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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

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und bei vielen Lesern Unruhe und Besorgnisse hervorgerufen hat, so dürften
dafür weniger die Ergebnisse seiner Arbeit als die Art und der Ton seines
Vortrages verantwortlich sein. Scharf und schneidig, keck und kühn, streit¬
gerüstet und streitlustig führt er seine Hiebe gegen die beiden Geschichtsfälscher
Knesebeck und Schön. Er, hat e5 eigentlich nicht mit den Persönlichkeiten
der beiden Männer, nicht mit einer Wertschätzung ihrer Leistungen und Ver-
dienste zu thun. Er behandelt sie allein als historische Quellenschriftsteller.
Die Freunde und Verehrer Knesebeck's sind dabei aber durch sein Schweigen
über ihres Helden militärische Verdienste verstimmt. Die Anbeter Schön's
fühlen sich noch weit heftiger verletzt durch manche einzelne Wendung in der
quellenkritischen Untersuchung, die so aussieht, als ob nicht allein der Historiker,
sondern auch der Staatsmann Schön getroffen werden sollte. Ich glaube
nicht, daß dies letztere in Lehmann's Absicht lag; er ist ein viel zu tüchtiger
Historiker, als daß er ohne weiter ausholende Erörterung, ohne eingehendere
Studien, ohne vielseitigere sachliche Erwägungen eine so schwierige Aufgabe sich
aufgeladen haben sollte; aber im Eifer des Gefechtes entschlüpfen ihm wohl
Wendungen allzu weitgehender allzu polemischer Natur. Kein unpar¬
teiischer Leser wird sich ernstlich an ihrwn stoßen wollen. Ja wer sich wirk¬
lich durch derartige Sätze den Genuß des schönen Buches stören lassen wollte,
der würde grade dadurch verrathen, daß ihm der Schön-Kultus höher steht als
die historische Wahrheit.


W. Maurenb reader.


Konstantin UöUer's Schrift "Aas deutsche Ueich und die
Kirchliche Irage".
Professor Dr. W. Beyschlag. II.

Da die Wiederbelebung des Christenthums im deutschen Volke eine Neu¬
gestaltung der evangelischen Kirche voraussetzt, so wendet sich die Betrachtung
Rößler's im neunten Kapitel den "Plänen und Versuchen zum Aufbau der
evangelischen Kirche" zu. Daß im 16. Jahrhundert ein äußeres Gebäude
der deutsch-evangelischen Kirche nicht zu Stande gekommen, erklärt er
aus der Ungunst der damaligen politischen Verhältnisse Deutschlands: eine
gemeindliche Organisation der Kirche würde eine demokratische Organisation
des Reiches als Correlat erfordert haben; der particular-dynastischen Reichs-


und bei vielen Lesern Unruhe und Besorgnisse hervorgerufen hat, so dürften
dafür weniger die Ergebnisse seiner Arbeit als die Art und der Ton seines
Vortrages verantwortlich sein. Scharf und schneidig, keck und kühn, streit¬
gerüstet und streitlustig führt er seine Hiebe gegen die beiden Geschichtsfälscher
Knesebeck und Schön. Er, hat e5 eigentlich nicht mit den Persönlichkeiten
der beiden Männer, nicht mit einer Wertschätzung ihrer Leistungen und Ver-
dienste zu thun. Er behandelt sie allein als historische Quellenschriftsteller.
Die Freunde und Verehrer Knesebeck's sind dabei aber durch sein Schweigen
über ihres Helden militärische Verdienste verstimmt. Die Anbeter Schön's
fühlen sich noch weit heftiger verletzt durch manche einzelne Wendung in der
quellenkritischen Untersuchung, die so aussieht, als ob nicht allein der Historiker,
sondern auch der Staatsmann Schön getroffen werden sollte. Ich glaube
nicht, daß dies letztere in Lehmann's Absicht lag; er ist ein viel zu tüchtiger
Historiker, als daß er ohne weiter ausholende Erörterung, ohne eingehendere
Studien, ohne vielseitigere sachliche Erwägungen eine so schwierige Aufgabe sich
aufgeladen haben sollte; aber im Eifer des Gefechtes entschlüpfen ihm wohl
Wendungen allzu weitgehender allzu polemischer Natur. Kein unpar¬
teiischer Leser wird sich ernstlich an ihrwn stoßen wollen. Ja wer sich wirk¬
lich durch derartige Sätze den Genuß des schönen Buches stören lassen wollte,
der würde grade dadurch verrathen, daß ihm der Schön-Kultus höher steht als
die historische Wahrheit.


W. Maurenb reader.


Konstantin UöUer's Schrift „Aas deutsche Ueich und die
Kirchliche Irage".
Professor Dr. W. Beyschlag. II.

Da die Wiederbelebung des Christenthums im deutschen Volke eine Neu¬
gestaltung der evangelischen Kirche voraussetzt, so wendet sich die Betrachtung
Rößler's im neunten Kapitel den „Plänen und Versuchen zum Aufbau der
evangelischen Kirche" zu. Daß im 16. Jahrhundert ein äußeres Gebäude
der deutsch-evangelischen Kirche nicht zu Stande gekommen, erklärt er
aus der Ungunst der damaligen politischen Verhältnisse Deutschlands: eine
gemeindliche Organisation der Kirche würde eine demokratische Organisation
des Reiches als Correlat erfordert haben; der particular-dynastischen Reichs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/252>, abgerufen am 27.11.2024.