privatissimum bei Eichhorn, den intimsten Verkehr mit dem größten
Germanisten der Zeit, und eindringlich empfahl Eichhorn dem jungen Freunde
die academische Laufbahn, das eigene Specialfach: deutsches Staatsrecht und
Kirchenrecht, deutsche Rechtsgeschichte und deutsches Privatrecht als das für
Albrecht geeignetste Feld künftigen literarischen und academischen Wirkens.


Er wird immer als leuchtendes Vorbild für opfermuthige Pflichterfüllung im
Dienste des Vaterlandes gelten. Männer von ausgezeichneter Gelehrsamkeit
und großer Selbständigkeit wissenschaftlicher Forschung hat Deutschland alle¬
zeit besessen. Aber nicht immer in großer Zahl Männer von größter Selbst-
ständigkeit und UnVerzagtheit des Wollens und Handelns, von unbeug¬
samen Freimuth; nicht immer Männer, welche offen verkündeten, was sie als
Recht erkannten, auch wenn Fürst und Regierung das Unrecht wollten; nicht
immer Männer, welche mit Einsetzung ihrer ganzen persönlichen Existenz für
Recht und Gesetz eintraten. Zu diesen wenigen Auserwählten zählte Albrecht.
Ja mehr als das: er war der Ersten einer, welche in Deutschland den kate¬
gorischen Imperativ praktisch übten und darum ist es heilige Pflicht, bei
seinem Tode an sein Leben und Wirken zu erinnern.

Wilhelm Eduard Albrecht war am 4. März 1800 in Elbing geboren.
Er stammte aus einer Familie, die bis dahin noch keinen Gelehrten hervor¬
gebracht hatte, sondern sich seit Generationen fast ausschließlich dem Handel
widmete. Voller Freude und Behagen sprach er allezeit vom Elternhause, von
dem tapfern Bürgersinn der Vaterstadt, ihrem eigenthümlichen preußischen
Wesen. Der stillen, weichen, sinnenden Natur des schwächlichen jungen
Mannes ist ein gelehrter Beruf wohl schon früh als Lebensziel erschienen;
aber außerordentlich schwer fiel ihm die Wahl der künftigen Berufsart.

Vor vierzehn Jahren, im Sommer 1862, als Albrecht mit seiner Gattin
und seinem Neffen zugleich mit dem Verfasser dieser Zeilen längere Zeit am
Brienzer See in Bönigen verweilte, hat er über seine Jugend und Studien-
zeit besonders eingehend gesprochen. Er betonte, wie spät erst ihm gelungen
sei, der Rechtswissenschaft irgend ein Interesse abzugewinnen. „Ich habe alle
meine Collegienhefte mit derselben Gänsefeder geschrieben", pflegte er zu sagen.
„Und diese war noch recht brauchbar, als ich die Universität verließ." Noch
in hohen Semestern hatte Albrecht zwischen Philosophie, Geschichte, Juris¬
prudenz keine endgültige Wahl getroffen. Selbst Eichhorn's gewaltiger Name
und fesselnder Vortrag ließ Albrecht lange kalt. Ein nahezu komischer Zufall
führte den Studenten endlich dem Meister des deutschen Rechtes persönlich
näher. Albrecht befreite seinen Lehrer von der Begegnung mit einem der
großen Bullenbeißer, welche damals die Herrn Studenten in die geweihten
Räume der ^.Jena inatsr mitzunehmen pflegten. Die Scene wurde von
Albrecht mit plastischer Deutlichkeit erzählt. Sie verschaffte ihm ein dauern¬
des Privatissimum bei Eichhorn, den intimsten Verkehr mit dem größten
Germanisten der Zeit, und eindringlich empfahl Eichhorn dem jungen Freunde
die academische Laufbahn, das eigene Specialfach: deutsches Staatsrecht und
Kirchenrecht, deutsche Rechtsgeschichte und deutsches Privatrecht als das für
Albrecht geeignetste Feld künftigen literarischen und academischen Wirkens.


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[0366] Er wird immer als leuchtendes Vorbild für opfermuthige Pflichterfüllung im Dienste des Vaterlandes gelten. Männer von ausgezeichneter Gelehrsamkeit und großer Selbständigkeit wissenschaftlicher Forschung hat Deutschland alle¬ zeit besessen. Aber nicht immer in großer Zahl Männer von größter Selbst- ständigkeit und UnVerzagtheit des Wollens und Handelns, von unbeug¬ samen Freimuth; nicht immer Männer, welche offen verkündeten, was sie als Recht erkannten, auch wenn Fürst und Regierung das Unrecht wollten; nicht immer Männer, welche mit Einsetzung ihrer ganzen persönlichen Existenz für Recht und Gesetz eintraten. Zu diesen wenigen Auserwählten zählte Albrecht. Ja mehr als das: er war der Ersten einer, welche in Deutschland den kate¬ gorischen Imperativ praktisch übten und darum ist es heilige Pflicht, bei seinem Tode an sein Leben und Wirken zu erinnern. Wilhelm Eduard Albrecht war am 4. März 1800 in Elbing geboren. Er stammte aus einer Familie, die bis dahin noch keinen Gelehrten hervor¬ gebracht hatte, sondern sich seit Generationen fast ausschließlich dem Handel widmete. Voller Freude und Behagen sprach er allezeit vom Elternhause, von dem tapfern Bürgersinn der Vaterstadt, ihrem eigenthümlichen preußischen Wesen. Der stillen, weichen, sinnenden Natur des schwächlichen jungen Mannes ist ein gelehrter Beruf wohl schon früh als Lebensziel erschienen; aber außerordentlich schwer fiel ihm die Wahl der künftigen Berufsart. Vor vierzehn Jahren, im Sommer 1862, als Albrecht mit seiner Gattin und seinem Neffen zugleich mit dem Verfasser dieser Zeilen längere Zeit am Brienzer See in Bönigen verweilte, hat er über seine Jugend und Studien- zeit besonders eingehend gesprochen. Er betonte, wie spät erst ihm gelungen sei, der Rechtswissenschaft irgend ein Interesse abzugewinnen. „Ich habe alle meine Collegienhefte mit derselben Gänsefeder geschrieben", pflegte er zu sagen. „Und diese war noch recht brauchbar, als ich die Universität verließ." Noch in hohen Semestern hatte Albrecht zwischen Philosophie, Geschichte, Juris¬ prudenz keine endgültige Wahl getroffen. Selbst Eichhorn's gewaltiger Name und fesselnder Vortrag ließ Albrecht lange kalt. Ein nahezu komischer Zufall führte den Studenten endlich dem Meister des deutschen Rechtes persönlich näher. Albrecht befreite seinen Lehrer von der Begegnung mit einem der großen Bullenbeißer, welche damals die Herrn Studenten in die geweihten Räume der ^.Jena inatsr mitzunehmen pflegten. Die Scene wurde von Albrecht mit plastischer Deutlichkeit erzählt. Sie verschaffte ihm ein dauern¬ des Privatissimum bei Eichhorn, den intimsten Verkehr mit dem größten Germanisten der Zeit, und eindringlich empfahl Eichhorn dem jungen Freunde die academische Laufbahn, das eigene Specialfach: deutsches Staatsrecht und Kirchenrecht, deutsche Rechtsgeschichte und deutsches Privatrecht als das für Albrecht geeignetste Feld künftigen literarischen und academischen Wirkens.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/366>, abgerufen am 27.11.2024.