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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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freundliche Gedanken wuchsen in guter alter Zeit selbst auf geweihten Stätten;
der Fluch: "Gott geb Dir Sankt Veltlin's Plag" hallt laut durch die Jahr¬
hunderte.

Von den Thälern um Savern ist besonders das Clausthal landschaft¬
lich bemerkenswerth durch seine schönen Wälder und culturgeschichtlich durch
die Art seiner Bewohnung. Vor langen Zeiten war Craufthal der Name
einer stolzen Abtei. deren Ursprung von einzelnen bis ins achte Jahrhundert
verlegt wird (?). Aber schon zu Zeiten Karl's V. ward sie vom Papste ausge¬
hoben und ihre Besitzungen waren es, die der pfälzische Kurfürst als Ent¬
schädigung für die Güter erhielt, mit denen er die hohe Schule zu Heidelberg
dotirte. Noch jetzt sieht man im Pfarrhausgarten die Mauerreste der alten
Kirche, die aber mit den niedrigen Fenstern nur wenig über das Erdreich
ragen. Auch einzelne Sculpturen aus jener Zeit sind gerettet.

Wenn das die alte historische Bedeutung des Namens war, so bezeichnet
er in unseren Tagen nicht mehr, als einen einsamer Weiler, dessen Hütten
sich arm und bang an die riesige Felswand lehnen. Ja ein Theil derselben
ist sogar völlig in den Felsen hineingebaut, dessen ausgehöhlte Tiefe als
Wohnraum dient, nur nach vorne liegt eine wirkliche Mauer mit Fenster und
Thüre vor. Der Rauch zieht häufig durch die offenen Fugen ins Freie.

Mehr als hundert Jahre bestehen bereits einzelne von diesen Häusern
und wenn sie uns auch den Kampf ums Dasein, die Noth des Lebens fast
schmerzlich vor die Seele führen, so zeigt uns derselbe Boden doch auch wieder
Gestalten, denen die Armuth in der sie leben weder Kraft noch Frohsinn
geraubt hat. Denn die Landschaft, die uns umgiebt, ist tiefer grüner Wald
und eine herkulische Arbeit ist es, welche die Holzfäller in diesen Thälern be¬
treiben. Unbewußt kommt damit ein Zug von eiserner Kraft und immer¬
grüner Frische in das Wesen der Leute und bei aller Härte, bei aller Müh¬
sal des täglichen Lebens liegt doch noch ein Zug von Poesie über diesem
Thun, den der bleiche Mann, der gebückt am Webstuhl sitzt oder der mit
walter Lampe in den Schacht fährt, niemals empfindet.

Hier aber hört jeder seine Axt in weiter Runde schallen, und herrscht
mit seiner Waffe, er sieht das Sonnenlicht in den Zweigen funkeln und hört
den Lockruf der Drossel -- und ob er auch selber noch so hart dienen muß,
so ist doch die Welt, in der er waltet, frei.

Acht, oft vierzehn Tage lang bleiben die Leute draußen bei ihrem Werk;
der sparsame Vorrath den sie mitgebracht reicht wohl so lange zur Erährung;
die Hütte von Tannenreis, die sie sich selbst gebaut, giebt ihnen ein
Williges Obdach und mit entschiedenem Stolz, mit jenem Selbstgefühl, das
allen Gebirgsstämmen eigen ist. blicken sie dann auf den Tagelöhner des
Dorfes oder vollends auf den Arbeiter im fabrikmäßigen Sinn hinab.


freundliche Gedanken wuchsen in guter alter Zeit selbst auf geweihten Stätten;
der Fluch: „Gott geb Dir Sankt Veltlin's Plag" hallt laut durch die Jahr¬
hunderte.

Von den Thälern um Savern ist besonders das Clausthal landschaft¬
lich bemerkenswerth durch seine schönen Wälder und culturgeschichtlich durch
die Art seiner Bewohnung. Vor langen Zeiten war Craufthal der Name
einer stolzen Abtei. deren Ursprung von einzelnen bis ins achte Jahrhundert
verlegt wird (?). Aber schon zu Zeiten Karl's V. ward sie vom Papste ausge¬
hoben und ihre Besitzungen waren es, die der pfälzische Kurfürst als Ent¬
schädigung für die Güter erhielt, mit denen er die hohe Schule zu Heidelberg
dotirte. Noch jetzt sieht man im Pfarrhausgarten die Mauerreste der alten
Kirche, die aber mit den niedrigen Fenstern nur wenig über das Erdreich
ragen. Auch einzelne Sculpturen aus jener Zeit sind gerettet.

Wenn das die alte historische Bedeutung des Namens war, so bezeichnet
er in unseren Tagen nicht mehr, als einen einsamer Weiler, dessen Hütten
sich arm und bang an die riesige Felswand lehnen. Ja ein Theil derselben
ist sogar völlig in den Felsen hineingebaut, dessen ausgehöhlte Tiefe als
Wohnraum dient, nur nach vorne liegt eine wirkliche Mauer mit Fenster und
Thüre vor. Der Rauch zieht häufig durch die offenen Fugen ins Freie.

Mehr als hundert Jahre bestehen bereits einzelne von diesen Häusern
und wenn sie uns auch den Kampf ums Dasein, die Noth des Lebens fast
schmerzlich vor die Seele führen, so zeigt uns derselbe Boden doch auch wieder
Gestalten, denen die Armuth in der sie leben weder Kraft noch Frohsinn
geraubt hat. Denn die Landschaft, die uns umgiebt, ist tiefer grüner Wald
und eine herkulische Arbeit ist es, welche die Holzfäller in diesen Thälern be¬
treiben. Unbewußt kommt damit ein Zug von eiserner Kraft und immer¬
grüner Frische in das Wesen der Leute und bei aller Härte, bei aller Müh¬
sal des täglichen Lebens liegt doch noch ein Zug von Poesie über diesem
Thun, den der bleiche Mann, der gebückt am Webstuhl sitzt oder der mit
walter Lampe in den Schacht fährt, niemals empfindet.

Hier aber hört jeder seine Axt in weiter Runde schallen, und herrscht
mit seiner Waffe, er sieht das Sonnenlicht in den Zweigen funkeln und hört
den Lockruf der Drossel — und ob er auch selber noch so hart dienen muß,
so ist doch die Welt, in der er waltet, frei.

Acht, oft vierzehn Tage lang bleiben die Leute draußen bei ihrem Werk;
der sparsame Vorrath den sie mitgebracht reicht wohl so lange zur Erährung;
die Hütte von Tannenreis, die sie sich selbst gebaut, giebt ihnen ein
Williges Obdach und mit entschiedenem Stolz, mit jenem Selbstgefühl, das
allen Gebirgsstämmen eigen ist. blicken sie dann auf den Tagelöhner des
Dorfes oder vollends auf den Arbeiter im fabrikmäßigen Sinn hinab.


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[0351] freundliche Gedanken wuchsen in guter alter Zeit selbst auf geweihten Stätten; der Fluch: „Gott geb Dir Sankt Veltlin's Plag" hallt laut durch die Jahr¬ hunderte. Von den Thälern um Savern ist besonders das Clausthal landschaft¬ lich bemerkenswerth durch seine schönen Wälder und culturgeschichtlich durch die Art seiner Bewohnung. Vor langen Zeiten war Craufthal der Name einer stolzen Abtei. deren Ursprung von einzelnen bis ins achte Jahrhundert verlegt wird (?). Aber schon zu Zeiten Karl's V. ward sie vom Papste ausge¬ hoben und ihre Besitzungen waren es, die der pfälzische Kurfürst als Ent¬ schädigung für die Güter erhielt, mit denen er die hohe Schule zu Heidelberg dotirte. Noch jetzt sieht man im Pfarrhausgarten die Mauerreste der alten Kirche, die aber mit den niedrigen Fenstern nur wenig über das Erdreich ragen. Auch einzelne Sculpturen aus jener Zeit sind gerettet. Wenn das die alte historische Bedeutung des Namens war, so bezeichnet er in unseren Tagen nicht mehr, als einen einsamer Weiler, dessen Hütten sich arm und bang an die riesige Felswand lehnen. Ja ein Theil derselben ist sogar völlig in den Felsen hineingebaut, dessen ausgehöhlte Tiefe als Wohnraum dient, nur nach vorne liegt eine wirkliche Mauer mit Fenster und Thüre vor. Der Rauch zieht häufig durch die offenen Fugen ins Freie. Mehr als hundert Jahre bestehen bereits einzelne von diesen Häusern und wenn sie uns auch den Kampf ums Dasein, die Noth des Lebens fast schmerzlich vor die Seele führen, so zeigt uns derselbe Boden doch auch wieder Gestalten, denen die Armuth in der sie leben weder Kraft noch Frohsinn geraubt hat. Denn die Landschaft, die uns umgiebt, ist tiefer grüner Wald und eine herkulische Arbeit ist es, welche die Holzfäller in diesen Thälern be¬ treiben. Unbewußt kommt damit ein Zug von eiserner Kraft und immer¬ grüner Frische in das Wesen der Leute und bei aller Härte, bei aller Müh¬ sal des täglichen Lebens liegt doch noch ein Zug von Poesie über diesem Thun, den der bleiche Mann, der gebückt am Webstuhl sitzt oder der mit walter Lampe in den Schacht fährt, niemals empfindet. Hier aber hört jeder seine Axt in weiter Runde schallen, und herrscht mit seiner Waffe, er sieht das Sonnenlicht in den Zweigen funkeln und hört den Lockruf der Drossel — und ob er auch selber noch so hart dienen muß, so ist doch die Welt, in der er waltet, frei. Acht, oft vierzehn Tage lang bleiben die Leute draußen bei ihrem Werk; der sparsame Vorrath den sie mitgebracht reicht wohl so lange zur Erährung; die Hütte von Tannenreis, die sie sich selbst gebaut, giebt ihnen ein Williges Obdach und mit entschiedenem Stolz, mit jenem Selbstgefühl, das allen Gebirgsstämmen eigen ist. blicken sie dann auf den Tagelöhner des Dorfes oder vollends auf den Arbeiter im fabrikmäßigen Sinn hinab.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/351>, abgerufen am 28.07.2024.