Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

geworden sind. Es handelte sich um die erste Berathung des Gesetzes, be¬
treffend die Uebertragung der Eigenthums- und sonstigen Rechte des preußi¬
schen Staates an Eisenbahnen auf das deutsche Reich. Diese erste Berathung
hat außer dem 26. April noch die Sitzung vom 27. April in Anspruch ge¬
nommen. Am ersten Tage sprach nur Eugen Richter als Gegner, Laster
als Freund der Vorlage, außerdem nahm zweimal der Reichskanzler das
Wort. Die Rede des Abg. Eugen Richter währte gegen drei Stunden. Leb¬
haft mußte ich beim Anhören derselben der Zeiten gedenken, wo öffentliches
Staatsleben und Parlamentarismus in Deutschland fremde Dinge waren,
obwohl es ja in den meisten Mittel- und Kleinstaaten Kammern gab. Mit
Welchem Staunen las man damals in den Zeitungen, daß im Unterhause der
Schatzkanzler, Spring-Rice mit Namen, der später als Lord Monteagle starb,
eine siebenstündige Rede gehalten habe. Man begriff nicht, wie so etwas
Möglich sei, und wußte nicht, ob man mehr die Unerschöpflichkett des Redners
oder diejenige der Zuhörer bewundern solle. Ist nun in unsern modernen
deutschen Parlamenten auch noch kein Redner auf sieben Stunden gelangt,
so sind doch drei Stunden schon ein hübscher Anfang, und man begreift, hat
Man erst drei Stunden zugehört, daß man auch einmal sieben Stunden zu¬
hören könnte. Denn alles was Recht ist: die Rede des Abg. Richter war
kein Selbstgespräch, das Haus und die drückendvollen Tribünen folgten ihm
Mit ununterbrochener Aufmerksamkeit. Es ist das ein Zeugniß für das große
Talent des Redners, aber wie ich besonders hervorheben möchte, auch ein
Zeugniß für die erhöhte Fähigkeit unserer Parlamente und des ihren Ver¬
handlungen beiwohnenden Publikums, ausführlichen Auseinandersetzungen zu
folgen. Noch zu den Zeiten der neuen Aera wären Reden von solcher Länge
eine Unmöglichkeit gewesen und das Haus war damals überhaupt viel un¬
ruhiger. Die große Wichtigkeit der parlamentarischen Gegenstände unserer
Gegenwart und vor allem die Fruchtbarkeit ihrer Behandlung haben die
Fähigkeit der Aufmerksamkeit in solchem Grade erzogen und gesteigert. Denn
der parlamentarische Einfluß und die Wirkungen der parlamentarischen Be¬
handlung und Entscheidung sind heute größer als jemals in Deutschland,
trotz aller Brochüren, welche die Nichtigkeit des deutschen Parlamentarismus
beweisen und die Menge dagegen aufstacheln wollen.

Solche Bemerkungen müssen sich bet Sitzungen, wie die vom 26. April,
Wohl manchem aufdrängen und es ist gut, sie einmal auszusprechen. Was
nun die diesmalige Parlaments-Aktion im besonderen betrifft, so zeigte sich
das große Talent des ersten Redners in der fesselnden Behandlung der zahl¬
losen Einzelheiten bei einem Gegenstand, der doch eigentlich trockener Natur
ist. Der Redner sprach klar, gefällig, öfters witzig und selbst anmuthig. Nur
die Hauptsache fehlte allerdings, nämlich die Nichtigkeit des Gesammtresultates.


geworden sind. Es handelte sich um die erste Berathung des Gesetzes, be¬
treffend die Uebertragung der Eigenthums- und sonstigen Rechte des preußi¬
schen Staates an Eisenbahnen auf das deutsche Reich. Diese erste Berathung
hat außer dem 26. April noch die Sitzung vom 27. April in Anspruch ge¬
nommen. Am ersten Tage sprach nur Eugen Richter als Gegner, Laster
als Freund der Vorlage, außerdem nahm zweimal der Reichskanzler das
Wort. Die Rede des Abg. Eugen Richter währte gegen drei Stunden. Leb¬
haft mußte ich beim Anhören derselben der Zeiten gedenken, wo öffentliches
Staatsleben und Parlamentarismus in Deutschland fremde Dinge waren,
obwohl es ja in den meisten Mittel- und Kleinstaaten Kammern gab. Mit
Welchem Staunen las man damals in den Zeitungen, daß im Unterhause der
Schatzkanzler, Spring-Rice mit Namen, der später als Lord Monteagle starb,
eine siebenstündige Rede gehalten habe. Man begriff nicht, wie so etwas
Möglich sei, und wußte nicht, ob man mehr die Unerschöpflichkett des Redners
oder diejenige der Zuhörer bewundern solle. Ist nun in unsern modernen
deutschen Parlamenten auch noch kein Redner auf sieben Stunden gelangt,
so sind doch drei Stunden schon ein hübscher Anfang, und man begreift, hat
Man erst drei Stunden zugehört, daß man auch einmal sieben Stunden zu¬
hören könnte. Denn alles was Recht ist: die Rede des Abg. Richter war
kein Selbstgespräch, das Haus und die drückendvollen Tribünen folgten ihm
Mit ununterbrochener Aufmerksamkeit. Es ist das ein Zeugniß für das große
Talent des Redners, aber wie ich besonders hervorheben möchte, auch ein
Zeugniß für die erhöhte Fähigkeit unserer Parlamente und des ihren Ver¬
handlungen beiwohnenden Publikums, ausführlichen Auseinandersetzungen zu
folgen. Noch zu den Zeiten der neuen Aera wären Reden von solcher Länge
eine Unmöglichkeit gewesen und das Haus war damals überhaupt viel un¬
ruhiger. Die große Wichtigkeit der parlamentarischen Gegenstände unserer
Gegenwart und vor allem die Fruchtbarkeit ihrer Behandlung haben die
Fähigkeit der Aufmerksamkeit in solchem Grade erzogen und gesteigert. Denn
der parlamentarische Einfluß und die Wirkungen der parlamentarischen Be¬
handlung und Entscheidung sind heute größer als jemals in Deutschland,
trotz aller Brochüren, welche die Nichtigkeit des deutschen Parlamentarismus
beweisen und die Menge dagegen aufstacheln wollen.

Solche Bemerkungen müssen sich bet Sitzungen, wie die vom 26. April,
Wohl manchem aufdrängen und es ist gut, sie einmal auszusprechen. Was
nun die diesmalige Parlaments-Aktion im besonderen betrifft, so zeigte sich
das große Talent des ersten Redners in der fesselnden Behandlung der zahl¬
losen Einzelheiten bei einem Gegenstand, der doch eigentlich trockener Natur
ist. Der Redner sprach klar, gefällig, öfters witzig und selbst anmuthig. Nur
die Hauptsache fehlte allerdings, nämlich die Nichtigkeit des Gesammtresultates.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0235" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/135816"/>
          <p xml:id="ID_757" prev="#ID_756"> geworden sind. Es handelte sich um die erste Berathung des Gesetzes, be¬<lb/>
treffend die Uebertragung der Eigenthums- und sonstigen Rechte des preußi¬<lb/>
schen Staates an Eisenbahnen auf das deutsche Reich. Diese erste Berathung<lb/>
hat außer dem 26. April noch die Sitzung vom 27. April in Anspruch ge¬<lb/>
nommen. Am ersten Tage sprach nur Eugen Richter als Gegner, Laster<lb/>
als Freund der Vorlage, außerdem nahm zweimal der Reichskanzler das<lb/>
Wort. Die Rede des Abg. Eugen Richter währte gegen drei Stunden. Leb¬<lb/>
haft mußte ich beim Anhören derselben der Zeiten gedenken, wo öffentliches<lb/>
Staatsleben und Parlamentarismus in Deutschland fremde Dinge waren,<lb/>
obwohl es ja in den meisten Mittel- und Kleinstaaten Kammern gab. Mit<lb/>
Welchem Staunen las man damals in den Zeitungen, daß im Unterhause der<lb/>
Schatzkanzler, Spring-Rice mit Namen, der später als Lord Monteagle starb,<lb/>
eine siebenstündige Rede gehalten habe. Man begriff nicht, wie so etwas<lb/>
Möglich sei, und wußte nicht, ob man mehr die Unerschöpflichkett des Redners<lb/>
oder diejenige der Zuhörer bewundern solle. Ist nun in unsern modernen<lb/>
deutschen Parlamenten auch noch kein Redner auf sieben Stunden gelangt,<lb/>
so sind doch drei Stunden schon ein hübscher Anfang, und man begreift, hat<lb/>
Man erst drei Stunden zugehört, daß man auch einmal sieben Stunden zu¬<lb/>
hören könnte. Denn alles was Recht ist: die Rede des Abg. Richter war<lb/>
kein Selbstgespräch, das Haus und die drückendvollen Tribünen folgten ihm<lb/>
Mit ununterbrochener Aufmerksamkeit. Es ist das ein Zeugniß für das große<lb/>
Talent des Redners, aber wie ich besonders hervorheben möchte, auch ein<lb/>
Zeugniß für die erhöhte Fähigkeit unserer Parlamente und des ihren Ver¬<lb/>
handlungen beiwohnenden Publikums, ausführlichen Auseinandersetzungen zu<lb/>
folgen. Noch zu den Zeiten der neuen Aera wären Reden von solcher Länge<lb/>
eine Unmöglichkeit gewesen und das Haus war damals überhaupt viel un¬<lb/>
ruhiger. Die große Wichtigkeit der parlamentarischen Gegenstände unserer<lb/>
Gegenwart und vor allem die Fruchtbarkeit ihrer Behandlung haben die<lb/>
Fähigkeit der Aufmerksamkeit in solchem Grade erzogen und gesteigert. Denn<lb/>
der parlamentarische Einfluß und die Wirkungen der parlamentarischen Be¬<lb/>
handlung und Entscheidung sind heute größer als jemals in Deutschland,<lb/>
trotz aller Brochüren, welche die Nichtigkeit des deutschen Parlamentarismus<lb/>
beweisen und die Menge dagegen aufstacheln wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_758" next="#ID_759"> Solche Bemerkungen müssen sich bet Sitzungen, wie die vom 26. April,<lb/>
Wohl manchem aufdrängen und es ist gut, sie einmal auszusprechen. Was<lb/>
nun die diesmalige Parlaments-Aktion im besonderen betrifft, so zeigte sich<lb/>
das große Talent des ersten Redners in der fesselnden Behandlung der zahl¬<lb/>
losen Einzelheiten bei einem Gegenstand, der doch eigentlich trockener Natur<lb/>
ist. Der Redner sprach klar, gefällig, öfters witzig und selbst anmuthig. Nur<lb/>
die Hauptsache fehlte allerdings, nämlich die Nichtigkeit des Gesammtresultates.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0235] geworden sind. Es handelte sich um die erste Berathung des Gesetzes, be¬ treffend die Uebertragung der Eigenthums- und sonstigen Rechte des preußi¬ schen Staates an Eisenbahnen auf das deutsche Reich. Diese erste Berathung hat außer dem 26. April noch die Sitzung vom 27. April in Anspruch ge¬ nommen. Am ersten Tage sprach nur Eugen Richter als Gegner, Laster als Freund der Vorlage, außerdem nahm zweimal der Reichskanzler das Wort. Die Rede des Abg. Eugen Richter währte gegen drei Stunden. Leb¬ haft mußte ich beim Anhören derselben der Zeiten gedenken, wo öffentliches Staatsleben und Parlamentarismus in Deutschland fremde Dinge waren, obwohl es ja in den meisten Mittel- und Kleinstaaten Kammern gab. Mit Welchem Staunen las man damals in den Zeitungen, daß im Unterhause der Schatzkanzler, Spring-Rice mit Namen, der später als Lord Monteagle starb, eine siebenstündige Rede gehalten habe. Man begriff nicht, wie so etwas Möglich sei, und wußte nicht, ob man mehr die Unerschöpflichkett des Redners oder diejenige der Zuhörer bewundern solle. Ist nun in unsern modernen deutschen Parlamenten auch noch kein Redner auf sieben Stunden gelangt, so sind doch drei Stunden schon ein hübscher Anfang, und man begreift, hat Man erst drei Stunden zugehört, daß man auch einmal sieben Stunden zu¬ hören könnte. Denn alles was Recht ist: die Rede des Abg. Richter war kein Selbstgespräch, das Haus und die drückendvollen Tribünen folgten ihm Mit ununterbrochener Aufmerksamkeit. Es ist das ein Zeugniß für das große Talent des Redners, aber wie ich besonders hervorheben möchte, auch ein Zeugniß für die erhöhte Fähigkeit unserer Parlamente und des ihren Ver¬ handlungen beiwohnenden Publikums, ausführlichen Auseinandersetzungen zu folgen. Noch zu den Zeiten der neuen Aera wären Reden von solcher Länge eine Unmöglichkeit gewesen und das Haus war damals überhaupt viel un¬ ruhiger. Die große Wichtigkeit der parlamentarischen Gegenstände unserer Gegenwart und vor allem die Fruchtbarkeit ihrer Behandlung haben die Fähigkeit der Aufmerksamkeit in solchem Grade erzogen und gesteigert. Denn der parlamentarische Einfluß und die Wirkungen der parlamentarischen Be¬ handlung und Entscheidung sind heute größer als jemals in Deutschland, trotz aller Brochüren, welche die Nichtigkeit des deutschen Parlamentarismus beweisen und die Menge dagegen aufstacheln wollen. Solche Bemerkungen müssen sich bet Sitzungen, wie die vom 26. April, Wohl manchem aufdrängen und es ist gut, sie einmal auszusprechen. Was nun die diesmalige Parlaments-Aktion im besonderen betrifft, so zeigte sich das große Talent des ersten Redners in der fesselnden Behandlung der zahl¬ losen Einzelheiten bei einem Gegenstand, der doch eigentlich trockener Natur ist. Der Redner sprach klar, gefällig, öfters witzig und selbst anmuthig. Nur die Hauptsache fehlte allerdings, nämlich die Nichtigkeit des Gesammtresultates.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/235
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, I. Semester, II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157638/235>, abgerufen am 27.11.2024.