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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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Geltung zu verschaffen, und die in Irrthum befangene Welt, welche von der
Hierarchie seit undenklichen Zeiten geknechtet ist, zur neueren Ueberzeugung hin-
überzuleiten. Dazu gehört der ganze Mann der Wissenschaft, dessen be¬
währte Unerschrockenheit nicht hoch genug gewürdigt werden kann, wenn er,
wie hier, Front macht gegen die Vertheidiger des Cölibats, die in der That
nur Ideologen oder unklare, von klerikaler Herrschsucht erfüllte Ultramontane
sein können.

Trotzdem plaidirt der Verfasser treu seinem nach reiflicher Ueberlegung
gewonnenen Standpunkt für eine nur bedingungsweise Abschaffung des
Cölibats. Seine Gründe sind auch für uns, vom protestantischen Stand¬
punkte aus überzeugend, wenn er nach Maßgabe der vorausgegangenen
historischen Entwickelung folgende drei Sätze zur Annahme empfiehlt: 1. zum
Bischöfe ist nur ein unverheiratheter, beziehungsweise verwittweter Priester zu
weihen, der nur einmal verheirathet gewesen ist. Der Bischof, welcher hei-
rathet, hat sein Amt aufzugeben. 2. zu Priestern dürfen Personen geweiht
werden, welche in einer ersten Ehe leben. 3. Unverheirathete Priester dürfen
eine Ehe, jedoch nur einmal schließen.

Eine auch nur theilweise Abweichung von diesen Grundsätzen kann der
Verfasser nicht zugeben. Mit dem bloßen Anheimstellen, ob die einzelnen
Gemeinden einen verheiratheten Seelsorger haben wollen oder nicht, wird
nichts erreicht. Das Heil ruht, wie uns sehr richtig betont scheint, in der
Aufstellung und strengen Beobachtung einer allgemeinen Regel. Diese ist
zu ermöglichen. Denn wenn, wie in der anziehenden Schrift nachgewiesen
ist. der Cölibat bloß auf einem Gesetze beruht, das unleugbar aus pästlicher
Machtvollkommenheit abgeschafft werden kann, um die Ehe der Geistlichen zu
sanctioniren, so begreift man leicht, daß die Ehe der Geistlichen an sich ein
Unding nicht ist, wie dieselbe jetzt als solches gilt. Geht aber der Staat
in der Bekämpfung des Cölibats voran, der ja erst durch die Annahme des
Gesetzes jenes entweder direct aufrecht erhält oder doch wenigstens in seinen
Wirkungen für die Pfründen in Ausführung bringt, dann dürfte das letzte
Stündlein für den Cölibat nicht so weit liegen. Unmöglich wird dann auch
die römische Kirche das Gesetz behaupten und diejenigen, welche sie als Führer
der Gläubigen stempelt, zwingen können, die Grundlagen der Familie, der
Gemeinde, des Staats als ein bloß geduldetes Uebel annehmen. Was der
Verfasser in geistreicher Weise in seiner Schrift durchgeführt hat, faßt er am
Schluß der trefflichen Arbeit in den ebenso schlagenden Satz zusammen: Mit
dem Cölibat steht und fällt nicht das Priesterthum, wohl hoffentlich aber
das Pfaffenthum.




Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbin in Leipzig. - Druck von Hiithel S Herrmann in Leipzig.

Geltung zu verschaffen, und die in Irrthum befangene Welt, welche von der
Hierarchie seit undenklichen Zeiten geknechtet ist, zur neueren Ueberzeugung hin-
überzuleiten. Dazu gehört der ganze Mann der Wissenschaft, dessen be¬
währte Unerschrockenheit nicht hoch genug gewürdigt werden kann, wenn er,
wie hier, Front macht gegen die Vertheidiger des Cölibats, die in der That
nur Ideologen oder unklare, von klerikaler Herrschsucht erfüllte Ultramontane
sein können.

Trotzdem plaidirt der Verfasser treu seinem nach reiflicher Ueberlegung
gewonnenen Standpunkt für eine nur bedingungsweise Abschaffung des
Cölibats. Seine Gründe sind auch für uns, vom protestantischen Stand¬
punkte aus überzeugend, wenn er nach Maßgabe der vorausgegangenen
historischen Entwickelung folgende drei Sätze zur Annahme empfiehlt: 1. zum
Bischöfe ist nur ein unverheiratheter, beziehungsweise verwittweter Priester zu
weihen, der nur einmal verheirathet gewesen ist. Der Bischof, welcher hei-
rathet, hat sein Amt aufzugeben. 2. zu Priestern dürfen Personen geweiht
werden, welche in einer ersten Ehe leben. 3. Unverheirathete Priester dürfen
eine Ehe, jedoch nur einmal schließen.

Eine auch nur theilweise Abweichung von diesen Grundsätzen kann der
Verfasser nicht zugeben. Mit dem bloßen Anheimstellen, ob die einzelnen
Gemeinden einen verheiratheten Seelsorger haben wollen oder nicht, wird
nichts erreicht. Das Heil ruht, wie uns sehr richtig betont scheint, in der
Aufstellung und strengen Beobachtung einer allgemeinen Regel. Diese ist
zu ermöglichen. Denn wenn, wie in der anziehenden Schrift nachgewiesen
ist. der Cölibat bloß auf einem Gesetze beruht, das unleugbar aus pästlicher
Machtvollkommenheit abgeschafft werden kann, um die Ehe der Geistlichen zu
sanctioniren, so begreift man leicht, daß die Ehe der Geistlichen an sich ein
Unding nicht ist, wie dieselbe jetzt als solches gilt. Geht aber der Staat
in der Bekämpfung des Cölibats voran, der ja erst durch die Annahme des
Gesetzes jenes entweder direct aufrecht erhält oder doch wenigstens in seinen
Wirkungen für die Pfründen in Ausführung bringt, dann dürfte das letzte
Stündlein für den Cölibat nicht so weit liegen. Unmöglich wird dann auch
die römische Kirche das Gesetz behaupten und diejenigen, welche sie als Führer
der Gläubigen stempelt, zwingen können, die Grundlagen der Familie, der
Gemeinde, des Staats als ein bloß geduldetes Uebel annehmen. Was der
Verfasser in geistreicher Weise in seiner Schrift durchgeführt hat, faßt er am
Schluß der trefflichen Arbeit in den ebenso schlagenden Satz zusammen: Mit
dem Cölibat steht und fällt nicht das Priesterthum, wohl hoffentlich aber
das Pfaffenthum.




Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbin in Leipzig. - Druck von Hiithel S Herrmann in Leipzig.
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[0324] Geltung zu verschaffen, und die in Irrthum befangene Welt, welche von der Hierarchie seit undenklichen Zeiten geknechtet ist, zur neueren Ueberzeugung hin- überzuleiten. Dazu gehört der ganze Mann der Wissenschaft, dessen be¬ währte Unerschrockenheit nicht hoch genug gewürdigt werden kann, wenn er, wie hier, Front macht gegen die Vertheidiger des Cölibats, die in der That nur Ideologen oder unklare, von klerikaler Herrschsucht erfüllte Ultramontane sein können. Trotzdem plaidirt der Verfasser treu seinem nach reiflicher Ueberlegung gewonnenen Standpunkt für eine nur bedingungsweise Abschaffung des Cölibats. Seine Gründe sind auch für uns, vom protestantischen Stand¬ punkte aus überzeugend, wenn er nach Maßgabe der vorausgegangenen historischen Entwickelung folgende drei Sätze zur Annahme empfiehlt: 1. zum Bischöfe ist nur ein unverheiratheter, beziehungsweise verwittweter Priester zu weihen, der nur einmal verheirathet gewesen ist. Der Bischof, welcher hei- rathet, hat sein Amt aufzugeben. 2. zu Priestern dürfen Personen geweiht werden, welche in einer ersten Ehe leben. 3. Unverheirathete Priester dürfen eine Ehe, jedoch nur einmal schließen. Eine auch nur theilweise Abweichung von diesen Grundsätzen kann der Verfasser nicht zugeben. Mit dem bloßen Anheimstellen, ob die einzelnen Gemeinden einen verheiratheten Seelsorger haben wollen oder nicht, wird nichts erreicht. Das Heil ruht, wie uns sehr richtig betont scheint, in der Aufstellung und strengen Beobachtung einer allgemeinen Regel. Diese ist zu ermöglichen. Denn wenn, wie in der anziehenden Schrift nachgewiesen ist. der Cölibat bloß auf einem Gesetze beruht, das unleugbar aus pästlicher Machtvollkommenheit abgeschafft werden kann, um die Ehe der Geistlichen zu sanctioniren, so begreift man leicht, daß die Ehe der Geistlichen an sich ein Unding nicht ist, wie dieselbe jetzt als solches gilt. Geht aber der Staat in der Bekämpfung des Cölibats voran, der ja erst durch die Annahme des Gesetzes jenes entweder direct aufrecht erhält oder doch wenigstens in seinen Wirkungen für die Pfründen in Ausführung bringt, dann dürfte das letzte Stündlein für den Cölibat nicht so weit liegen. Unmöglich wird dann auch die römische Kirche das Gesetz behaupten und diejenigen, welche sie als Führer der Gläubigen stempelt, zwingen können, die Grundlagen der Familie, der Gemeinde, des Staats als ein bloß geduldetes Uebel annehmen. Was der Verfasser in geistreicher Weise in seiner Schrift durchgeführt hat, faßt er am Schluß der trefflichen Arbeit in den ebenso schlagenden Satz zusammen: Mit dem Cölibat steht und fällt nicht das Priesterthum, wohl hoffentlich aber das Pfaffenthum. Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig. Verlag von F. L. Herbin in Leipzig. - Druck von Hiithel S Herrmann in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/324>, abgerufen am 27.07.2024.