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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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eine Schätzung über die andere angelegt, ein neues Fündlein über das andere
erdacht wird, daß alte Leut und Kinder freien, daß Eltern ihre Kinder ver-
zärteln, die Kinder ihre Eltern betrüben, daß man geizt, praßt und schlam-
pamt, ja daß viele Leute sich ihrer Sünden und Schalkheit rühmen und das
heilige Ministerium verlachen und verachten, dann sehet eure Augen auf und
gedenkt: ksre eoinxlvta sse imqMas Lxieuraeorum, es wird bald Feierabend
werden, unser Gott wird bald allem gottlosen Wesen und Aergerniß steuern
und wehren." Im dritten Theil wiederholt er die Frage, ob jetzt nicht Alles
aufs Ende der Welt hindeute, und bejaht sie wieder mit einem Hinweis aus
die Schlechtigkeit derselben: "Ihr seht, wie man dem Pfennig nachstellt mit
Wuchern, Wechseln, falscher Waar. wie man Wein, Bier stäupet, rennet,
schmiert, wie sie die Leute beschweren und aussaugen, so sehet und höret ihr
auch, wie ein viehisch, sardanapalisch, epicurisch, cyklopisch, wildes, wüstes
Leben die Welt führt, wie man schwelgt, praßt, quaset, panketiret, wie viele
Leute der Gaben Gottes mißbrauchen, in sich gießen wie in einen Laugensack,
mehr zu sich nehmen, denn sie beherbergen können, und wie man dazu will
gelobt und gerühmt sein." -- "Etliche Unfläther lecken Salz, essen bittere
Mandeln, daß sie weidlich saufen können. Derohalben bewegt die herzliche
Vermahnung des Herrn, folget nicht dem großen Haufen, hütet euch vor
Geiz und Schwelgerei, bringt euch nicht selbst um euere Gesundheit und euer
Seelenheil und Seligkeit."

Man glaube nicht, daß solche Kanzelvortrage Ausnahmen waren, sie
sind vielmehr typisch für jene Tage, und man bedenke dazu, daß die Gemein¬
den, denen Derartiges gepredigt wurde, daneben Lieder sangen wie das be¬
kannte: "Ich bin ein wahres Rabenaas" oder wie ein anderes, welches ich
uoch in meiner Großmutter Gesangbuch fand, und welches gegen den Schluß
hin den Sünder mit der Drohung anfuhr:


"Du wirst vor Stank vergehen,
Wenn Du Dein Aas wirst sehen
Und fressen Koth im finstern Stall."

Freilich gingen daneben auch die herrlichen Lieder Paul Gerhard's und
ahnliche her. und diese werden häufig allein erbaut haben.

Ein Beispiel für die völlig unnützen Betrachtungen, die damals und
"och später nicht selten auf Kanzeln angestellt wurden, führt uns Calinich
w einer Predigt des meißener Superintendenten Georg Strigenitz über
den Propheten Jonas vor. Dieser Gottesmann der guten alten Zeit be¬
antwortet hier mit Ernst und Gründlichkeit die Fragen: 1) Wer dieser Jonas
gewesen, und woher er den Namen gehabt, 2) wem er angehört, und was er
für einen Vater gehabt? Im ersten Theil wird untersucht: a) die alte Opinion
von Jonas, d) was sein Name bedeute, e) wie er diesen Namen mit Recht


Grenzboten II. 1870. 43

eine Schätzung über die andere angelegt, ein neues Fündlein über das andere
erdacht wird, daß alte Leut und Kinder freien, daß Eltern ihre Kinder ver-
zärteln, die Kinder ihre Eltern betrüben, daß man geizt, praßt und schlam-
pamt, ja daß viele Leute sich ihrer Sünden und Schalkheit rühmen und das
heilige Ministerium verlachen und verachten, dann sehet eure Augen auf und
gedenkt: ksre eoinxlvta sse imqMas Lxieuraeorum, es wird bald Feierabend
werden, unser Gott wird bald allem gottlosen Wesen und Aergerniß steuern
und wehren." Im dritten Theil wiederholt er die Frage, ob jetzt nicht Alles
aufs Ende der Welt hindeute, und bejaht sie wieder mit einem Hinweis aus
die Schlechtigkeit derselben: „Ihr seht, wie man dem Pfennig nachstellt mit
Wuchern, Wechseln, falscher Waar. wie man Wein, Bier stäupet, rennet,
schmiert, wie sie die Leute beschweren und aussaugen, so sehet und höret ihr
auch, wie ein viehisch, sardanapalisch, epicurisch, cyklopisch, wildes, wüstes
Leben die Welt führt, wie man schwelgt, praßt, quaset, panketiret, wie viele
Leute der Gaben Gottes mißbrauchen, in sich gießen wie in einen Laugensack,
mehr zu sich nehmen, denn sie beherbergen können, und wie man dazu will
gelobt und gerühmt sein." — „Etliche Unfläther lecken Salz, essen bittere
Mandeln, daß sie weidlich saufen können. Derohalben bewegt die herzliche
Vermahnung des Herrn, folget nicht dem großen Haufen, hütet euch vor
Geiz und Schwelgerei, bringt euch nicht selbst um euere Gesundheit und euer
Seelenheil und Seligkeit."

Man glaube nicht, daß solche Kanzelvortrage Ausnahmen waren, sie
sind vielmehr typisch für jene Tage, und man bedenke dazu, daß die Gemein¬
den, denen Derartiges gepredigt wurde, daneben Lieder sangen wie das be¬
kannte: „Ich bin ein wahres Rabenaas" oder wie ein anderes, welches ich
uoch in meiner Großmutter Gesangbuch fand, und welches gegen den Schluß
hin den Sünder mit der Drohung anfuhr:


„Du wirst vor Stank vergehen,
Wenn Du Dein Aas wirst sehen
Und fressen Koth im finstern Stall."

Freilich gingen daneben auch die herrlichen Lieder Paul Gerhard's und
ahnliche her. und diese werden häufig allein erbaut haben.

Ein Beispiel für die völlig unnützen Betrachtungen, die damals und
"och später nicht selten auf Kanzeln angestellt wurden, führt uns Calinich
w einer Predigt des meißener Superintendenten Georg Strigenitz über
den Propheten Jonas vor. Dieser Gottesmann der guten alten Zeit be¬
antwortet hier mit Ernst und Gründlichkeit die Fragen: 1) Wer dieser Jonas
gewesen, und woher er den Namen gehabt, 2) wem er angehört, und was er
für einen Vater gehabt? Im ersten Theil wird untersucht: a) die alte Opinion
von Jonas, d) was sein Name bedeute, e) wie er diesen Namen mit Recht


Grenzboten II. 1870. 43
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[0341] eine Schätzung über die andere angelegt, ein neues Fündlein über das andere erdacht wird, daß alte Leut und Kinder freien, daß Eltern ihre Kinder ver- zärteln, die Kinder ihre Eltern betrüben, daß man geizt, praßt und schlam- pamt, ja daß viele Leute sich ihrer Sünden und Schalkheit rühmen und das heilige Ministerium verlachen und verachten, dann sehet eure Augen auf und gedenkt: ksre eoinxlvta sse imqMas Lxieuraeorum, es wird bald Feierabend werden, unser Gott wird bald allem gottlosen Wesen und Aergerniß steuern und wehren." Im dritten Theil wiederholt er die Frage, ob jetzt nicht Alles aufs Ende der Welt hindeute, und bejaht sie wieder mit einem Hinweis aus die Schlechtigkeit derselben: „Ihr seht, wie man dem Pfennig nachstellt mit Wuchern, Wechseln, falscher Waar. wie man Wein, Bier stäupet, rennet, schmiert, wie sie die Leute beschweren und aussaugen, so sehet und höret ihr auch, wie ein viehisch, sardanapalisch, epicurisch, cyklopisch, wildes, wüstes Leben die Welt führt, wie man schwelgt, praßt, quaset, panketiret, wie viele Leute der Gaben Gottes mißbrauchen, in sich gießen wie in einen Laugensack, mehr zu sich nehmen, denn sie beherbergen können, und wie man dazu will gelobt und gerühmt sein." — „Etliche Unfläther lecken Salz, essen bittere Mandeln, daß sie weidlich saufen können. Derohalben bewegt die herzliche Vermahnung des Herrn, folget nicht dem großen Haufen, hütet euch vor Geiz und Schwelgerei, bringt euch nicht selbst um euere Gesundheit und euer Seelenheil und Seligkeit." Man glaube nicht, daß solche Kanzelvortrage Ausnahmen waren, sie sind vielmehr typisch für jene Tage, und man bedenke dazu, daß die Gemein¬ den, denen Derartiges gepredigt wurde, daneben Lieder sangen wie das be¬ kannte: „Ich bin ein wahres Rabenaas" oder wie ein anderes, welches ich uoch in meiner Großmutter Gesangbuch fand, und welches gegen den Schluß hin den Sünder mit der Drohung anfuhr: „Du wirst vor Stank vergehen, Wenn Du Dein Aas wirst sehen Und fressen Koth im finstern Stall." Freilich gingen daneben auch die herrlichen Lieder Paul Gerhard's und ahnliche her. und diese werden häufig allein erbaut haben. Ein Beispiel für die völlig unnützen Betrachtungen, die damals und "och später nicht selten auf Kanzeln angestellt wurden, führt uns Calinich w einer Predigt des meißener Superintendenten Georg Strigenitz über den Propheten Jonas vor. Dieser Gottesmann der guten alten Zeit be¬ antwortet hier mit Ernst und Gründlichkeit die Fragen: 1) Wer dieser Jonas gewesen, und woher er den Namen gehabt, 2) wem er angehört, und was er für einen Vater gehabt? Im ersten Theil wird untersucht: a) die alte Opinion von Jonas, d) was sein Name bedeute, e) wie er diesen Namen mit Recht Grenzboten II. 1870. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/341>, abgerufen am 28.07.2024.