Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.Schiller schreibt an Goethe (Briesw.): "gestern mußte ich mich wundern, Jemand seine Erkenntlichkeit, Freude, Ehrfurcht, Dankbarkeit u. d. be¬ Das Vorstehende erschöpft den Gegenstand nicht. Es sollte nur auf ihn Schiller schreibt an Goethe (Briesw.): „gestern mußte ich mich wundern, Jemand seine Erkenntlichkeit, Freude, Ehrfurcht, Dankbarkeit u. d. be¬ Das Vorstehende erschöpft den Gegenstand nicht. Es sollte nur auf ihn <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0321" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135902"/> <p xml:id="ID_1055"> Schiller schreibt an Goethe (Briesw.): „gestern mußte ich mich wundern,<lb/> wie Sie sich nach einer schlechtschlafenden Nacht und unter Wolken von<lb/> Tabaksrauch noch so ganz gut und bei Humor erhielten," und im „Geister¬<lb/> seher" begegnen wir der Stelle: „Ich wußte von Ihrer vorhabenden Spazier¬<lb/> fahrt auf der Brenta."</p><lb/> <p xml:id="ID_1056"> Jemand seine Erkenntlichkeit, Freude, Ehrfurcht, Dankbarkeit u. d. be¬<lb/> zeugen ist falsch. Es muß bezeigen heißen; denn es handelt sich nicht um<lb/> Ablegung eines Zeugnisses, sondern um ein Darthun, ein Erweisen, ein<lb/> Zeigen, daß man die genannten Empfindungen in sich trägt. Goethe hat<lb/> deshalb auch fast durchgehends „Ehrenbezeigung". Er schreibt in „Wahrheit<lb/> und Dichtung:" „Ich erinnere mich, daß mein Vater und der Graf ein<lb/> gemeinsames Gefallen bezeigten," und in „Werther's Leiden:" „Ich be¬<lb/> zeugte ihr viel Aufmerksamkeit." Ebenso sagt er auch gewöhnlich „erzeigte.<lb/> Aber es kommt doch auch vor: „Wir sprangen ihm entgegen, küßten seine<lb/> Hände und bezeugten ihm unsre Freude" (Wahrheit und Dichtung). In<lb/> Schiller's „Maria Stuart" heißt es: „Mortimer tritt herein, ohne der Königin<lb/> einige Aufmerksamkeit zu bezeugen," und in „Wallenstein's Tod" sagt<lb/> Terzky zum Herzog: „Weil Du so viele Gunst ihm stets bezeugt." In<lb/> Lessing's späteren Schriften treffen wir fast immer „bezeigen". In den Briefen<lb/> aber, die er 1749 an seinen Bater schrieb, begegnen wir Sätzen, wie: „Sie<lb/> haben sich gegen mich viel zu vernünftig allzeit erzeugt" und: „wenn er<lb/> Wir auch sonst keine Gefälligkeit erzeugt hätte, mir sie gewiß doch jetzo<lb/> erzeugt." In diesen Briefen findet sich auch noch „würckltch", ferner „er-<lb/> stücken" statt ersticken, endlich: „Sie bedauern das arme Meisen" (Meißen).<lb/> Bedauern kommt auch noch in späteren Schriften vor, und wir treffen statt<lb/> einer weisen eine „weiße" Vorsicht Gottes und eine „Ueberzeigung" statt<lb/> einer Ueberzeugung von der Wahrheit. Bezeugen statt bezeigen setzen ist<lb/> ebenso praktisch wie Kopfküssen statt Kopfkissen zu schreiben, wie Jacob Grimm<lb/> allen Ernstes vorgeschlagen hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1057"> Das Vorstehende erschöpft den Gegenstand nicht. Es sollte nur auf ihn<lb/> hinweisen und auf die Schrift aufmerksam machen, die auch einigen unsrer<lb/> gegenwärtigen Dichter und Schriftsteller eine gute Anzahl grammatischer<lb/> Schnitzer nachweist , und die in der That alle Aufmerksamkeit verdient.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0321]
Schiller schreibt an Goethe (Briesw.): „gestern mußte ich mich wundern,
wie Sie sich nach einer schlechtschlafenden Nacht und unter Wolken von
Tabaksrauch noch so ganz gut und bei Humor erhielten," und im „Geister¬
seher" begegnen wir der Stelle: „Ich wußte von Ihrer vorhabenden Spazier¬
fahrt auf der Brenta."
Jemand seine Erkenntlichkeit, Freude, Ehrfurcht, Dankbarkeit u. d. be¬
zeugen ist falsch. Es muß bezeigen heißen; denn es handelt sich nicht um
Ablegung eines Zeugnisses, sondern um ein Darthun, ein Erweisen, ein
Zeigen, daß man die genannten Empfindungen in sich trägt. Goethe hat
deshalb auch fast durchgehends „Ehrenbezeigung". Er schreibt in „Wahrheit
und Dichtung:" „Ich erinnere mich, daß mein Vater und der Graf ein
gemeinsames Gefallen bezeigten," und in „Werther's Leiden:" „Ich be¬
zeugte ihr viel Aufmerksamkeit." Ebenso sagt er auch gewöhnlich „erzeigte.
Aber es kommt doch auch vor: „Wir sprangen ihm entgegen, küßten seine
Hände und bezeugten ihm unsre Freude" (Wahrheit und Dichtung). In
Schiller's „Maria Stuart" heißt es: „Mortimer tritt herein, ohne der Königin
einige Aufmerksamkeit zu bezeugen," und in „Wallenstein's Tod" sagt
Terzky zum Herzog: „Weil Du so viele Gunst ihm stets bezeugt." In
Lessing's späteren Schriften treffen wir fast immer „bezeigen". In den Briefen
aber, die er 1749 an seinen Bater schrieb, begegnen wir Sätzen, wie: „Sie
haben sich gegen mich viel zu vernünftig allzeit erzeugt" und: „wenn er
Wir auch sonst keine Gefälligkeit erzeugt hätte, mir sie gewiß doch jetzo
erzeugt." In diesen Briefen findet sich auch noch „würckltch", ferner „er-
stücken" statt ersticken, endlich: „Sie bedauern das arme Meisen" (Meißen).
Bedauern kommt auch noch in späteren Schriften vor, und wir treffen statt
einer weisen eine „weiße" Vorsicht Gottes und eine „Ueberzeigung" statt
einer Ueberzeugung von der Wahrheit. Bezeugen statt bezeigen setzen ist
ebenso praktisch wie Kopfküssen statt Kopfkissen zu schreiben, wie Jacob Grimm
allen Ernstes vorgeschlagen hat.
Das Vorstehende erschöpft den Gegenstand nicht. Es sollte nur auf ihn
hinweisen und auf die Schrift aufmerksam machen, die auch einigen unsrer
gegenwärtigen Dichter und Schriftsteller eine gute Anzahl grammatischer
Schnitzer nachweist , und die in der That alle Aufmerksamkeit verdient.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt). |